Trennungslieder in der Weinstube: Enno Bunger in Offenbach

by - Mai 10, 2013

Nach fast vierzehn Jahren in Frankfurt habe ich selbstverständlich verinnerlicht, dass man Offenbach nur im absoluten Notfall - und dann kräftig lästernd - aufsuchen darf. Sachlich muss ich allerdings feststellen, dass meine durch Konzertbesuche notwendigen Offenbachbesuche mich stets in ausgesprochen coole Etablissements geführt haben. Hafen 2: eine entspannte Oase, Capitol: unheimlich schön und gestern die Weinstube: ein mit der Verstaubtheit des Namens ironisch spielendes Lokal. Allein die Stadthalle wird in ihrer trostlosen Hässlichkeit dem Bild, das man als Frankfurter von Offenbach hat, völlig gerecht. Immerhin!



In der Weinstube steht man auf alberne Wortspiele, so verfügt sie zum Betreten über einen "(W)eingang". Zu Enno Bunger passt das sehr gut, denn auch der Sänger hat kein Problem mit schlechten Wortwitzen, aber dazu später. Die Weinstube an sich vereinigt mühelos Kitsch und Coolness - etwa, indem an der Rückwand des Lokals ein weinstubentypisches Wandfresco mit irgendwelchen weintrinkenden Göttern zum Großteil von einem Plakat der alternativen Kulturinitiative "Offenbach am Meer" abgedeckt wird, das einen pinken Pudel zeigt.

Die kleine Weinstube, in der man sonst sicher gemütlich an Biertischen sitzt, war für das Konzert bestuhlt worden, und zwar so eng, dass wir bis zum Konzertbeginn gebannt den unintelligenten Ausführungen unseres Hintermanns gegenüber seiner Sitznachbarin folgen konnten, als säßen wir auf seinem Schoß. An der Bar konnte man sich neben Wein auch jedes andere erdenkliche Getränk besorgen und, wenn man sehr gut im Balancieren war, auch einen Flammkuchen.


Die Veranstaltungsreihe, in deren Rahmen das Konzert als insgesamt sechste Veranstaltung stattfand, nennt sich "Stubenkonzerte" - eine Versuch des Veranstalters Kai Schmidt, den deutschlandweit vorherrschenden Trend zum Wohnzimmerkonzert vor Ort einzuführen. Drei weitere Termine, unter anderem auch eine Lesung mit Oliver Uschmann, stehen bereits fest.

Enno Bunger hatte sein erstes Album noch mit Band präsentiert, das zweite, "Wir sind vorbei", ist ein Themenalbum über eine Trennung und wird passenderweise allein (und akustisch) dargeboten, auch von der Band hat er sich also getrennt. In Offenbach hatte er aber immerhin als Verstärkung den Musiker Onno Dreier dabei. Enno und Onno in der Offenbacher Weinstube also - klingt, als würde das Ganze von Florian Silbereisen präsentiert.

Gegen Viertel vor neun betrat der nicht gerade riesige Enno dann die eigentlich nicht vorhandene und somit auch nicht erhöhte Bühne der Weinstube und bestätigte, was ich bereits befürchtet hatte: Dass ich über die Sitzreihen hinweg genauso wenig sehen würde wie kürzlich bei Lana del Rey. Meinem Begleiter ging es nicht besser, so dass auch praktisch keine Fotos gemacht werden konnten.


Enno begann das Konzert wie angekündigt allein mit "Abspann" und "Roter Faden" vom aktuellen Trennungs-Album, dessen Arbeitstitel - erster Kalauer - angeblich "Enno Sunshine When She's Gone" war. Die danach folgende Vorstellung des Kollegen Onno (er ist schon früher häufig mit Enno Bunger aufgetreten, steht aber wohl nun kurz vor einer Emigration nach London). Onno begleitete Enno Bunger an diesem Abend an Gitarre, Keyboard und gelegentlich Schlagzeug.  Sein Auftritt führte dann gleich anschließend zum Wortspielfeuerwerk "Madonno" (weil Onno sonst angeblich größere Hallen bespielt) und später noch zu "Yoko Onno". Der Widerspruch zwischen den vielen Liedern  über gebrochene Herzen und der humorvollen Seite des Künstlers entpuppte sich dabei aber als nicht sonderlich stark - man kann ja auch traurig und witzig sein.

