Fontaines D.C.s Album "Romance" hat es im letzten Jahr auf diverse Bestenlisten geschafft, bei Platten vor Gericht reichte es es beispielsweise für Rang 3. Dennoch konnten mein Freund und ich uns nicht so recht entschließen, die sehr teuren Tickets für das Bonner Kunstrasen-Festival (mittlerweile schreibt es sich Kunst!Rasen) zu erwerben. Mein Freund ergatterte aber in der Woche vor dem Auftritt zumindest leicht vergünstigte Tickets für den bereits ausverkauften Front of Stage-Bereich, also fuhren wir letzten Dienstag doch noch hin.
Der Kunst!Rasen hat seit Jahren so einige Probleme mit klagefreudigen Anwohnern, die sich durch den Musiklärm belästigt fühlen. Das hat dazu geführt, dass sowohl der Zeitplan penibel beachtet wird, damit auf keinen Fall über 22 Uhr hinaus musiziert wird. Zum anderen wird auch ganz genau kontrolliert, dass die Musik nicht zu laut ist. Beim Auftritt von Lynryd Skynyrd Anfang Juli hatte beides nicht geklappt (acht Minuten überzogen, ein Dezibel zu laut), was gleich mal zu einer Strafe von 20.000 Euro für den Veranstalter geführt hatte.
Der strenge Zeitplan macht an einem Arbeitstag für uns die pünktliche Anreise schwierig, das hatten wir bereits letztes Jahr bei The National erfahren müssen. Auch das Parken hatten wir aus dem Vorjahr als langwierig in Erinnerung, wobei das sicherlich auch in Zusammenhang mit der auch damals eher späten Anreise stand. Dieses Jahr gab es (uns) neue Hinweisschilder, die auf bislang unbekannte Parkmöglichkeiten verwiesen und denen wir in der Hoffnung folgten, hier schneller voranzukommen - was zu einer recht langen Fahrt zu einem Parkhaus führte, von dem aus wir natürlich auch einen ebenfalls langwierigen Fußmarsch zum Gelände bewältigen mussten - mit vielen anderen Konzertbesuchern, die auch eher spät angereist waren.
Auch der Einlass nahm also noch eine gewisse Zeit in Anspruch, und so hörten wir beim Passieren der Kontrollen auch schon den ersten Song der Vorband Sprints - immerhin lohnte sich in dieser Situation der höhere Preis für den Front of Stage-Bereich besonders, hier konnten wir auch beim späten Eintreffen sicher sein, zumindest nicht ganz hinten stehen zu müssen. Obwohl der Abend nicht ausverkauft gewesen war, waren nämlich um die 6000 Besucher gekommen. Bei Beginn des Konzerts herrschten noch Temperaturen um die 30 Grad.
Fontaines D.C. und auch ihre Vorband Sprints - beide aus Irland - gehören zum musikalischen Genre Postpunk, dem ich in den letzten Monaten erstaunlich häufig ausgesetzt war: Los ging es mit The Murder Capital, der Vorband von Nick Cave in Prag, ging weiter beim Cologne Popfest mit Prolapse und setzte sich fort mit Kochkraft durch KMA und Big Special beim Traumzeit-Festival.
Sprints-Sängerin Karla Chubb überraschte uns mit einer Ansage in perfektem Deutsch, sie erzählte, die habe in ihrer Kindheit in Düsseldorf gelebt - was bei Bonner Publikum nicht auf einhellige Begeisterung stieß (es waren sicher viele Kölner anwesend).
Sprints haben 2024 ihr Debütalbum "Letter to Self" veröffentlicht, ein weiteres ist für den September angekündigt - auf ihm werden vier der an diesem Abend live gespielten Stücke enthalten sein, unter anderem das noch unveröffentlichte "Pieces". Die Band verkündete ihre Unterstützung für Palästina und Transsexuelle - und kündigte vor "Literary Mind" eigentlich noch zwei Songs an, offenbar wurde das den Veranstaltern aber zu knapp, das letzte Lied fiel aus - obwohl Sprints so nur etwas weniger als eine halbe Stunde gespielt hatten.
