Tag 3 des Norður Og Niður-Festivals verbrachten mein Freund und ich weitgehend getrennt, ich hatte nämlich noch einen Termin mit der beliebten Sehenswürdigkeit "Blaue Lagune", deren Besuch inklusive Hin- und Rückfahrt etwa einen halben Tag in Anspruch nahm.
Wir gingen den Tag aber langsam an und besuchten zunächst ein Café, um dann mittags gemeinsam die Harpa aufzusuchen. Dort spielte das Duo Hugar (ausgesprochen klingt dieser Name übrigens völlig anders, vom Namen des Festivals wollen wir erst gar nicht anfangen), das seine Musik als "Neo Classical Post Rock" bezeichnet. Während der Gitarrist Bergur Þórisson mit seinen langen Haaren an einen Rocker erinnerte, wirkte Pétur Jónsson, der abwechselnd Flügel und Keyboard sowie Posaune spielte, eher wie ein klassischer Musiker. Passt also.
Zu ihrer sehr ruhigen Musik - Rock konnte ich persönlich hier nicht viel erkennen - liefen auf einer Leinwand über der Bühne Projektionen, in denen sich gespiegelte Bilder von Eis- und Wasserlandschaften nach innen oder außen bewegten - ähnlich einem Kaleidoskop, oder auch einem Rorschachtest.
Hugar haben 2014 ihr Debütalbum veröffentlicht, laut der Setliste aber nur zwei Lieder daraus ("Segull", "Úti") gespielt. Der Rest war, laut Band, neuer, mit Ausnahme eine isländischen Weihnachtsliedes, das in der Interpretation von Hugar aber wenig weihnachtlich klang. Ich persönlich würde die Kombination aus sehr ruhiger Musik und meditativen Visualisierungen unter "ganz nett" verbuchen, mein Freund hatte mehr Freude daran.
Setliste:
Varða
Segull
Úti
Haf
Ró
Órói
A milli
Jólalag
Bræðingur
Twin Peaks
Für mich ging es anschließend ab zum Bus, mein Freund blieb in der Harpa. Das hat er zu berichten:
Eigentlich sollte um 16 Uhr der isländische Komponist Jóhann Jóhannsson in der Harpa vorstellig werden. Probleme mit der Anreise verhinderten jedoch leider seinen Auftritt, so dass recht spontan Ersatz gesucht und in drei Künstlern gefunden wurden, die auch solo beim Festival zu sehen waren. Mary Lattimore, Julianna Barwick und Alex Somers bildeten also zusammen so etwas wie die Avengers des Norður Og Niður Festivals und retteten den Freitag Nachmittag. Ihre Superheldenkräfte: Die Zuschauer einschlummern zu lassen.
Über rund 30 Minuten improvisierten sie eine Klanglandschaft, indem Lattimore an der Harfe zupfte, sie loopte oder sanft darüber strich, Barwick Keyboard- und Gesangswogen langsam an- und wieder abschwellen ließ und Somers zumindest etwas Bewegung ins Geschehen brachte, indem er zwischen Gitarre, Orgel und auf dem Boden befindlichen elektronischen Gerätschaften hin und her pendelte. Wenn Kevin Shields am Abend zuvor 70 % des Publikums aus "Silfurberg" hinaus gespielt hatte, dann versetzten die drei Avengers 70 % ihrer Zuhörer in "Norðurljós" in Tiefschlaf.
