Vor einigen Jahren sah ich im berühmten Club Paradiso in Amsterdam die Band Warpaint. Ich fand das Konzert langweilig, und das einzige, das mir vom Paradiso im Gedächtnis blieb, war zum einen, dass man dort nicht nur im Zuschauerraum, sondern auch auf einer Galerie stehen beziehungsweise sitzen kann, und zum anderen, dass die Betreiber zusätzlich zur Konzertkarte eine „Mitgliedschaft“ für einen Monat verlangen, die man, so man denn keine hat, extra bezahlen muss. Um so überraschter war ich darüber, dass der Club kürzlich in einer Liste des NME als eines der zehn Live Venues erwähnt wurde, die man besucht haben muss.
Was diese Liste an sich angeht, habe ich sonst nur Brixton Academy besucht, Ende des Jahres folgt dann (der/die/das?) Harpa in Reykjavik. Obwohl ich seit 30 Jahren zu Konzerten gehe, fehlen mir also noch sieben Hallen der Bestenliste. Daran muss ich zukünftig offensichtlich arbeiten. Allerdings ist mir die Liste auch ein wenig suspekt. Nicht dabei sind beispielsweise die Royal Albert Hall oder auch das Roundhouse - für mich beide toller als Brixton Academy.
Was aber das Paradiso angeht, hatte ich angesichts meiner Warpaint-Aversion völlig vergessen, dass die 1880 im neuromanischen Stil erbaute ehemalige Kirche durchaus eine schöne Halle ist. Auf dem ersten Balkon kann man sitzen, auf dem zweiten stehen, im Raum gibt es hübsche Säulen, die aber schmal genug sind, nicht die Sicht zu verdecken, und über der Bühne erstrahlen drei Kirchenfenster.
Es ist uns schon gelegentlich passiert, dass wir vor dem Konzertbesuch in einer fremden Stadt unverhofft der Band begegneten, etwa Teilen von Lush im indischen Restaurant neben ihrem Auftrittsort in London sowie der kompletten Band Get Well Soon beim Pizza essen im italienischen Rovereto. Neil Halsted von Slowdive übertrieb es in Amsterdam ein wenig: Erst sahen wir ihn quasi als erste Person, nachdem wir unsere Unterkunft verlassen hatten, nachmittags an der Prinsengracht, wo er ein Kronleuchtergeschäft betrat. Später besuchten wir direkt vor dem Konzert eine Filiale der englischen Restaurantkette Wagamama, und wer setzte sich an den Nachbartisch? Fast fühlte man sich ein wenig gestalkt.
Neil hatten wir zunächst im Restaurant zurück gelassen, es gab ja auch noch eine Vorband, Blanck Mass. Neil hatte den Solokünstler, der wabernde Computerklänge erzeugte und uns damit teils in unangenehme Schwingungen versetzte, häufiger aber einfach nur langweilte, sicherlich bereits bei anderen Tourneeterminen gesehen und konnte sich deshalb ohne Eile im Restaurant noch einen Nachtisch gönnen. Hätten wir auch besser so gemacht.
Immerhin erforderte der Mann mit Laptop mangels Equipment keine große Umbaupause, so dass wir schon bald den Hauptact sehen konnten. Slowdives „Aufstellung“ ist mittlerweile anders herum als vor zwei Jahren in London. Neil kam somit auf der rechten Bühnenseite zu stehen und stand - natürlich - direkt vor uns.
Slowdive spielen bei der aktuellen Tour meist dieselbe Setliste, insofern wussten wir bereits, dass uns eine Mischung aus alten und neuen Songs erwartete. Anders als beispielsweise Lush haben Slowdive ihre Wiedervereinigung nicht als reines Revival begangen, sondern dieses Jahr ein neues Album veröffentlicht, aus dem fünf Songs gespielt wurden. Bezüglich der Publikumsbegeisterung wurde erstaunlicherweise kein Unterschied zwischen alten und neuen Songs gemacht, und auch mir fällt es schwer, Lieblingslieder zu benennen. Vielleicht das nahezu akustisch dargebotene "Dagger" oder "Catch the breeze", das unsere Konzertbegleiter am tollsten fanden? Oder das sehr gitarrige "Star roving"? Vielleicht auch das Syd Barret Cover "Golden hair" am Ende des Hauptteils, das Rachel quasi allein begann, aber dafür nach ihrem Gesangsteil die Bühne verließ, so dass die verbleibenden Herren allein noch minutenlang ordentlich abrocken konnten.
Die Band spielte mit sichtlicher Freude, insbesondere Rachel hatte fast immer ein Lächeln auf ihren Lippen. Gesprochen wurde dagegen relativ wenig. Nach dem zweiten Lied „Catch the Breeze“ erfolgte die offizielle Publikumsbegrüßung durch Rachel, die sagte, sie sei froh, wieder einmal hier zu spielen, und im Unterschied zu vor 25 Jahren sei sie heute nüchtern. Außer ein paar Komplimenten (wir waren ein gutes Publikum) gab es wenige zusätzliche Äußerungen, Neil fasste sie gegen Ende mit „It’s always relaxed here in Amsterdam, I wonder why that is” zusammen.
Im Zugabenteil, der aus drei Songs, darunter dem wunderschönen „Dagger“, bestand, wollte eine Konzertbesucherin unbedingt „Falling Ashes“ hören und forderte den Song erst per aus der ersten Reihe hoch gehaltenem Handydisplay und dann lautstark und wiederholt bei Neil ein, blieb aber erfolglos. Vielleicht hätte sie uns um Hilfe bitten sollen, mit unserem offensichtlichen guten Draht zu Neil wäre da vielleicht mehr gegangen.
Ein sehr schönes Konzert einer gut gelaunten Band, die sich anschließend auch noch bereitwillig vor der Halle mit Fans unterhielt. Wer weiß, vielleicht folgen ja noch mehrere Alben der wiedervereinigten Slowdive? Auch eine Tour, die mehr deutsche Städte als Berlin und Hamburg berücksichtigt, würde uns freuen.
Setliste:
Slomo
Catch the breeze
Crazy for you
Star roving
Slowdive
Souvlaki Space Station
Avalyn
Don't know why
Blue skied an' clear
When the sun hits
Alison
Sugar for the pill
Golden hair (Syd Barrett Cover)
No longer making time
Dagger
40 days
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