Neulich unterm Vollmond: Peter Gabriel in der Frankfurter Festhalle

by - Juni 18, 2023


So langsam kommen die Musiker meiner Jugend in ein Alter, in dem man zusehen muss, für irgendwann in der Zukunft geplante Live-Erlebnisse auch anzugehen - wer weiß schon, wie lange sie überhaupt noch auf Tournee gehen? So beschloss mein Freund, dass es dieses Jahr allerhöchste Zeit sei, ein Konzert des mittlerweile 73jährigen Peter Gabriel zu besuchen, sonst müsse sein Name womöglich dauerhaft auf der Bucket List verbleiben. 



Dank eines Pre-Sales für Fans konnten wir Tickets für einen abgegrenzten Vorbühnenbereich ergattern. Dennoch trafen wir recht früh in der Festhalle ein, denn auch hier konnte man natürlich auch eher schlechte Stehplätze ergattern. Es galt also zunächst, eine nicht unerhebliche Wartezeit zu überbrücken, aber nicht nur ein im Publikum umhergehender Eisverkäufer wollte den Fans die Wartezeit versüßen - auch Peter Gabriel, der bei dieser Tournee keinen Support Act dabei hat, hatte sich offenbar etwas überlegt: Über der Bühne hing eine riesige runde LED-Wand. Auf dieser erschien ab 80 Minuten vor Konzertbeginn eine Uhr ohne Zeiger. Ein durch das Zifferblatt verschwommen sichtbarer Mann im Overall zeichnete erst mit einer Farbrolle die Zeiger ein, anschließend malte er den Minutenzeiger jede Minute so neu, dass immer die aktuelle Zeit angezeigt wurde - alle paar Minuten musste er zusätzlich auch den Stundenzeiger leicht versetzen.

Das Ganze war selbstverständlich ein Video, aber dank der Qualität der Projektion konnte man sich auch einbilden, hier hinge tatsächlich eine Uhr mit einem Mann in ihrem Inneren... den Zuschauern gefiel das natürlich sehr gut, viele machten Fotos oder drehten Videos.



So ließ sich die Wartezeit bis 20 Uhr dann doch ganz gut überbrücken - pünktlich betrat Gabriel, der wie seine siebenköpfige Band ganz in schwarz gekleidet war, zunächst allein die Bühne. Kurz vorher hatte ein Bühnenmitarbeiter etwas Rauchendes gebracht und damit auf der Bühne ein Lagerfeuer entzündet (unwillkürlich musste ich an ein Erdmöbel-Konzert vor vielen Jahren denken, bei dem das Entzünden eines einzigen Streichholzes den Feueralarm ausgelöst und die Veranstaltung beendet hätte). Mein Freund hatte mir bereits vorab erzählt, dass Gabriel Deutsch spricht, insofern war ich nicht allzu überrascht darüber, dass der Künstler zunächst in dieser Sprache einen Text vorlas. 



In der Ansprache ging es um den Verlauf der Zeit und das Älterwerden - Gabriel nahm auch Bezug auf die Avatar-Show von Abba und behauptete scherzhaft, auch er sei nur als Avatar erschienen und befinde sich eigentlich in Griechenland am Strand. Anders als Abba, deren Avatare 20 Jahre jünger und 10 Kilo leichter seien, habe er das umgekehrt gehandhabt und sei in Wirklichkeit 20 Jahre jünger und 10 Kilo leichter als sein Avatar.



Im Anschluss wollte der Sänger eigentlich im Kreis mit seinen Mitmusikern um das Lagerfeuer sitzen und hier den ersten Song vortragen - aber die Technik streikte, das mobile Keyboard, das er gebraucht hätte, wollte nicht und ließ sich auch von den Bühnentechnikern nicht zum Leben erwecken. Leicht genervt gab Gabriel auf und trug die ersten beiden Songs vom stationären Keyboard aus vor - was den Lagerfeuereffekt natürlich etwas schmälerte. Die runde Scheibe über der Bühne zeigte dabei einen riesigen zu- und abnehmenden Mond.



Gabriels aktuelle Tournee verfügt über eine eigentlich komplett feststehende Setliste, die er allerdings für die Termine in deutschsprachigen Ländern angepasst hat: Hier trägt er als ersten Song "Jetzt kommt die Flut" vor, die deutschsprachige Version von "Here comes the flood" (den übersetzten Song hat er einst als Singlerückseite von "Spiel ohne Grenzen" ("Games without frontiers") veröffentlicht). Dieser ersetzte in der Setliste "Washing Of The Water". Der zweite akustisch am Bühnenrand dargebotene Song war "Growing Up".

Was man unbedingt zu dieser Tournee wissen sollte, ist, dass es sich keineswegs um eine Abschiedsveranstaltung handelt, bei der ein bekannter Künstler nochmals die Highlights seiner Musikkarriere vorträgt - auch, wenn das vielen Konzertbesuchern vermutlich am liebsten gewesen wäre. Peter Gabriel hat zwar vor 21 Jahren sein letztes Album herausgebracht, arbeitet aber nun an einem neuen. Seit Januar veröffentlicht er zu jedem Vollmond einen Song der kommenden Platte "i/o", also bislang sechs - auf die Setliste des Abends schafften es sogar 11 der neuen Lieder. Gabriel nahm also billigend in Kauf, dass ein nicht unerheblicher Anteil der von ihm vorgetragenen Songs dem Publikum unbekannt war.



