Der laut Ankündigung heißeste Festivaltag stand uns mit dem Sonntag noch bevor. Wir blieben so lange wir konnten im Hotel und versicherten einander, dass nichts jemals wieder so heiß sein könnte wie das Hear Hear-Festival vor einigen Jahren (bis jetzt auch das einzige je von mir besuchte Festival mit öffentlichen Sonnencreme-Spendern). Als wir das Festivalgelände gegen halb 3 erreichten, hatten wir immer noch keine konkreten Pläne und nutzten die Zeit für einen Spaziergang im Landschaftspark, bei dem wir auch die Campingplätze zu sehen bekamen. Das war sehr schön, aber dennoch etwas viel Bewegung in der prallen Sonne: Hinterher hatten wir knallrote Köpfe. gegen die auch ein Eis vom Festival-Eisstand wenig ausrichten konnte.
Unser erster Musikact des Tages war Juli Gilde, von der ich vorab noch nie gehört hatte. In der Gießhall fanden sich auffällig viele Kinder mit Schallschutzkopfhörern (natürlich in Begleitung ihrer Eltern) ein, ohne, dass angekündigt gewesen wäre, dass es sich um einen teil des Kinderprogramms handelte - das es beim Traumzeit-Festival auch überhaupt nicht gibt. Vielleicht war genau das der Grund: ein Auftritt einer Singer-Songwriterin am Nachmittag war für die Jüngsten schon der am besten geeignete Programmpunkt.
Mein Freund erzählte mir später, dass Juli Gilde mit einem Lied in der Albumserie "Unter meinem Bett" vertreten ist, für die deutschsprachige Liedermacher und Bands selbst geschriebene Kinderlieder aufnehmen - das war natürlich ein weiterer guter Grund, hier mit der ganzen Familie teilzunehmen - auch wenn "Das UFO ist gelandet" letztlich gar nicht gespielt wurde.
Im Programmheft war die Künstlerin als eine der wirklich spannenden Newcomerinnen des Landes vorgestellt worden, die einen insbesondere an ihrer Lebenswirklichkeit mit Anfang 20 teilnehmen lässt. Auf der Bühne fanden sich zunächst ein Schlagzeuger und eine Keyboarderin ein, Juli Gilde selbst joggte etwas unbeholfen auf die Bühne und verlor dabei gleich ihre Earpieces, so dass sie sich nach dem ersten Lied "Wieso eigentlich" erst einmal neu sortieren musste.
Die Beschreibung im Programm hatte ja angedeutet, dass man sich aus Zuschauersicht bei dem Auftritt alt fühlen könnte - das war bei mir spätestens der Fall, als die Sängerin vor "Ein Lada steht im Parkverbot" ein Wolfgang Herrndorf-Gedicht verlas und das damit einleitete, dass sie dessen Roman Tschick (von 2014) als Schullektüre habe lesen müssen.
Die Liedtexte erzählten häufig kleine Geschichten und gefielen mir gut, dennoch fand ich nicht so recht in den Auftritt hinein, irgendwie ging mir alles zu sehr in Richtung "Wir sind Helden" (mein Freund als Helden-Fan war allerdings auch nicht begeistert). Für die vielen Kinder wurde letztlich auch nicht viel geboten, außer, dass man bei zwei Liedern einarmig hin- und herwinken sollte - hierbei wurde von den kleinen Konzertgästen engagiert mitgemacht.
Setliste:
Auf dem Weg von unserem Campingplatz-Spaziergang zum Gelände waren wir an der Cowperplatz-Bühne vorbeigekommen, wo gerade jemand sehr laut einen Soundcheck durchführte. Ich war eigentlich erleichtert gewesen, dass mein Freund hier nicht verweilen wollte, hatte mich aber zu früh gefreut: Nun steuerte er genau dorthin, wo soeben der Auftritt von Tramhaus begonnen hatte. Trotz der warmen Temperaturen fielen einige Tropfen Regen, die aber nicht weiter störten.
Mein Eindruck beim Soundcheck hatte nicht getrogen, Tramhaus machten ordentlich Krach, was sich auch als richtungsweisend für fast alle weiteren im Laufe des Tages besuchten Acts erweisen sollte. Die fünfköpfige "Rotterdamer Postpunk-Sensation" (Zitat Programmheft) ließ mich die Ohrenstöpsel immer tiefer in meine Gehörgänge stopfen. Die Gitarristin trug ein musikalisch gut passendes Sonic Youth-Shirt. Sänger Lukas Jansen mag seinen Bandnamen offenbar sehr, denn auf seinen nackten Beinen konnte man eine tätowierte Straßenbahn erkennen. Zu "A Necessity" fragte er ins Publikum, ob wir auch alle die befreundete Band Personal Trainer am Vortag gesehen hätten - viele der Anwesenden jubelten zustimmend (wir selbst hatten Personal Trainer ursprünglich sehen wollen, den Besuch des Auftritts aber letztlich gestrichen).
Beim letzten Lied, "Minus Twenty", durfte eines der weiblichen Bandmitglieder laut schreien. Dieser Song gefiel meinem Freund auch am besten, und viele andere Zuschauer rockten bei dem Set eifrig mit.
