Am Freitagabend war es wie erwähnt spät geworden, zum Glück konnten wir am Samstag ausschlafen, bevor wir nachmittags zum Festivalgelände zurückkehrten und um 17 Uhr auf der Cowperbühne unseren ersten Act des Tages sahen: Christin Nichols. Ich war vor unserer Ankunft ein wenig besorgt gewesen, da es schon wieder ein sehr heißer Tag war – vor Ort zeigte sich, dass der Publikumsbereich jedoch im Schatten der Industrieanlagen lag, hier war es gut auszuhalten. Die Musiker hatten allerdings weniger Glück, auf die Bühne knallte die Sonne ungehindert.
Christin Nichols ist eine deutsch-britische Sängerin und Schauspielerin, die in Berlin lebt. Sie hat mittlerweile zwei Alben veröffentlicht, die sich textlich viel mit persönlichen Themen beschäftigen. Ungeachtet der Sonnensituation trugen die drei mitgebrachten Musiker schwarz und sogar Blazer (einer wurde allerdings sehr schnell abgeworfen), Nichols selbst hatte sich ein ebenfalls schwarzes Kleid ausgesucht, das aber zumindest kurz war. Außerdem stand sie nahe bei einem Ventilator.
Den Hauptberuf als Schauspielerin merkte man ihr durchaus an – sowohl ihre Tanzbewegungen als auch ihre Zwischenansagen wirkten auf mich zwar durchaus natürlich, aber auch vorbereitet und durchdacht. So hatte sie dem Publikum ein paar Wasserflaschen und Sonnencreme mitgebracht, die sie den vorderen Reihen zuwarf – hoffentlich hatte sie sich vorher auch selbst eingecremt!
Zu "Sieben Euro Vier", das einen Lottogewinn in dieser Höhe zum Inhalt hat, wurden wir gefragt, ob wir auch Lotto spielten - ein Zuschauer jubelte enthusiastisch. Bei "Kein Anschluss", fragte Nichols, wer noch bei Facebook sei - das Lied dreht sich um das Gefühl, in der schnelllebigen Social Media-Welt nicht mitzukommen. Persönlicher wurde es bei "Citalopram" - die Sängerin wollte wissen, wem das Medikament (es handelt sich um ein Antidepressivum) vertraut sei, und warf auch gleich noch einige andere Handelsnamen des Wirkstoffs in die Runde. Nach einigen zögerlichen Meldungen stellte sie fest, dass die Duisburger wohl generell glücklich seien.
"Today I Choose Violence", eine Aneinanderreihung von sexistischen Kommentaren aus dem Internet, widmet die Künstlerin normalerweise Männern, die sie für würdig erachtet (Till Lindemann wurde als Beispiel genannt). An diesem heißen Nachmittag fiel ihr spontan aber niemand ein, der es aktuell besonders verdient hatte.
Mit "In Ordnung" endete der kurze, aber gute Auftritt, einer der Musiker hatte uns noch bescheinigt, dass es stark sei, dass wir bei der Hitze so gut durchhielten. Das Kompliment konnten wir auch zurückgeben.
Setliste:
Die junge Musikerin, die privat Catharina Schorling heißt, trug blaue Sportkleidung unter einem wallenden, durchsichtigen weißen Kleid, dazu auffällige hellblaue Stiefel - und sie war so blond, dass ich die Deutsche zunächst für eine Skandinavierin hielt. Sie hatte drei Musiker dabei, die Gitarre, Bass und Schlagzeug spielten.
CATT begleitete sich selbst an der Gitarre und - hauptsächlich - am Keyboard. Überraschend war, dass sie auch des Öfteren zu Trompete und Posaune griff, einige Takte spielte und loopte. Dabei strahlte sie so viel Fröhlichkeit und Positivität aus, dass sie sicherlich kein Citalopram benötigte.
Die Künstlerin hat bereits vier Alben veröffentlicht, das vorletzte - "Changes" - wurde mit dem VIA Award als bester Act und bestes Album ausgezeichnet. Wir hörten sommerlichen Folk Pop, der beim Publikum trotz Hitze sehr gut ankam, die Sängerin lobte die wilden Tanzbewegungen, die sie von der Bühne aus vor allem zu "Willow Tree" beobachten konnte. Uns war das alles allerdings ein bisschen zu glatt.
