Als mein Freund mir kurz vor dem vierten Adventswochenende eröffnete, er wolle mit mir zum Weihnachtskonzert von Erdmöbel in Darmstadt, das am Sonntag stattfand, war ich eher mittelbegeistert. Zwar hatte ich das Konzert in der Kölner Kulturkirche vor zwei Jahren durchaus in positiver Erinnerung, aber ich fühlte mich durch zahlreiche Weihnachtsvorbereitungen ohnehin schon geschwächt und hätte mich auch über einen Abend auf dem Sofa gefreut. Allerdings muss man angesichts des aktuellen sommerlichen Wetters ja für die Weihnachtsstimmung tun, was man kann, insofern war es sicherlich doch sinnvoll, den Weg nach Darmstadt und die kurze Nacht vor einem Arbeitstag in Kauf zu nehmen.
Die Kölner Band hatte als Vorband einen weiteren Kölner dabei, Eric Pfeil. Diesen weiß ich als Musikjournalist zu schätzen, sein Debütalbum "Ich hab mir noch nie viel aus dem Tag gemacht" ließ mich jedoch ratlos und genervt zurück. Seine aktuelle Veröffentlichung "Die Liebe, der Tod, die Stadt, der Fluss", kannte ich deshalb überhaupt noch nicht. In der Livedarbietung erschien mit das neue Werk im Vergleich zum Vorgänger erfreulich un-schlagermäßig, was sicherlich auch daran liegt, dass es sich um ein grundsätzlich eher deprimierendes Album handelt. Schon beim Betreten der Bühne warnte uns Pfeil, er sei hier, um uns die Weihnachtsstimmung auszutreiben.
So drehte sich dann auch "Die Stadt" um dringend verlassenswerte Städte und "Himmelwärts" darum, dass im letzten Jahr zu viele Pfeil nahe stehende Menschen gestorben seien. Zwischen den Songs machte Her Pfeil durchaus humorvolle Zwischenansagen, etwa, dass Erdmöbel vier Stunden spielen würden und anschließend eine Gothic-Schaumparty sei - mit schwarzem Schaum.
Setliste:
Königsmörder
Die Stadt
Marzipan in Michigan
Himmelwärts
Erdmöbel hatten bereits bei Pfeils letztem Song einen Kurzauftritt, sammelten sich direkt vor der Bühne, filmten ironisch Handyvideos des Sängers und forderten "Zugabe!". Schon jetzt war zu erkennen, dass man das letztjährige Kleidungsmotto "jeder etwas Goldenes" fortführte in Form von Hosenträgern (und einer neuen Fliege, Christian Wübben), Schuhen (Markus Berges), Blouson (Ekki Maas) und Krawatte (Wolfgang Proppe).
Das Darmstädter Konzert war das letzte der diesjährigen Weihnachtstournee, vielleicht waren Erdmöbel deshalb in ausgesprochen ausgelassener Stimmung und hatten es an diesem Sonntagabend auch überhaupt nicht eilig - das Konzert umfasste letztlich 20 Lieder und dauerte zweieinhalb Stunden - immerhin weniger als die von Eric Pfeil prognostizierte Dauer.
Erdmöbels Werke umfassen mittlerweile so viele Weihnachtslieder, dass eine entsprechende Tournee beinahe unumgänglich erscheint, denn wann sollte man all diese Songs über Schnee, Engel, Lametta und so weiter sonst spielen? Entsprechend fokussierte sich die Setliste zunächst fast ausschließlich aufs Weihnachtswerk, mit Ohrwürmern wie "Nonstop Christmas" (das ein Superfan im Publikum angeblich bereits den ganzen Tag lang gehört hatte) oder auch "Der letzte deutsche Schnee", mit dem man erklärtermaßen versuchte, ein etwas weihnachtlicheres Wetter herbei zu singen.
Zu vielen Liedern gab es "Hintergrundinformationen", etwa dass Russisch Brot nicht, wie von Markus Berges vermutet, aus Hannover stamme, sondern aus Ostdeutschland (ich persönlich hätte ja ganz naiv Russland vorgeschlagen). Zu "Melodika", das auf Platte der Schauspieler Ulrich Matthes singt, erklärte Berges, der Schauspieler habe Erdmöbel zwar gefragt, ob er bei einem Lied mitsingen dürfe, bei der Antwort "Ja, bei einem Weihnachtslied" aber erst einmal schlucken müssen. Matthes habe von seinem schlimmsten Weihnachten erzählt - nämlich dem, bei dem er 1970 trotz vorherigem intensiven Studieren des Quelle-Katalogs gegen seinen Wunsch eine Melodika geschenkt bekommen hatte. Er hätte sich auch erfolglos erbeten, dass dieses Instrument in "seinem" Lied nicht zum Einsatz komme.