Mit "Leeres Boot", einem Instrumentallied, bei dem es sich möglicherweise um "Präludium" handelte und "Blockaden" folgten drei weitere Lieder von "Wir sind vorbei". Zu "Blockaden"erzählte Enno, die Single sei bei iTunes Single des Monats gewesen, und in den Kommentaren habe jemand kritisiert, der Song sei langweilig und es sei kein richtiger Rhythmus erkennbar, dabei habe das Lied einen 5/4 Takt, oder, in den Worten seines Gitarristen: "Zähl halt bis fünf, Du Arsch!"

Anschließend kam "Hier & Jetzt", das erste Lied vom Debütalbum "Ein bisschen mehr Herz", ein Lied, das laut Enno häufig von Paaren für ihre Hochzeit gewünscht wird, dabei gehe es in dem Song eigentlich um Fußball: Er habe es schon 2006 geschrieben, als er hörte, dass das deutsche Nationalteam vor den Spielen stets Xavier Naidoos "Dieser Weg wird kein leichter sein" hörte, also habe er den Spielern eine geschmackvollere Alternative anbieten wollen - erfolglos, wie ja letztlich auch die Nationalmannschaft.


Es folgte "Pass auf dich auf", ein Lied, das Bunger bekannt machte, weil er es in der Fernsehsendung "Inas Nacht" vorgetragen hatte - weshalb unintelligente Hamburger später von ihm forderten, den Song bei Rossmann in ihre Handykameras zu singen. Ein weiteres, auf dieses folgende Freundschaftslied, "Wahre Freundschaft", kann man laut dem Sänger als Hintergrundmusik etlicher Youtube-Videos zum Thema Freundschaft hören, die pubertierende Mädchen füreinander aufnehmen - angeblich hat Bungers Plattenfirma jemand eingestellt, dessen Vollzeitjob es ist, diese Videos löschen zu lassen.

Dass Enno Bunger erstens jünger als wir und zweitens nicht aus Hessen ist, zeigte sich, als er ein Cover ankündigte und der Geschäftsführer Azimet Avci selbstbewusst die Rodgau Monotones forderte. Das Publikum lachte, aber Enno verstand erst Boss Hoss, dann Molotow, dann die Wodka Monotones ("Kenn ich nicht, aber cooler Name"). Die eigentliche Coverversion entpuppte sich dann als "Bitte bleib bei mir" von Element of Crime, wurde von Onno am Akkordeon begleitet und reihte sich problemlos in die thematisch ähnlichen Eigenkompositionen des Abends ein.

Nach "Herzschlag" und "Die Flucht" war der Hauptteil des Konzertes vorbei, wobei eine Zugabe bereits angekündigt war und dann auch folgte. Vor dem letzten Lied "Ich möchte noch bleiben, die Nacht ist noch jung" sagte der Versanstalter durch, man solle die zahlreichen unter den Stühlen stehenden Gläser bitte mitnehmen, weil es in der Vergangenheit schon Verletzungen durch Scherben gegeben habe, was Enno Bunger mit "Hier sind schon genug verletzte Menschen" kommentierte.

Danach war endgültig Schluss, man hatte aber Gelegenheit, am Merchandisestand mit Enno zu sprechen und ihm seine Platten oder von ihm vorab belästerte modische Jutebeutel abzukaufen.


Als Fazit des Abends lässt sich sagen, dass die Weinstube, abgesehen von der Beengtheit (vielleicht sollte man die Stühle einfach weglassen, oder nur ein paar aufstellen) recht schöne Konzertbedingungen bot: Das Publikum war aufmerksam still, auch das Barpersonal machte während der Musik keinerlei Lärm. Die emotionalen, nur teils traurigen, sondern auch wütenden, frohen oder sentimentalen Lieder fanden so ideale Rahmenbedingungen.

Anlass unseres Besuchs war eigentlich gewesen, dass Enno Bunger zwar beim Maifeld Derby spielt, sich sein dortiger Auftritt aber mit dem von CocoRosie überschneidet. Vielleicht sehe ich ihn mir in Mannheim aber trotzdem noch einmal an, denn eigentlich würde ich die Lieder auch ganz gerne einmal mit Sicht auf die Bühne hören.

Setliste:

Abspann
Roter Faden
Leeres Boot
Instrumental
Blockaden
Hier & Jetzt
Pass auf dich auf
Wahre Freundschaft
Bitte bleib bei mir (Element of Crime Cover)
Herzschlag
Die Flucht

Astronaut
Regen
Ich möchte noch bleiben, die Nacht ist noch jung

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