Setliste:
Nun konnten wir uns in einer Pause fürs Abendessen wieder stärken, dann gab es ein Wiedersehen mit Efterklang, die wir zuletzt erst Anfang Juni beim Maifeld Derby gesehen hatten. Diesen Auftritt wollten wieder viele Besucher sehen, vor der Halle hatte sich eine ordentliche Schlange gebildet. Die Gießhalle verfügt direkt vor der Bühne über ebenerdige Stehplätze, dahinter erhebt sich eine Tribüne, auf der man auf mehreren Ebenen stehen kann. Wir wählten Plätze im ersten Drittel des stufigen Bereichs.
Natürlich waren wir wieder gespannt auf die Outfits und wurden nicht enttäuscht. Dieses Mal eröffneten der Bassist und der Schlagzeuger den Auftritt allein. Casper Clausen schien, als er dann die Bühne betrat, direkt vom Strand zu kommen - er trug ein weites Hemd, kurze Badeshorts und einen Strohhut, dem er glaube ich ein Traumfest-Bändchen als Hutschnur gebastelt hatte. Seine blauen Schlappen hatten wir bereits in Mannheim gesehen. Die restlichen Bandmitglieder waren weniger auffällig gekleidet als beim Maifeld Derby, Mads Brauer trug allerdings ein T-Shirt mit der Aufschrift "Women's Rights are Human Rights". Nach kurzer Zeit waren drei Viertel der Bandmitglieder barfuß.
Zu meiner Überraschung wurde eine leicht veränderte Setliste gespielt als beim letzten Mal gehört hatten, das Konzert begann mit dem mir unbekannten "Cutting Ice to Snow", bevor viele, aber nicht alle Songs folgten, die auch in Mannheim gespielt worden waren - "Sedna" war dieses Mal nicht dabei. Dafür bekamen wir den Schlagzeuger namentlich vorgestellt: Er heißt Tatu.
Nach "Modern Drift" erzählte Clausen, Efterklang hätten schon einmal beim Traumzeit gespielt, das sei schon viele Jahre her - aber auch damals sei man am selben Tag aufgetreten wie The Notwist, die er sehr möge. Zu "Hold Me Close When You Can" ging er singend am Zuschauerraum entlang und stieg schließlich eine Treppe am Rand hinauf bis zu einer kleinen Plattform. Rasmus Stolberg war von diesem Ausflug offenkundig überrascht. Er folgte ihm, nahm aber dieses Mal nicht die Fahne mit (die auch wieder dabei war), sondern filmte eifrig mit - das Video konnte man später in Efterklangs Instagram-Feed sehen. Ein Fotograf erklomm ebenfalls die Empore und wurde von Clausen geknuddelt.
Zu "The Ghost" erfuhren wir, dass Clausens seltsame blaue Pantoffel eine Zweitfunktion hatten, er klatschte mit ihnen nämlich - unter erheblicher Staubentwicklung - den Rhythmus ein. Mein Freund hatte mir gegenüber die Vermutung geäußert, dass Efterklang, wenn sie sich wieder dazu entscheiden sollten, das letzte Lied im Publikum zu spielen, direkt bei uns landen würden. Damit lag er völlig richtig, bei "Getting Reminders" standen die Musiker praktisch vor uns, Tatu hatte dieses Mal Plastikflaschen, um den Rhythmus zu schlagen, ansonsten wurde auch Blockflöte gespielt und die Fahne geschwungen. Wir waren froh, so nahe am Geschehen zu stehen, denn ganz ohne Verstärkung wurde es ganz schön leise.
Ein weiterer unterhaltsamer Auftritt einer immer wieder höchst sympathischen Band.
Setliste:
Wir wanderten nun zur Hochofenbühne, wo der Postpunk-Auftritt von Kochkraft durch KMA bereits begonnen hatte - und hui, war das laut! "Ehrlich" war bereits im Gange, als wir uns der Bühne noch näherten, im Anschluss fragte ein Schlagzeuger Beray Habip ins Publikum, ob jemand aus einem bestimmten Duisburger Stadtteil komme und zählte Straßennamen auf - offensichtlich stammt man selbst aus der Gegend und hat hier auch einen Proberaum. Vor der Bühne hatte sich - natürlich ein Circle Pit gebildet, und auch die Sängerin Lana Giese nutzte diesen zeitweise.