Anschließend war dann das Publikum gefragt: Zu "Ding Ding Dong (Jesus weint schon)" eröffnete die Band samt Instrumenten im Zuschauerraum eine Polonaise, der sich die Publikumsmitglieder ungewöhnlicherweise am vorderen Ende anschließen sollten - was zu einer sehr langen, fröhlichen, aber nicht unbedingt sonderlich beweglichen Menschenkette führte. Hinterher bemerkte die Band, eine so enthusiastische Polonaise habe man nicht einmal in Köln erlebt.
Ein solches Kompliment war auch dringend erforderlich, denn vorher hatte sich Berges ein wenig mit seinen mangelnden Ortskenntnissen blamiert, indem er die Mathildenhöhe als „Theresienhöhe“ titulierte – Ekki setzte noch eins drauf, in dem er den dort befindlichen Hochzeitsturm scherzhaft in „Beerdigungsturm“ umbenannte.
Vor „Muss der heil’ge Nikolaus sein“ gab es eine weitere Gemeinschaftsaktivität, denn nun sollte das Publikum schnell die im Text genannten deutschen Bundeskanzler auswendig lernen und mitsprechen. Zum Thema Helmut Schmidt erklärte Ekki dabei, dass dieser zwar in späteren Jahren sehr verehrt worden sei, als Bundeskanzler aber nur Quatsch beschlossen habe (nämlich die Stationierung von Atomwaffen sowie Atomkraftwerke) und vor allem ihn, Ekki, als Demonstranten habe verprügeln lassen. Markus kommentierte dazu, diese Geschichte hätte Ekki bereits bei allen Auftritten erzählt, selbst in Hamburg, aber auch dort glücklicherweise erst nach der Polonaise.
Nun verstanden sich aber alle Beteiligten so gut, dass wenig später bei „Goldener Stern“ ein Drehtanz vorgeschlagen wurde, der erstmals beim Kölner Kinderweihnachtskonzert zum Einsatz gekommen war – was aber nichts machte, denn, so Ekki, Erwachsene und Kinder unterscheiden sich weniger voneinander als man häufig denkt.
Bei „Aufs Christkind“ wurde schließlich der Text mit Wünschen, die Ekki im Publikum erfragte und dann Markus auf die Bühne "lieferte", ergänzt, etwa mit „ein Lied ohne Städtenamen im Text“ (Wunsch von Eric Pfeil an die Band), „Hausaufgabenmaschine“ oder auch dem Wunsch nach einer Schwangerschaft. Mein Freund wurde ebenfalls angesprochen, versäumte es aber leider, "ein Wohnzimmerkonzert mit Erdmöbel" zu antworten.
Mit „Weihnachten (Last Christmas)“ endete schließlich der „Weihnachtsteil“ des Konzertes, die Band ging dabei von einer Seite der Bühne ab und kehrte von der anderen sofort wieder zurück. Nun folgten noch vier jahreszeit-unabhängige Hits, nämlich „Dreierbahn“, „In den Schuhen von Audrey Hepburn“, „Das Leben ist schön“ und zuletzt „Nah bei dir“. Natürlich musste auch nun wieder intensiv mitgesungen werden, insbesondere beim letzten Lied, für das sich auch Eric Pfeil, nun mit einer Bommelmütze, wieder auf der Bühne einfand, dann ging der sehr ausgelassene und lange Konzertabend zu Ende.
So richtig in Weihnachtsstimmung bin ich zwar nun immer noch nicht, aber Erdmöbel haben in dieser Hinsicht ganz klar ihr Bestes gegeben. Ob die Schaumparty noch stattgefunden hat, kann ich aber nicht sagen, wir mussten nach Hause und ins Bett...
Setliste:
Ich wollte, die Welt ginge immer bergab
Nonstop Christmas
Fräulein Frost
Der letzte deutsche Schnee
Blinker
Weihnachten in Tamariu
Russisch Brot
Melodica
Ding Ding Dong (Jesus weint schon)
Rakete zwischen den Jahren
Erster Erster
Muss der heil’ge Nikolaus sein
Lametta
Goldener Stern
Aufs Christkind
Weihnachten (Last Christmas)
Dreierbahn
In den Schuhen von Audrey Hepburn
Das Leben ist schön
Nah bei dir
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