Da waren wir also wieder in Westgellersen. Nachdem mein Freund und ich die ersten drei Auflagen des A Summer's Tale Festivals treu besucht hatten, mussten wir 2018 aussetzen, weil der Termin für uns nicht machbar war. Für 2019 schien unsere Teilnahme an dem Festival, das wir beide immer ausgesprochen gerne besucht hatten, insofern zunächst absolut sicher - nur lösten die Ankündigungen der musikalischen Gäste nach der ersten Ankündigungswelle (die allein Elbow, Maximo Park und The Charlatanes enthielt) nicht gerade Begeisterungsstürme bei uns aus. Dennoch, letztlich entschieden wir uns, zu fahren - schließlich überzeugt das Festival ja auch als gesamtpaket über die Musikacts hinaus.
Es gab dieses Jahr einige Neuerungen: Das Festival, das nach wie vor auf einem Reitplatz in der idyllischen Lüneburger Heide stattfindet und sich an "ältere Menschen" und Familien richtet, hatte sich bislang stets von Mittwoch bis einschließlich Samstag ereignet. Dieses Jahr wechselte man zu einem Donnerstag-bis-Sonntag-Event.
Beibehalten wurde die vor zwei Jahren begonnene Strategie, am "Ankunftstag" die Hauptbühnen nicht zu öffnen und lediglich auf der kleinen Waldbühne ein kleines musikalisches Programm anzubieten. Moment, Hauptbühnen? Da wären wir schon bei der zweiten, sehr umstrittenen Neuerung: Es gab 2019 nur noch eine große Bühne, die Festivalbühne. Der daneben gelegene Zeltraum, in dem mein Freund und ich in vergangenen Jahren Acts wie Ride, Billy Bragg, William Fitzsimmons oder Get Well Soon gesehen hatten, wurde dagegen ersatzlos gestrichen.
Das blieb natürlich nicht ohne Auswirkungen aufs Musikprogramm: Hatte es in den ersten zwei Jahren vier Headliner gegeben (für jeden Tag einen), sind es mittlerweile nur noch drei, außerdem fiel nun durch das fehlende Zelt natürlich auch dessen komplettes Musikprogramm weg. Stattdessen wurde die kleine Waldbühne und auch die Hauptbühne enger getaktet, außerdem gab es auch einige musikalische Auftritte im "Grünen Salon", der in der Vergangenheit hauptsächlich für Lesungen und Kleinkunst genutzt worden war.
Der durch das eingesparte Zelt gewonnene Platz wurde von den Veranstaltern dafür genutzt, die vorher quasi zusammengelegten Bereiche "Kinderzone" (Zwergstadt und Kinderzelt) und "Activity Area" (Spielzone für alle Altersgruppen) zu trennen und stark zu vergrößern. Der ehemalige Kinderbereich wurde von den beiden Sponsoren WWF und UNICEF übernommen, wobei es hier neben Informationsständen ebenfalls die Möglichkeit gab, zu spielen.
Überhaupt, die Sponsoren: Auch in vergangenen Jahren hatte es Sponsorenstände gegeben, so erinnere ich mich beispielsweise an einen Imbisswagen von "Rügenwalder Mühle" aus dem Kostproben des vegetarischen Warenangebots verschenkt wurden. 2019 gab es eine richtige "Sponsorenzone" mit Ständen von Lamy, Dr. Hauschka, Klean Kanteen und Nintendo, aber auch vielen sozialen Initiativen - neben den bereits genannten waren auch PETA, Blauer Engel, Fridays for Future und Viva con Agua mit Informationsständen vertreten.
Hier ist positiv anzumerken, dass die Sponsoren recht clever ausgewählt worden waren - für ein Festival, dass möglichst "grün" sein möchte, eignet sich sowohl eine Naturkosmetikfirma als auch der Hersteller von Trinkflaschen natürlich ganz hervorragend, und ich denke, dass beide auf viel Interesse stießen. Bei Lamy war das Grundinteresse der Besucher natürlich vermutlich geringer, dafür bot der Stand aber viele gut angenommene Angebote, etwa von einem Illustrator nach Auftrag gestaltete Aufklebtattoos und die Möglichkeit, Postkarten an die auftretenden Musiker zu schreiben (oder auch einfach nach Hause). Und auch mit Viva con Agua oder Fridays for Future rannte man bei den meisten Festivalbesuchern vermutlich offene Türen ein.
