Neulich bei den wortkargen Bayern: The Notwist im Frankfurter Zoom


Eine Weile lang besuchte ich gefühlt ständig Konzerte von The Notwist, wenn ich richtig zähle, waren es insgesamt acht Auftritte, zwei davon (am Kölner Tanzbrunnen 2020 und beim Maifeld Derby 2021) unter Pandemie-Bedingungen. Zuletzt sahen wir die Band 2022 im Wiesbadener Schlachthof - dieses Konzert markierte quasi den Wiederbeginn der Konzert-Normalität für uns. Seitdem hatten wir keine Auftritte der Band mehr gesehen, und seit dem letzten Album "Vertigo Days" von vor vier Jahren hat es auch keine Veröffentlichungen gegeben. Wir waren also, als wir die Tickets erfreut zu Weihnachten geschenkt bekamen, gespannt, ob die aktuelle Tour vielleicht auch dazu dienen würde, neues Material zu testen.

Unser bereits drittes Konzert des Jahres setzte die bislang ungebrochene 2025er-Tradition fort, dass es früh am Abend losging - und ohne Vorband. Dieses Mal reisten wir ins Frankfurter Zoom, den ehemaligen Cocoon Club, und hatten wieder einmal die seltene Gelegenheit, die schönen Trennwände zu besichtigen, die den Künstler Andreas Gursky zu einer Fotoserie inspiriert haben.




Ganz so früh wie angekündigt begann der Auftritt dann doch nicht, so hatten wir ausreichend Zeit, über das Publikum zu sinnieren - in der Mehrheit älter und männlich - und die Bühnenaufbauten zu analysieren - das Vibraphon von Karl Ivar Refseth war mit dabei, allerdings nicht die zuletzt von Micha Acher verwendete Tuba. Etwas merkwürdige Konstruktionen entpuppten sich während des Auftritts als selbst gebastelte Lampen, und während wir noch darüber sprachen, kam eine junge Frau auf die Bühne und brachte ein Saxophon. Direkt vor uns befand sich auch ein Plattenspieler mit auf dem Boden aufgestapelten Plattenhüllen, und mein Freund überlegte, wie es die Bandmitglieder wohl schaffen würden, neben all ihren anderen Tätigkeiten auch noch Platten aufzulegen.

The Notwist waren schon immer eine wortkarge Band, insofern hatte mein Freund sich vorgenommen, die ans Publikum gerichteten Worte im Sinne einer akkuraten Berichterstattung zu zählen. Er kam auf sechs, alle von Markus Acher: Ganz zu Beginn ein "Hallo", am Ende des Hauptsets ein "Vielen vielen Dank" und nach "Pilot" nochmals "Vielen Dank".



Das Set begann, wie schon 2022, mit dem ruhigen "Into Love / Stars", als darauf mit "Come In" das erste etwas lautere und rhythmischere Lied folgte, bei dem auch alle Bandmitglieder etwas zu tun hatten, merkte man so nahe an der Bühne, wie sich alle mit sichtlicher Freude in das gemeinsame Musizieren eingroovten. Allerdings zeigte sich bald, das Micha Acher, der mit seinem Bass ganz hinten links stand, offenbar gesundheitliche Probleme hatte. Er verschwand irgendwann, was Chico Beck nach "Pick Up The Phone" dazu veranlasste, mit den anderen Musikern Rücksprache zu halten. Das nun folgende "Who We Used to Be" wurde offensichtlich vorgezogen, weil hier kein Bass benötigt wurde.

Micha Acher kehrte im Anschluss zurück, wirkte aber angespannt und verließ die Bühne immer wieder, bei der Verbeugung am Ende des Hauptsets war er schon nicht mehr dabei, kehrte aber zu meiner Verwunderung dann doch wieder zurück, um die Zugaben mitzuspielen. Erst vor dem allerletzten Lied "0-4" teilte er dem Schlagzeuger per "Halsabschneider"-Geste mit, dass er nun weg sei.



Während wir sonst sämtliche Bandmitglieder bereits bei früheren Auftritten gesehen hatten, stellte sich zu unserer Überraschung heraus, dass die Frau mit dem Saxophon ebenfalls zu den Musikern gehörte. Ihr Instrument fand viel Einsatz, sie spielte aber zusätzlich noch eine weitere Apparatur, die nach Koffer-Harmonium aussah, sowie eine Melodica, und betätigte Notwist-typisch diverse andere Dinge, außerdem sang sie. Laut Wikipedia heißt die Musikerin Theresa Loibl und ist schon seit vier Jahren mit von der Partie.

Es zeigte sich, dass wir kein neues Material zu hören bekommen würden, dafür aber einige zumindest von mir selten bis nie gehörte Lieder: "Come In" wurde für "The Devil, You and Me" aufgenommen, ist aber nicht auf dem Album (es handelt sich um die B-Seite von "Boneless"), "Who We Used to Be" ist ebenfalls auf keinem Album enthalten und "Puzzle" und "Agenda" - nur mit Gitarre, Bass und Schlagzeug dargeboten - stammen aus den 1990er Jahren.



Wie nicht ganz selten bei The Notwist endeten Lieder in improvisierten Soundlandschaften - oder im Fall von "This Room" in einer lärmenden Free Jazz-Kakophonie. Die erste Zugabe "Pilot" dauerte dann auch um die 13 Minuten, war sehr abwechslungsreich und ging, passend zur Location, in eine Art Techno über, um ganz am Ende wieder zum vertrauten Song zu werden. Auch das darauf folgende "Gravity" dauerte um die sieben Minuten, weshalb ich nach dessen Ende (und angesichts des leidenden Micha Acher) eigentlich nicht mit einer weiteren Zugabe rechnete. 

Wir bekamen aber zu unserer Freude noch eine, das vorher schon mit Rufen hinter uns gewünschte "Consequence", das mit "Mega" und "Dankeschön"-Rufen begrüßt wurde. Den endgültigen Abschluss bildete dann - ebenfalls wie 2022 und trotz nur vereinzelt übereinstimmender Setliste zwischen diesen Polen - "0-4".



Viele der gespielten Songs waren ineinander über gegangen, was zu einem zeitsparenden Set von etwa 105 Minuten geführt hatte - und ich hatte komplett vergessen, auf die Schallplatten zu achten! Mein Freund hatte aber besser aufgepasst und berichtete, dass sämtliche Platten sich bereits aufgestapelt auf dem Plattenspieler befunden hatten. Markus Acher musste sie nur abspielen, scratchen oder tun, was ihm sonst dazu einfiel, sie bei Bedarf abnehmen und schnell in eine der Hüllen stopfen.

Im Sommer werden wir die Band beim Traumzeit-Festival wiedersehen, insofern war der Donnerstagabend vielleicht der Beginn einer neuen Notwist-Konzertphase in meinem Leben.  



Setliste:

Into Love / Stars 
Come In
Kong  
Pick Up the Phone 
Who We Used to Be 
Where You Find Me  
Ship 
Into the Ice Age 
One With the Freaks  
This Room 
Puzzle 
Agenda 
Night's Too Dark 
Into Another Tune
Loose Ends
 
Pilot 
Gravity 

Consequence 
0-4

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