Direkt im Anschluss daran trat auch Kristín Anna, die wir am ersten Festivalabend bereits gesehen hatten, erneut auf, um das Fehlen von Jóhann Jóhannsson auszugleichen. Während sie den Großteil des Sets am Flügel verbrachte, wurde sie gelegentlich von männlichen Mitstreitern an Posaune, Tuba oder Trompete begleitet. Während der Song "Babe" nur zur akustischen Gitarre vorgetragen wurde, fiel besonders das dritte Lied, in dem ein auf dem Boden kauernder Musiker seinem Klapprechner seltsame Knirsch- und Störgeräusche entlockte, aus dem Rahmen und positiv auf. Ähnlich wie bei ihrem ersten Auftritt wurden die Songtitel spontan auf der Bühne ausgewählt und zwischen den Musikern kommuniziert. Ihr Set war auf 15 Minuten angesetzt, weil sie aber offensichtlich so viel Vergnügen daran hatte, spielte sie einfach eine ganze Stunde! Eine gute Entscheidung.
Zumindest hinsichtlich ihrer extravaganten Kleidung (futuristische Sneaker, roter, bauchfreier Jogging-Anzug mit Trompetenärmeln und Verzierungen) kann die junge Isländerin Sigrún die Vergleiche zu Björk rechtfertigen. Aus dem Klapprechner kamen experimentelle Klänge und elektronische Beats zu denen sie sang, wobei ich nicht klar unterscheiden konnte, ob englisch oder isländisch gesungen wurde oder es sich um reine Lautmalerei handelte. Mit 30 Minuten war der Auftritt von Sigrún, die bisher nur eine EP veröffentlicht hat, angemessen begrenzt.
Offensichtlich war der Tag der hockenden Knöpfchendreher und JFDR hatte gleich deren zwei mitgebracht. Rechts und links am Bühnenrand saßen während des Auftritts ein junger Mann mit Wintermütze am Moog und eine junge Dame an einer - so vorgestellten - „Noise Machine“. Im Zentrum des Geschehens stand jedoch die Sängerin und Songschreiberin Jófríður Ákadóttir, die man auch von Pascal Pinon oder Samaras kennt. Den Anlässen entsprechend (Weihnachten, Festival, Silvester) hatte sie, nach eigener Aussage, ihr glitzerndes Kleid herausgesucht, bei dem ihre beiden weiteren männlichen Mitstreiter nicht mithalten konnten, obwohl sie sich mit Lametta-Umhang bzw. -Krawatte alle Mühe gaben.
Gespielt wurden größtenteils Songs aus dem Debütalbum „Brazil“, darunter „Instant Patience“ und „Anything Goes“, aber u.a. mit „My Work“ auch nicht darauf enthaltene Lieder. Erst zum letzten Song erhoben sich alle Bandmitglieder und griffen zu Bass oder Gitarre und ließen das Konzert mit dem Sing-a-long „We had a good time“ ausklingen. Wir auch.
Zwischendurch konnte ich mit etwas Mühe einen Blick auf die Iceland Dance Company erhaschen. Ihr Auftritt in "Floi" war ziemlich beliebt, was sich mir aber weder während noch nach der Tanzeinlagen erschließen konnte. Was gab es in der zweiten Hälfte ihrer Darbietung zu sehen? Sieben junge Menschen, die guttural stöhnten oder wilde Schreie ausstießen, sich wie Zombies aus "The Walking Dead" über die Bühne bewegten, ein buntes Menschenknäuel bildeten, in Nebel gehüllt sowie von einer Person in Ganzköperanzug mit Luftschlangen beschossen und voneinander weggerissen wurden. Vier weitere Ganzkörperanzugträger mit Posaunen trugen wenig zu meinem Verständnis bei.
"Schräger kann es kaum noch werden", dachte ich mir auf dem Weg in den zweiten Stock der Harpa, wurde dort aber von Dan Deacon eines Besseren belehrt.
Für seinen Auftritt hatte der 36-jährige US-Amerikaner vor der Bühne einen vom Publikum umringten Tisch mit zahlreichen Gerätschaften aufbauen lassen. Mit ähnlicher Inbrunst wie ein Prediger im US-Fernsehen hielt er Reden, die die Zuschauer über den Ablauf der nun anstehenden Performance informieren sollte, denn diese sollte von ihnen durchgeführt werden! Während Dan Deacon experimentellen Elektro-Pop mit verzerrter Micky Mouse-Stimme vortrug, führte das Publikum zahlreiche Aktionen durch, die "Silfurberg" in ein Tollhaus verwandelten. 90% der anwesenden flippten komplett aus, 5% schüttelten ungläubig ihre Köpfe und 5% konservierten das Geschehen via Handy oder Kamera für die Nachwelt.