Nachdem wir uns versehentlich auf dem noch gar nicht geöffneten Gelände ein Gesamtbild gemacht hatten (die Einsatzkontrolle war gar nicht besetzt gewesen), kehrten wir wenig später für unser erstes Event zurück: Im Grünen Salon, der ebenfalls einen neuen Standort bekommen hatte und dessen Bühne nun noch liebevoll-wohnhimmerhafter gestaltet war als vorher, las nun Anja Rützel.
Ich habe hier ja schon mehrfach erwähnt, dass ich die Artikel von Frau Rützel bei Spiegel Online sehr mag, auch ihre Beiträge zu diversen Podcasts habe ich mit Interesse verfolgt. Was ich jedoch noch nie gelesen habe, ist eines ihrer Bücher. Veröffentlicht hat sie bislang drei, je eines über Trash TV, Erlebnisse mit Tieren und die Vorteile des Alleinseins. Im Herbst folgt noch eines über Take That!
Grundlage für die Lesung hätte eigentlich das Einsamkeitsbuch sein sollen, Rützel entschied aber spontan und vielleicht berechtigt, dass diese Thematik für einen Sommertag und ein Familienfestival (tatsächlich nahmen einige Kinder an der Lesung teil) zu ernst sei. Stattdessen las sie aus dem Tierbuch Saturday Night Bieber. In der Lesung hörten wir unter anderem, wie Rützel einen Alpaka-Pflegekurs belegte (und dabei lernte, dass die fluffigen Tiere eigentlich nichts mit Menschen zu tun haben möchten), sich Fauch-Schaben anschaffte (und benannte, unter anderem Schabi Alonso!) und in ein Internet-Rechercheloch zum Thema Molche fiel. Den Abschluss bildete die Erzählung über eine Reise auf die Isle of Wight, wo sie einen einst von ihr in Stuttgart journalistisch betreuten Ameisenbär im Zoo besuchte.
An den gewählten Kapiteln gäbe es zu kritisieren, dass die Thematik "lustige Tiernamen und umgemünzte Fernsehsendungstitel" doch sehr ausführlich behandelt wurde - jeweils einmal unter dem Thema Fische, Schaben und Molche - dennoch machte mir die Lesung wie erwartet viel Spaß. Man braucht eine bestimmte Art von Humor, um die Vorstellung eines existenzialistischen, in einen winzigen Rollkragenpullover gehüllten Molchs (der ihr so angesichts eines Forenbeitrags mit der Überschrift "Molch will kein Molch sein" einfiel) lustig zu finden - bei mir funktioniert das wunderbar.
Anschließend war es Zeit für unser erstes Konzert des Festivals - natürlich auf der Waldbühne, denn nur diese wurde ja am Festivaldonnerstag bespielt. Hier sahen wir nun den Auftritt des Trios Helgen. Die Gruppe aus Hamburg verkündete, lange nicht live aufgetreten zu sein - seit Februar - und hatte neue Lieder dabei. Sänger Helge verwies zu den hintereinander gespielten Songs "Der Pfarrer" (nach einer wahren Geschichte um einen Geistlichen, der mit einer großen Menge Haschisch erwischt wurde) und "300 Nonnen", die Band habe eine klerikale Phase gehabt.
Zusätzlich wurde noch Werbung für ein Video zu "Das Rätsel" gemacht, was mich denken ließ, es sei neu - tatsächlich existiert es aber schon sei 2017 auf Youtube.
Die Band, deren Lieder sich besonders für Freunde der Musik von Die höchste Eisenbahn eignen, hatte sichtlich Spaß an ihrem Auftritt und war ein sympathischer Festival-Eröffner.
Setliste:
Das Vergessnis
Nackt
Woran hat es gelegen
Schlecht
Das Rätsel
Fernsehturm
Hamburg, Amsterdam
Der Pfarrer
300 Nonnen
Es passiert
Lass uns Feinde sein
Die Flut
Für uns ging es nun mit dem ersten Workshopbesuch weiter: Unter dem Titel "Moderne Kalligrafie" und gesponsort von Lamy gab uns eine Zeichnerin die Möglichkeit, unterschiedliche Federn auszuprobieren und leitete uns zu einfachen Übungen an. Alle Teilnehmer bekamen sowohl ein Übungsheft als auch eine Broschüre mit Zeichenbeispielen zum Mitnehmen.