Setliste:
Im Anschluss gingen wir ein letztes Mal zurück zur Gießhalle, wo nun Friedberg auftraten, eine Band aus Österreich (und nicht etwa der Stadt nahe Frankfurt, wie ich zunächst vermutet hatte) rund um die Sängerin Anna F. Es gab insgesamt vier Frauen an Gitarre, Bass und Schlagzeug, sowie die Sängerin, die selbst öfters zur Gitarre griff. Es handelte sich hier quasi um unseren Tages-Headliner (um 17:30 Uhr), denn diese Band war der Hauptgrund gewesen, den Sonntag als Festivaltag überhaupt zu besuchen.
Während die Gitarristin komplett in Adidas gekleidet war, trug Anna F. ein riesiges Basketball-Trikot. Alle Bandmitglieder außer Anna F. stammen aus Großbritannien. Die Adidas-Gitarristin war hier am auffälligsten und versuchte auch, einmal eine unfreiwillige Pause wegen technischer Probleme, auf Englisch zu überbrücken, indem sie erwähnte, dass es übrigens auch Merch gebe.
Zum Set gehörten Lieder des 2024er-Albums "Hardcore Workout Queen", sowie einige separate Singles und die Coverversion "Eisbär" von der schweizerischen Band Grauzone. All das kam sehr gut an, es wurde viel getanzt - und auch wir waren am Ende der Meinung, den besten Act des Tages gesehen zu haben. Die Britin verabschiedete sich auf Denglisch mit den Worten "Danke, dass ihr uns gehabt habt!" Wir waren auch froh, sie gehabt zu haben.
Setliste:
Wir waren schon länger nicht mehr angeschrien wollen, also ging es im Anschluss zu Big Special auf der Hochofenbühne. Das Duo aus Birmingham bestand aus zwei Männern, von denen einer als (Sprech-/Schrei-)Sänger fungiert, während der andere Schlagzeug spielt und alle weiteren benötigten Sounds per Laptop einspielt.
Der Drummer übernahm zudem die gesamte Kommunikation mit dem Publikum, er fragte etwa, ob jemand sie kenne und erklärte, der Auftritt sei gleichzeitig Start- und Endpunkt ihrer großen Europatour. Außerdem spielte er zwischen den Songs lustige Geräusche ab und erzählte in Bezug darauf, er arbeite außerdem an seiner Karriere als Hochzeits-DJ.
Das war jedoch gar nicht unsere erste Begegnung mit den Briten, denn wir hatten bei unserer Ankunft am Gelände gesehen, dass ihr Bus direkt vor dem Haupteingang geparkt war (was eigentlich natürlich nicht so gedacht war, für Musiker gab es einen speziellen Zugang, und hier hätte ohnehin niemand parken dürfen), während die Musiker sich an diesem nicht sonderlich privaten Ort umzogen.
Mein Freund hatte mir auf unserer Fahrt nach Duisburg einige Lieder des Duos vorgespielt, die alle in GROSSBUCHSTABEN betitelt sind, was angesichts Lautstärke und Dynamik durchaus passend ist. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, bei "SHITHOUSE" mitzubrüllen, tat das aber letztlich nicht. Auch sonst war der Auftritt des Duos nicht sonderlich erfolgreich, man spielte den Platz eher leer. Das hatten die beiden eigentlich nicht verdient, aber es war schon sehr laut. Auch wir zogen nach "SHITHOUSE" weiter.
Setliste:
I MOCK JOGGERS
DESPERATE BREAKFAST
THIS HERE AIN'T WATER
BLACK DOG/WHITE HORSE
DOMESTIC POLICE
Mein Freund steuerte unbeirrt zur nahe gelegenen Hochofenbühne, denn er hatte eigentlich sowohl Big Special also auch den sich damit überschneidenden Auftritt von The Molotovs sehen wollen - was an einem ansonsten eher unspektakulären Festivaltag natürlich Pech war.
Es war hier schon ordentlich laut, das Set hatte bereits begonnen und war gut besucht. In dem Gedränge verlor ich ihn und hatte sowieso keine große Lust mehr - ich drehte ab und wandte mich stattdessen dem Käsespätzle-Stand zu. Auf dem Weg dorthin stellte ich fest, dass sich zwischen Cowperplatz und Hochofenbühne, wo sich einige Verkaufsstände befanden, die Sounds von beiden Bühnen vereinigten und zu einer seltsamen Misch-Kakophonie-wurden, der ausgerechnet die vermutlich musikliebenden Betreiber des Vinyl-Standes ausgesetzt waren.
Mein Freund sah sich durchaus mit Begeisterung den restlichen Auftritt der Molotovs an. Die Band um ein Geschwisterpaar (plus Schlagzeuger) trug Team-Outfits in den Farben ihrer britischen Heimat, also blau-rot-weiß. Die beiden rockten mit vielen Posen ordentlich ab - weshalb sie sich, obwohl sie sicher einer der am wenigsten bekannten Acts des Festivals waren und auch noch kein Album veröffentlicht haben, ein begeistertes Publikum erspielten.
Anschließend schenkten wir uns den eigentlichen Hauptact des Tages (Von wegen Lisbeth) und fuhren nach Hause - auch so kamen wir erst gegen 22 Uhr dort an, nach einem auch mit Hotelübernachtungen recht anstrengenden, aber auch sehr schönen Wochenende. Selbst wenn dieses Mal die großen Namen eher spärlich gesät waren, sorgten das Ambiente und viele schöne Konzerte für ein gelungenes und entspanntes Festivalerlebnis.
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