Denn man muss wirklich gesehen haben, wie Deacon die Menschen dazu animierte, in der Mitte der Halle einen Freirau zu lassen, in dem zwei von ihm ausgewählte Freiwillige tanzend wilde Verrenkungen vorführten, um nach 30 Sekunden an einen anderen tanzwütigen Zuschauer zu übergeben. Oder wie sich das Publikum in einer Saalhälfte versammeln sollte, damit zunächst einer zur gegenüber liegenden Wand laufen, sich dort abprallen und wieder zurück rennen sollte, um anschließend einen zweiten, dritten, vierten usw. Läufer abzuholen. Oder wie er die Zuschauer in zwei sich gegenüberstehende Gruppen einteilte, die zu einem Song allen Bewegungen von zwei Vortänzern folgen sollten. Oder wie... Man muss es einfach gesehen haben!
Denn man muss wirklich gesehen haben, wie Deacon die Menschen dazu animierte, in der Mitte der Halle einen Freirau zu lassen, in dem zwei von ihm ausgewählte Freiwillige tanzend wilde Verrenkungen vorführten, um nach 30 Sekunden an einen anderen tanzwütigen Zuschauer zu übergeben. Oder wie sich das Publikum in einer Saalhälfte versammeln sollte, damit zunächst einer zur gegenüber liegenden Wand laufen, sich dort abprallen und wieder zurück rennen sollte, um anschließend einen zweiten, dritten, vierten usw. Läufer abzuholen. Oder wie er die Zuschauer in zwei sich gegenüberstehende Gruppen einteilte, die zu einem Song allen Bewegungen von zwei Vortänzern folgen sollten. Oder wie... Man muss es einfach gesehen haben!
Erst kurzfristig wurde ein Vortrag von Jarvis Cocker ins Programm genommen, der "The Extraordinary" hieß und einerseits einen Rückblick auf sein Leben darstellte und andererseits aufzeigen sollte, dass jeder auf seine persönliche Art und Weise kreativ sein kann. Jarvis zeigte Bilder aus seiner Vergangenheit, rezitierte Songtexte, erklärte deren Entstehungsgeschichte und berichtete auf äußerst amüsante Art und Weise über Vorbilder, Einflüsse und seinen Werdegang.
Höhepunkt war aus meiner Sicht, dass Jarvis Cocker zur akustischen Gitarre den ersten, niemals aufgenommenen Pulp-Song "Shakespeare Rock" spielte. Bei deren zweiten Song, "Life Is A Circle", mussten wir uns mit einer Textprobe begnügen ("Life is a circle you're caught on, Life is a road that's much too long, It winds, goes ahead, It only stops when you're dead"), da er sich für diesen noch mehr schämte. Der kleine Raum "Rima" konnte dem Ansturm an Interessierten leider nicht gerecht werden, so dass es tatsächlich einige Unglückliche gab, die den Vortrag verpassten.
So wie mich, die von der Lagune direkt zur Harpa zurückgekehrt war in der Hoffnung, noch einen Teil des Jarvis-Vortrags hören zu können. Vor dem kleinen Raum hatte sich aber bereits eine Schlange gebildet, und der die Tür bewachende Ordner ließ nur jemand hinein, wenn jemand anderes ging - was quasi nicht vorkam. Erst für die letzten drei Minuten durfte ich schließlich doch hinein.
