In den letzten Jahren hat mein Haushalt einige Konzerte "älterer" Künstler besucht, etwa von Midge Ure, Pet Shop Boys und Peter Gabriel - mal davon abgesehen, dass Die Ärzte, Slowdive und Depeche Mode natürlich auch nicht mehr die Allerjüngsten sind. Und, wo wir schon dabei sind, ich ebenfalls nicht. Ganz so alt wie letzten Dienstag bei OMD war mir unsere Publikumsumgebung aber noch nie vorgekommen.
Das bringt mich zum Unterschied zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, denn während ich früher noch über Geschichten lachte, in denen Leute erzählten, dass die Oma sich im Altenheim darüber beschwert hätte, dort nur von alten Menschen umgeben zu sein, bin ich nun auch innerlich vielleicht Mitte 30, in der Realität aber fast 20 Jahre älter. Und so sahen mein Freund und ich uns verstohlen im alterstechnisch recht fortgeschrittenen Publikum der Offenbacher Stadthalle um und überlegten, ob wir nun wirklich die jüngsten Personen im Raum oder nur blind für unsere eigene Runzeligkeit waren. Aber da mir niemand das Gegenteil beweisen kann, behaupte ich hier einfach, dass wir abgesehen von einigen mitgebrachten (Enkel-)kindern unter den Jüngsten waren.
Das zumindest, bis die Vorband Walt Disco die Bühne der nach wie vor unfassbar hässlichen Stadthalle betrat. Das Quartett aus Schottland besteht aus vier unbestreitbar jungen Männern, allesamt eher ungewöhnlich gekleidet - Sänger James Potter trug zur Bundfaltenhose im Stil der 1950er Jahre Unterhemd, Make-Up und Ohrringe und erinnerte mich mit seiner Androgynität ein wenig an den jungen Brett Anderson. Der Keyboarder war gleich in Frauenkleidung angetreten. Etwas im Stilbruch zu den offenbar gut durchdachten Outfits stand ein über das Keyboard gehängtes, selbst mit Bandschriftzug bemaltes Bettlaken, das eher nach Schülerband aussah.
Musikalisch musste ich bei den dargebotenen Songs erst an die Talking Heads, dann an Sparks denken, stilistisch waren sie sehr abwechslungsreich: Wir hörten Balladen, Elektro und auch Rock, jeweils mit theatralischem Gesang. Auffällig fand ich das Selbstbewusstsein der Band und insbesondere des Sängers, der sich trotz eines am Anfang durchaus verhaltenen Publikums ganz als Rockstar gab und unheimlich viel Bühnenpräsenz und Show mitbrachte - gut, die Band hat auch bereits Duran Duran unterstützt, in vermutlich größeren Hallen als der in Offenbach - was Potter nicht daran hinderte, den Stadtnamen gleich mehrfach auszurufen.
Das, die Musik, diverse Mitklatsch-Aufforderungen und einige Tanzchoreographien halfen dabei, das Publikum nach und nach zu überzeugen, der Applaus nahm zum Ende hin hörbar zu. Ich selbst war von der Musik nicht sonderlich angetan, aber von der Band zumindest beeindruckt.
Setliste:
Gnomes
Cut Your Hair
Come Undone
How Cool Are You?
Pearl
Black Chocolate
Macielnt
Weightless
OMD gehören nicht zu den Bands, die einfach noch einmal mit ihren größten Hits aus dem letzten Jahrtausend auf Tournee gehen. Seit der Wiedervereinigung des lange zerstrittenen Duos im Jahr 2006 sind bereits vier Alben erschienen, das neueste, "Bauhaus Staircase", im letzten Jahr. Die zugehörige Tour läuft bereits seit dem letzten Jahr, seit der Wiederaufnahme nach einer Weihnachtspause wurden fünf weitere Lieder der aktuellen Veröffentlichung in die Setliste aufgenommen - insgesamt sind es nun sieben.
Beinahe pünktlich um 21 Uhr begann der Auftritt des Hauptacts mit dem Instrumentalsong "Evolution of Species", es folgte ein Video, das den aktuellen Song "Anthropocene" untermalte - sowohl das Lied als auch das Video ließen starke Erinnerungen an Kraftwerk aufkommen. Die Band betrat dazu die Bühne - Sänger Andy McCluskey nahm den vorderen Bühnenrand ein, während sich die restliche Band auf Podesten befand: Mit-Bandmitglied Paul Humphreys bediente den rechten von zwei Synthesizern, am linken befand sich Martin Cooper, der schon in den 1980er Jahren zehn Jahre lang bei OMD gespielt hat und auch die Saxophonpassagen von zwei Songs ("So In Love" und "If You Leave") übernahm. Auch Drummer Stuart Kershaw ist ein alter OMD-Bekannter und war bereits 1993 kurz bei der Band (das war allerdings in der Zeit, als Paul Humphries nicht dabei war). Hinter den Musikern befand sich eine Art Triptychon aus LED-Screens.