Setliste:
Heavy
Rage
Feast
Beg
Pieces
Literary Mind
Nun warteten wir kurz auf den Hauptact - es war schon vorher fast alles aufgebaut gewesen, was die Zusammenstutzung des Sets von Sprints noch weniger verständlich machte. Hoch oben hing dreidimensional der Bandname Fontaines D.C., der in unterschiedlichen Farben leuchten konnte. Außerdem befand sich im Hintergrund der Bühne eine riesige Version des aufblasbaren Herzens, das auf dem Cover von "Romance" zu sehen ist. In der Wartezeit wurde mir auch bewusst, dass ich keinen Schimmer hatte, wie die Bandmitglieder überhaupt aussahen.
Lange musste ich darüber nicht nachdenken. Zeitnah erschienen sechs junge Männer - die fünf Bandmitglieder, sowie Alexander "Chilli" Jesson von der Band Palma Violets, der die Stamm-Mitglieder an Keyboard und Synthesizer unterstützte. Vier Musiker trugen Sonnenbrillen (von denen nur einige später bei Sonnenuntergang abgenommen werden sollten), beim Kleidungsstil dominierten Sportklamotten. Sänger Grian Chatten trug schwarze Shorts, ein Adidas-Shirt sowie weiße Kniestrümpfe mit Puma-Logo.
Gesagt wurde erst einmal nichts, auch keine Begrüßung. Chatten kletterte gerne auf die Monitorboxen, ansonsten blieb das Setup relativ statisch. Nur Conor "Deego" Deegan, der neben dem Bass auch Backing Vocals und einige Tasteninstrumente übernahm, war viel auf der Bühne unterwegs. Bei den Balladen griff auch der sonst Instrument-lose Chatten gelegentlich zur Gitarre.
Erst nach 30 Minuten wurde das erste Mal etwas gesagt, nämlich "Free Palestine" - die Worte wurden auch später auf den Screens seitlich der Bühne eingeblendet. Aus meiner Sicht war der deutsche Jubel hier eher verhalten. Arno Frank hat in einem lesenswerten Artikel bei Spiegel Online (leider hinter der Bezahlschranke) das Konzert ebenfalls rezensiert und hatte anders als ich den Eindruck, dass das Publikum euphorisch reagierte. Erst nach dem neunten Lied, "A Hero's Death" bekamen wir dann auch ein "Hello" und wenig später ein (deutschsprachiges) "Vielen Dank" - das war es dann auch fast mit der Kommunikation, zumindest mit der unpolitischen.
Das Album "Romance" wurde im Laufe des Sets nahezu vollständig gespielt, inklusive der auf der Deluxe-Version enthaltenen Zusatzlieder "It's Amazing to Be Young" und "Before You I Just Forget". Hinzu kamen insgesamt zehn Lieder von den drei vorher veröffentlichten Alben, die generell postpunkiger und krachiger klangen.
Zwischen Haupt- und Zugabenteil zeigten die LED-Screens seitlich der Bühne Animationen, die das Innere einer Schneekugel zu zeigen schienen - man konnte ein Schwein, eine Brücke und auch das Herz mit Gesicht vom Albumcover erkennen.
Die Single "Romance" eröffnete in einer besonders langen Version den Zugabenteil, der nun voll im Zeichen der Palästina-Unterstützung stand: Das Keyboard war ohnehin die ganze Zeit mit einer Fahne umwickelt gewesen, nun widmete Chatten den Song "I Love You" einem anderen irischen Musiker, Mo Chara von Kneecap. Dieser steht in London aktuell vor Gericht, weil er öffentlich Hamas und Hisbollah unterstützt und auch eine Hisbollah-Fahne geschwenkt hat. Auf den Screens seitlich der Bühne stand nun "Israel is committing genocide – use your voice".
Von Mo Chara hatte ich vor diesem Moment noch nie gehört. Erst hinterher konnte ich unter anderem dem Spiegel-Artikel entnehmen, dass die Widmung und der Text wohl aktuell Standard bei Fontaines DC-Konzerten ist, beim Festival in Roskilde wurden zu "I Love You" sogar palästinensische Aktivisten auf die Bühne geholt. Anscheinend gab es im Rahmen des Bonner Auftritts auch einen Informationsstand von BDS, einer Organisation, die seit Jahrzehnten den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will und in Deutschland unter anderem von Neonazis unterstützt wird.
Kurz zurück zur Musik: Das Set endete schon gegen 21:30 Uhr mit "Starburster" und ließ uns mit der Frage zurück, warum die Organisatoren an diesem Abend derart Tempo gemacht hatten.
Setliste:
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