Nach den ersten beiden Liedern wurde die runde Videoleinwand weiter nach oben gezogen und gab die Bühne in ihrer vollen Tiefe mit allen Instrumenten frei. Im Bühnenhintergrund kamen nun weitere neun LED-Screens zum Einsatz, die beweglich waren und mal Bilder, mal Videos anzeigten (nicht ganz unähnlich zum aktuellen visuellen Arrangement der Pet Shop Boys). Vielfach waren die graphischen Untermalungen der Songs von Künstlern geschaffen worden, beispielsweise Ai Wewei, die Gabriel auch einige Male namentlich nannte. Auch seine Bandmitglieder (mit denen er zum Teil schon 50 Jahre musiziert) stellte er gleich mehrmals namentlich vor: Richard Evans (E-Gitarre), Manu Katché (Schlagzeug), Tony Levin (E-Bass), Don McLean (Don-E) (Keyboards), David Rhodes (E-Gitarre), Josh Shpak (Blasinstrumente, Keyboards und Ayanna Witter-Johnson (Cello, Keyboard). Marina Moore (Violine, Bratsche) fehlte an diesem Abend. 



Nach dem akustischen Einstieg folgten gleich drei neue Songs und erst mit "Digging in the Dirt", welches er dem medizinischen Personal einer Klinik in Tübingen, in der er vor einigen Jahren behandelt wurde und das an diesem Abend anwesend war, widmete, ein bekanntes Lied. Man bekam insgesamt den Eindruck, dass Peter Gabriel ein ausgesprochen wertschätzender Mensch ist. 



Für die Publikumsstimmung war die Tatsache, dass so viel neues Material gespielt wurde (es schlossen sich erneut drei unbekannte Lieder an), natürlich ein Dämpfer, die neuen Songs wurden verhalten bis wohlwollend aufgenommen. Gut, dass zumindest die visuelle Untermalung der Lieder immer wieder für Spannung sorgte. Richtige Begeisterung kam aber erst beim letzten Song der ersten Konzerthälfte auf, und auch auf den Rängen mit Sitzplätzen wurde aufgestanden und getanzt - zu "Sledgehammer". Auch Gabriel selbst hatte dazu gemeinsam mit dem Gitarristen David Rhodes und dem Bassisten Tony Levin eine kleine Choreographie eingeübt.



Nach einer angekündigten, 20minütigen Pause folgten weitere zehn Songs, mir machte allerdings die Hitze und Stickigkeit des Abends zunehmend zu schaffen. Im Nachhinein bestätigte mein Freund ebenfalls, dass er zum selben Zeitpunkt mit der schlechten Luft zu kämpfen hatte und sich extra strecken musste, um noch ein bisschen Sauerstoff erreichen zu können... für mich war somit in den Luftschichten weiter unten noch weniger übrig! Für die Darbietung von "Don't Give Up", das Gabriel in Ermangelung von Kate Bush mit der Sängerin Ayanna Witter-Johnson vortrug, wurde die Bühne farblich in zwei Hälften geteilt, die beiden Duettpartner bewegten sich aufeinander zu und trafen sich schließlich auf einem Steg im Hintergrund.

Das hielt ich noch aus, beschloss aber aus Angst, irgendwann umzukippen, nach dem visuell ebenfalls wieder sehr spannenden "Red Rain" an den Rand der Halle zu gehen, wo die Luft prompt viel besser und auch kühler war - und der Sound deutlich schlechter. Die Erfahrung bezüglich des schlechteren Sounds im Randbereich hatte ich in der Festhalle vor einigen Jahren bereits bei Coldplay machen müssen. In kurzem Abstand mussten die hier stationierten Sanitäter zwei andere Besucherinnen heraustragen - da hatte ich wohl nochmal Glück gehabt.  



"And Still" widmete Gabriel seiner verstorbenen Mutter, bei "Big Time" feierte wieder die ganze Halle mit und zeigte Gabriel, dass er auch im hohen Alter noch temporeich über die Bühne joggen kann. Der Hauptteil wurde mit dem Klassiker "Solsbury Hill" abgeschlossen und man fragte sich unwillkürlich, wie toll die Stimmung gewesen wäre, wenn statt einiger der unbekannten Songs auch "Games without Frontiers", "Shock the Monkey" oder "Mercy Street" gespielt worden wären.



Ohne lange Wartezeit folgte mit "In Your Eyes" eine erste umjubelte Zugabe. Wenig später kamen die Musiker für "Biko", das häufig Konzerte von Peter Gabriel abschließt, auf die Bühne zurück. Für den letzten Song des Abends war die Bühne ganz in dunkel und rot getaucht, langsam wurde ein Bild des südafrikanischen Bürgerrechtlers auf der runden Leinwand eingeblendet, die Musiker standen still, sangen, streckten immer wieder ihre rechten Arme in die Luft und verließen zu Manu Katchés Rhythmen nach und nach die Bühne. 



Einerseits natürlich schade, dass so wenige Crowdpleaser ihren Weg in die Setliste gefunden hatten, andererseits ist es auch schön zu sehen, wie ein Künstler mit Anfang 70 offenbar noch diverse neue kreative Pläne verfolgt.


Setliste:

Hier kommt die Flut
Growing Up
Panopticom
Four Kinds of Horses
i/o
Digging in the Dirt
Playing for Time
Olive Tree
This Is Home
Sledgehammer

Darkness
Love Can Heal
Road to Joy
Don't Give Up
The Court
Red Rain
And Still
Big Time
Live and Let Live
Solsbury Hill

In Your Eyes

Biko


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