45 Minuten können natürlich nur einen allerersten Einblick geben, und tatsächlich weiß ich nun nicht viel mehr als vorher - lediglich über das Führen eine Feder über Papier habe ich etwas Neues gelernt. Es war auch etwas störend, dass der Kurs"raum" nicht völlig vom Nachbarbereich, in dem Siebdrucke ausgestellt und verkauft wurden, abgetrennt war, denn so blieb der Geräuschpegel die ganze Zeit hoch. Nichtsdestotrotz hat die Kursleiterein aber vermutlich alles vermittelt, was in diesem kurzen Zeitfenster zu machen war.
Anschließend gingen wir zurück zur Waldbühne, wo nun Whitney auftraten. Laut Festivalprogrammheft lernten sich Gitarrist Max Kakacek und Schlagzeuger und Sänger Julien Ehrlich in Chicago während eines sehr strengen Winters kennen und schrieben zum Ausgleich besonders sonnige Lieder.
Auf der Bühne befanden sich bei unserem Eintreffen bereits insgesamt sieben Personen, wobei Ehrlich und sein Schlagzeug ungewöhnlicherweise das Zentrum bildeten. Soeben beendete man letzte Abstimmungsarbeiten und konnte dann nach einem motivierenden Teamkreis leicht verspätet das musikalische Set beginnen.
Gespielt wurde eine Mischung aus alten und neuen Songs, wobei ein Bandmitglied selbstkritisch anmerkte, dass für das Publikum möglicherweise alle neu seien. Das neue Lied "Forever Turned Around" klappte als Live-Premiere nicht ganz so gut, weshalb Ehrlich das darauf folgende Lied als "eines, das wir auch tatsächlich beherrschen" ankündigte. Im Stil war Whitneys Musik nicht wirklich das Unsere, sie ging in Richtung Westcoast Pop und Country. Beim Publikum kam diese freundliche Sommermusik aber gut an.
Setliste:
The Falls
Polly
Before I Knew It
Dave's Song
Golden Days
Giving Up
Follow
Forever Turned Around
Day And Night
No Matter Where we Go
Friend Of Mine
No Woman
Valleys (My Love)
Nach einer sehr kurzen Stippvisite beim Kneipen-Quiz und einer Pommes-Pause sahen wir uns noch den letzten Musikact des Tages an, Die Nerven. Das ursprünglich aus Stuttgart stammende Trio, das von der Musikpresse hoch gelobt wird, hat die klassische Nirvana-Rollenverteilung auf Gitarre, Bass und Schlagzeug. Ihre Musik klang meistens punkig und führte dazu, dass sich vor der Bühne ein Moshpit aus Erwachsenen und Jugendlichen bildete. Für uns besonders beeindruckend war aber ein kleiner Junge, der das Konzert mit Schutzkopfhörern in der ersten Reihe auf den Schultern seines Vaters begeistert verfolgte - wir sollten ihn dort noch bei vielen Musikacts sehen.
Beim Lied "Der letzte Tanzende" stellte Hauptsänger Max Rieger irgendwann seine Gitarre weg, verschwand und tauchte im Moshpit wieder auf.
Die Band spielte an verschiedenen Stellen des Sets auch Cover an - einmal Pink Floyds "Shine On You Crazy Diamond (Parts I-IV)", später hörten wir noch, nachdem Schlagzeuger Kevin Kuhn sich im Spaß dafür entschuldigt hatte dass die Musik zu laut fürs Summer's Tale sei, eine Note Napalm Death, ein paar Takte "Candy Shop" und einige Zeilen aus "Johnny B.".
Lustig war auch das Ende des Auftritts - während die anderen Bandmitglieder bereits die Bühne verlassen hatten und das Publikum nach einer Zugabe rief, griff sich Kevin Kuhn den Bass und spielte einige berühmte Bassläufe an - und ging dann mit einem "Sorry" ab.
Ein unterhaltsamer "Eröffnungsauftritt" für das Festival.
Setliste:
Niemals
Frei
Albtraum
Schrapnell
(Shine On You Crazy Diamond (Parts I-IV) (Pink Floyd Cover))
Barfuß durch die Scherben
Der Einzige
Explosionen
(Johnny B. (Hooters Cover))
Skandinavisches Design
Neue Wellen
Aufgeflogen
Dreck
Der letzte Tanzende
Angst
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