Der peinlichste Sitznachbar der Welt

by - Februar 23, 2011

Es ist Sonntagnachmittag, und ich befinde mich im Zug von Passau nach Dortmund. Wie immer ist der Großraumwagen gut gefüllt, und mein Freund und ich haben Plätze an einem der Tische ergattert. Uns gegenüber sitzt ein Mann, wie wir Ende 30, der seine Fahrkarten gut sichtbar vor sich auf den Tisch gelegt hat. Ich erfahre so, zunächst ohne großes Interesse, dass er erst am Samstag von Köln nach Regensburg gefahren ist und sich nun auf der Rückfahrt befindet.

Nach kurzer Fahrt beginnt unser Reisebegleiter sichtlich, sich zu langweilen, er mag sich weder mit seinem Laptop noch seiner Bildzeitung bechäftigen. Schließlich greift er zum Handy, ruft einen Bekannten an und beginnt, ihm vom gerade vergangenen Wochenende zu erzählen. Zunächst spricht er Englisch, wechselt dann aber ins Deutsche, was zumindest bei mir den Eindruck erweckt, dass das anfängliche Englisch nicht kommunikativ notwendig war, sondern Affektiertheit. Dafür spricht auch, dass er im Deutschen seltsame Wörter wie "callen" und "Gym" benutzt.

Auf Deutsch und Englisch gemischt hören wir, sowie die ebenfalls bei uns sitzende junge Frau neben dem genannten Herrn, dass dieser in Regensburg war, um dort eine Bekannte zu treffen. Offenbar kannte man sich schon länger aus dem Internet, war sich aber noch nie im echten Leben begegnet. Wir erfahren, dass man einen angenehmen Abend verbrachte und schließlich im Bett landete (Zitat: "Und dann hab' ich mich einfach in ihr Bett gelegt, als sie im Bad war" (...) "und dann ging's zur Sache"), was aber voll locker und unkompliziert  war, da beide Beteiligten single sind.

Die Geschichte umfasst noch etliche weitere Details über die Umstände des One-Night-Stands, und ich wundere mich mehr und mehr, dass mein Gegenüber dieses Gespräch gut hörbar im vollen Großraumwagen führt. War das Englische vielleicht ein extrem dämlicher Versuch, sich quasi in einer Geheimsprache (Wer spricht denn schon Englisch??) auszusprechen?

Wäre ich nicht zu sehr mit dem Unterdrücken meines Lachens beschäftigt, würde ich den Mann ja gerne einige Dinge fragen - immerhin hat er uns alle ja mit der Geschichte konfrontiert. Noch lange nach der ansonsten ereignislosen Fahrt stelle ich mir vor, wie ich ihn nach dem Auflegen ganz cool frage, ob und wie denn verhütet wurde. Und ob er sich sicher ist, dass seine Bekannte die Sache auch so unkompliziert und locker sieht. Und wohin er denn nächstes Wochenende fährt.

Das ist übrigens nicht die seltsamste Geschichte, die mir bislang im Zug passiert ist. Fortsetzung folgt.

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