Zunächst sah es so aus, als würde McCluskey den Austausch mit dem Publikum allein übernehmen, er ging viel auf und ab, tanzte, verdrehte die Arme und griff gelegentlich zum Bass. Dabei fühlte er sich auch als Animateur, forderte uns zum Klatschen, Tanzen, Springen und Winken auf (die ganzen vorhandenen Krückstöcke und Rollatoren waren ihm wohl entgangen...) und sprach auch einige Brocken Deutsch.
Die Videoscreens zeigten Videos und thematisch passende Animationen zu den vorgetragenen Songs, beim Hit "If You Leave" bekamen wir Bilder von Molly Ringwald aus dem Film "Pretty in Pink" zu sehen, auf dessen Soundtrack er enthalten ist - und den ich, wie sicher viele der Anwesenden, 1986 im Kino gesehen hatte.
Danach gab es einen Wechsel: McCluskey wechselte zum Synthesizer, Humphreys durfte nach vorne und hier "(Forever) Live and Die" aus demselben Jahr singen. Hinten am Synthesizer schien es derweil Probleme zu geben, McCluskey beschwerte sich im Nachhinein, dass ihn Humphries offenbar vor seinem Ausflug ins Rampenlicht ausgeschaltet hatte und bezeichnete ihn scherzhaft als "Bastard" - wenig später, als Humphries zurück am Synthesizer seine für den Gesang abgelegte, sichtlich dicke Brille wieder aufsetzte, setzte er "blind Bastard" nach.
Bei "(Forever) Live and Die" hatte sich leider gezeigt, dass die Stimme des 63jährigen Paul Humphreys arg brüchig war - vermutlich der Grund dafür, dass er neben diesem nur einen weiteren Song zum besten gab, dieses Mal vom Synthesizer aus: "Souvenir". Dieses Lied war das erste von drei angekündigten des Albums "Architecture & Morality" von 1981, die beiden anderen waren, gleich hintereinander gespielt, die beiden "Joan of Arc"-Songs - schon erstaunlich, dass die Band damals zwei annähernd gleichnamige Songs auf dasselbe Album gepackt hat. "Joan of Arc (Maid of Orleans)" bildete dabei vielleicht den Höhepunkt des Auftritts und wurde mit viel Applaus bedacht.
Nach einer sehr kurzen Pause änderte sich das Bühnen-Arrangement: Für den neuen Song "Veruschka" versammelten sich alle vier Musiker in einer Reihe stehend am vorderen Bühnenrand, mit Mini-Keyboards und elektronischem Schlagzeug - und erinnerten so ein weiteres Mal stark an Kraftwerk.
Vor "Don't Go" erklärte McCluskey, jetzt sei es aber genug mit Kultur, es folge nun Tanzmusik. Auch dieser zweite Teil enthielt alte Fan-Favouriten, etwa "So In Love" (begleitet von Herzchen auf den Videoscreens) und "Dreaming", der letzte Song war das vielleicht bekannteste OMD-Lied "Enola Gay".
Auch für eine Zugabe war die Band nach beachtlichem Applaus noch zu haben und arbeitete sich von dem etwas schlager-igen, aktuellen "Look At You Now" über "Pandora's Box" von 1991 zur ersten OMD-Single überhaupt von 1979 zurück, "Electricity" - McCluskey hatte den Song auf Deutsch als "sehr alt und sehr schnell" angekündigt.
Als wir danach mit den anderen alten Leuten die Halle verließen, erzählte hinter uns eine aufgeregte Hessin ihrer Begleitung, bei der Musik habe "kein Unnerschied" zwischen Plattenaufnahme und Live-Darbietung bestanden, hinsichtlich der Stimmen und allem. So ganz konnten wir dieser Aussage nicht zustimmen - die dünne Stimme von Paul Humphreys hatte ich bereits erwähnt, doch auch Andy McCluskey hat, was ja auch völlig verständlich ist, im Laufe von 44 Jahren Musikkarriere stimmlich hörbar abgebaut.
Dennoch konnte mein Freund mit diesem Konzertbesuch - die Tickets hatte er sich zu Weihnachten gewünscht und bekommen - befriedigt einen Eintrag auf seiner Bucket List abhaken, die nach meinem Kenntnisstand in dieser Alterskategorie noch Konzertbesuche bei Duran Duran, Camouflage (Begleitung gesucht), Eurythmics und Kate Bush enthält (die letzten beiden nur theoretisch).
Setliste:
Messages
Tesla Girls Bass
Kleptocracy
History of Modern (Part I)
If You Leave
(Forever) Live and Die
Bauhaus Staircase
Souvenir
Joan of Arc
Joan of Arc (Maid of Orleans)
Veruschka
Healing
Don't Go
So in Love
Dreaming
Locomotion
Sailing on the Seven Seas
Enola Gay
Look at You Now
Pandora's Box
Electricity
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