Gemeinsam besuchten wir nun, wieder einmal im Raum "Kaldalón", Julianna Barwicks Auftritt. Mein Freund hatte sie an diesem Tag ja bereits einmal in Kombination mit Alex Somers und Mary Lattimore gesehen, für mich war es die erste Begegnung. Barwick gehört wie Mary Lattimore zum Freundeskreis von Jónsi und Alex Somers in Los Angeles, Somers ist auch ihr Produzent. Ihr Set bestand aus erstaunlich (um nicht zu sagen unangenehm) lauten Synthesizerklängen mit verzerrtem Gesang, dazu gab es wieder einmal eine visuelle Untermalung, die in diesem Fall aus changierenden, ineinander übergehenden und sich wiederholenden Fotos bestand.
Das Ganze war leider überaus langweilig, und weil es auf der Bühne so dunkel war, konnte man nicht einmal ein Foto machen. Das gelang uns erst am nächsten Tag, als Barwick nochmals einen Auftritt in einem der Foyers hatte.
Zuletzt besuchten wir noch einen der Headliner des Tages, Mogwai. Die schottische Band hatten wir im vorletzten Sommer in Stockholm gesehen, damals hatten sie musikalisch den Film Atomic, Living in Dread and Promise untermalt. Dieses Mal wurde, ganz untypisch für das Festival, auf Videoeinblendungen verzichtet.
Der Raum "Silfurberg" war dieses Mal gut gefüllt, und anders als bei Kevin Shields am Vorabend setzte auch keine Fluchtwelle ein, als die Band spielte - dabei sind natürlich auch Mogwai keine leise Band und nutzten das gleiche Verstärkerarsenal wie am Vorabend Shields.
Als die Musiker die Bühne betraten, waren wir zunächst verwirrt: Seit wann war denn eine Frau in der Band? Sie entpuppte sich als die Schlagzeugerin und war zudem ein bekanntes Gesicht: Cat Myers hatten wir letzten Sommer als die Drummerin des (ebenfalls schottischen) Duos Honeyblood gesehen. Bei Mogwai vertritt sie aktuell bei Liveauftritten den regulären Schlagzeuger Martin Bulloch.
Mogwai sind hauptsächlich eine Instrumentalband, tatsächlich gab es an diesem Abend aber auch mehrere Titel mit Gesang: Stuart Braithwaite, der auch die Kommunikation mit dem Publikum übernahm (die in diversen "Thank you"s und "Takk"s bestand), sang bei "Party in the Dark"
und "Take Me Somewhere Nice". Barry Burns, der ansonsten Keyboard spielte, sang bei "Hunted by a Freak" und "Killing All the Flies" ebenfalls, allerdings elektronisch verfremdet und - zumindest für mich - kaum hörbar.
Neben Cat Taylor war noch ein nicht-reguläres Mitglied dabei: Alex Mackey spielte häufig Gitarre und nahm ansonsten die Rolle des "Jungen für alles", bei "Auto Rock" trommelte er beispielsweise. Überhaupt fand auf der Bühne ein recht ausgiebiger Instrumentetausch, bis auf die Schlagzeugerin spielten stellenweise alle Gitarre beziehungsweise Bass, vor allem bei "New Paths to Helicon, Pt. 1", einer raren Single von 1997 und auch bei "Mogwai Fear Satan", den beiden ältesten Songs des Sets - die gleichzeitig auch die lautesten waren! "Mogwai Fear Satan" hatte zudem einen kleinen Schockeffekt, da die höchste Lautstärke sehr plötzlich und nach einer kleinen Pause einsetzte.
Insgesamt ein schönes Set, bei dem verständlicherweise hauptsächlich das aktuelle Album "Every Country’s Sun" bei der Songauswahl berücksichtigt wurde.
Setliste:
Hunted by a Freak
Crossing the Road Material
Party in the Dark
Take Me Somewhere Nice
Coolverine
New Paths to Helicon, Pt. 1
Every Country's Sun
Killing All the Flies
Don't Believe the Fife
Auto Rock
Mogwai Fear Satan
Old Poisons
Remurdered
We're No Here
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