Vor "Auf jungen Stuten lernt man fluten" wurde zu allgemeinem Jubel wortreich auf die AfD geschimpft - der Song passt zur Thematik und enthält Zeilen wie "Die Welt brennt und ihr schließt eure Fenster". Das interessant betitelte "lana_v@gmx.de" dreht sich um den Umgang mit Arbeitsaufträgen und Fristen sowie Kreativität unter Zeitdruck. Letzteren hatten wir auch und mussten gleich wieder los, waren von der Dynamik des Sets aber schwer beeindruckt - gut, dass der Hochofen hinterher noch stand.
Setliste:
Wir wechselten nun erneut zur Cowperbühne, wo jetzt die Zeit für den Tages-Headliner gekommen war: Inhaler. Die irische Band rund um Elijah Hewson, zumindest hierzulande bekannter als "Sohn von Bono Vox", ist in meinem Haushalt keine Neuigkeit - ich war mir vorab aber keineswegs sicher, wie berühmt Inhaler grundsätzlich eigentlich sind.
Die Frage war eigentlich schon im Laufe des Samstags abschließend beantwortet worden, denn wir hatten diverse junge Frauen mit teils selbstgemachten Inhaler T-Shirts gesehen, von denen einige möglicherweise seit dem Auftritt von Christin Nichols vor dieser Bühne ausgeharrt hatten. Sie besetzten nun dicht an dicht die ersten drei Reihen vor der Bühne und hatten teils Pappschilder zum Hochhalten dabei. Viele der Fans waren zudem anhand ihrer Festivalbändchen als Tagesticket-Inhaberinnen erkennbar. Kein Zweifel: Inhaler kommen gut an bei der weiblichen Jugend im Ruhrgebiet.
Statt mich an den Fans zu orientieren, hätte ich auch einfach in die Charts schauen können: Inhaler haben seit 2021 bereits drei Alben veröffentlicht, die in den deutschen Albencharts die Plätze 13, 35 und 18 erreicht haben, in Großbritannien und Irland schaffte man übrigens meist Rang 1 und stets zumindest den 2. Platz. Außer dem Frontmann Hewson gibt es natürlich noch weitere Mitglieder, nämlich Robert Keating an Bass und Keyboard, Ryan McMahon am Schlagzeug und Josh Bartholomew Jenkinson an so ziemlich allem (Gitarre, Keyboard, Synthesizer, Percussion, Gesang).
Der Auftritt der Band wirkte dann in meinen Augen etwas kühl. Es ist sicher nicht ganz leicht, als Sohn eines der berühmten Musiker der Welt eine eigene Musikkarriere zu starten, darüber hinaus haben die Bandmitglieder, so zumindest mein Eindruck, wohl kein Interesse an einem Boyband-Status. Entsprechend wurde auf die textsicheren Fans und hochgehaltenen Pappschilder auch nicht weiter reagiert, da konnten sie noch so viel hüpfen und mitsingen.
Musikalisch gab es keine Nähe zu U2, eher zu den Strokes, stimmlich konnte man Bono allerdings hier und da erahnen. Die Setliste wurde mit sieben Songs vom neuesten Album "Open Wide" dominiert, "Little Things" wurde One Direction gewidmet, die ein Lied mit demselben Titel veröffentlicht haben.
Trotz all des Jubels um uns herum konnte mich der Auftritt nicht so recht überzeugen - die Band war mir zu sehr auf Coolness bedacht, der Sound auf lange Sicht gleichförmig.
Setliste:
Nun folgte ein weiterer Kurzbesuch an der Hochofenbühne, wo es immer noch (oder schon wieder) laut war, mittlerweile spielten Die Nerven. Anders als ich konnte mein Freund sich daran erinnern, dass wir die ursprünglich aus Stuttgart stammende Band 2019 beim A Summer's Tale-Festival gesehen hatten. Dem damaligen Bericht entnehme ich, dass der Auftritt Spaß gemacht hatte, und auch heute erwies sich die Band als unterhaltsam - auch, wenn man auf das Anspielen diverser Coverversionen verzichtete.
Selbst mein Freund hatte vergessen, dass neben dem Hauptsänger Max Rieger auch der Bassist Julian Knoth einen hohen Gesangsanteil hat. Knoth schaffte es auch erstaunlich gut, gleichzeitig Bass zu spielen und zu headbangen. Nach Europa", in dem mehrmals die Textzeile "Ich war hier noch nie" vorkommt, setzte Rieger an, zu erzählen, dass er noch nie in Duisburg gewesen sei, was Schlagzeuger Kevin Kuhn (im Queen T-Shirt) überstürzt dadurch gerade biegen wollte, indem er einwarf, er sei schon ganz oft hier gewesen. Rieger fuhr aber fort und erklärte, er habe eigentlich nur sagen wollen, dass er es hier schön fände.
Erwähnenswert ist noch die etwas ungewöhnliche Bühnenanordnung, bei der die Mikrophonständer für Rieger und Knoth recht mittig platziert waren und die Mikrophone selbst nach außen ragten - was bei beiden für viel Bewegungsraum sorgte.
Hoffentlich kann ich mir Die Nerven dieses mal besser merken, denn auch dieses Mal gefiel mir der Auftritt eigentlich sehr gut. Das änderte allerdings nichts daran, dass wir vor dessen Ende, nach "Der Erde gleich", weiter mussten.
Setliste:
Schon für Efterklang hatten wir vor der Halle Schlange stehen müssen. Die für The Notwist reichte allerdings, als wir uns anstellten, bereits fast bis zum Zuschauerbereich von Die Nerven, den wir soeben verlassen hatten. Das Schlangenende war damit so weit vom Eingang entfernt, dass man die Tatsachen kaum glauben konnte - aber wofür sonst sollte sich um Mitternacht herum eine so große Zahl Menschen anstellen?
Immerhin: Als der Einlass begann, konnten wir uns zügig über mehrere hundert Meter bewegen und kamen auch ein weiteres Mal ohne Probleme in die Halle. Hier war bereits alles für den Hauptact aufgebaut, den wir dieses Jahr ja bereits in Frankfurt gesehen hatten, beim Maifeld Derby aber hatten sausen lassen. Auch Theresa Loibl und ihr Saxophon waren wieder mit von der Partie.
Als die Band sich auf der Bühne eingefunden hatte, beobachtete ich mit Spannung, ob sich auch Casper Clausen von Efterklang bei dem Konzert sehen lassen würde - vom Backstagebereich aus konnte man das Bühnengeschehen von einer Art Balkon aus betrachten. Und ja, er mag The Notwist offensichtlich wirklich und kam mit anderen Bandmitgliedern immer mal wieder zum Schauen.
Ansonsten habe ich von diesem Auftritt eher wenig zu berichten, das anders gewesen wäre als im Februar in Frankfurt, nur, dass es Micha Acher dieses Mal offenbar gesundheitlich besser ging, in Frankfurt hatte er ja einige Male die Bühne verlassen und war vor dem Ende des Auftritts ganz verschwunden. Dank unserer Position auf der Tribüne konnte ich erstmals sehen, was mein Freund mir vorher erzählt hatte, dass Markus Acher das Konzert nämlich mit einem Stapel Schallplatten auf dem Plattenspieler beginnt und diese nach Benutzung nach und nach alle beiseite legt.
Die Setliste wies einige Parallelen zu damals auf, das alte Lied "Agenda" wurde auch dieses Mal wieder nur von den Acher-Brüdern und dem Schlagzeuger dargeboten. Und wie bei jedem von mir besuchten The Notwist-Auftritt wurde außer "Vielen Dank" nichts gesagt. Das änderte aber nichts daran, dass uns auch dieses Konzert wieder sehr gut gefiel. Auch am zweiten Traumzeit-Tag kam das Beste zum Schluss. Es ist immer wieder erstaunlich wie vielfältig die Musik der Band klingt, mit krachigen Liedern, solchen mit starken Wechseln wie "Pilot" und auch ganz leisen Tönen wie ganz am Anfang.
Eine Zugabe bekamen wir nicht, die Band hatte auch die ihr zugedachte Spielzeit am Ende bereits überschritten.
Setliste:
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