Gelesen: Januar 2021
Die aktuelle Pandemiesituation hat zwar fast nur gravierende Nachteile, als zumindest kleiner Vorteil fällt mir aber immerhin ein, dass manche Filme, die eigentlich für die große Leinwand gedacht waren, aktuell stattdessen bei Streamingdiensten landen, damit sie zumindest überhaupt ein Publikum finden. So kam ich letztes Jahr überraschend in den Genuss, den Film Enola Holmes bei Netflix zu sehen - den Auftakt einer potenziellen Filmserie um die neu ausgedachte jüngere Schwester des natürlich grundsätzlich ebenfalls fiktiven Sherlock Holmes.
Es wäre in jedem Fall ausreichend Material für eine Filmreihe vorhanden, der Film basiert nämlich auf dem ersten Band eine Buchreihe von Nancy Springer, die bislang sechs Teile umfasst. Zu meinem Geburtstag im Oktober bekam ich dann den ersten Roman - The Case of the Missing Marquess (Enola Holmes Mystery) geschenkt, zu Weihnachten gleich den zweiten. Ein bisschen war ich, da ich ja den Film bereits kannte, versucht, gleich mit Teil zwei einzusteigen, bin aber froh, dass ich den recht dünnen Teil 1 doch als erstes gelesen habe: Denn auch, wenn der Film natürlich viele Parallelen aufweist, sind die Geschichten an manchen Stellen recht unterschiedlich. Gerade die Darstellung von Enolas (und Sherlocks) Mutter, im Film von Helena Bonham Carter gespielt, bekommt in der Verfilmung wesentlich mehr Platz und teilweise auch andere Handlungsmotivationen.
Worum geht es nun eigentlich? Enola ist 14 und hat ihr gesamtes bisheriges Leben allein mit ihrer Mutter auf dem Familienlandsitz verbracht. Ihr Vater ist gestorben, ihre beiden wesentlich älteren Brüder Sherlock und Mycroft kommen nie zu Besuch. Das ändert sich erst, als Enolas Mutter vom einen auf den anderen Tag spurlos verschwindet: Sherlock und Mycroft tauchen auf und stellen nicht nur fest, dass die Mutter tatsächlich weg ist, sondern auch, dass große Geldsummen, die Mycroft für Reparaturmaßnahmen an Haus und Garten sowie eine Gouvernante bezahlt hatte, offenbar anderweitig verwendet wurden.
Für die beiden Brüder ist klar, wie es weiter gehen muss: Ohne Mutter muss Enola, die ohnehin wenig darüber gelernt hat, wie man sich als Dame im viktorianischen Zeitalter verhalten sollte, eben ein Internat besuchen, wo sie lernt, ein Korsett zu tragen und gesellschaftlich akzeptabel zu werden. Enola, die von ihrer Mutter absichtlich überaus frei und emanzipiert erzogen wurde, hat darauf keinerlei Lust, findet Geld, dass ihre Mutter für sie im Haus versteckt hatte und macht sich auf nach London.
Unterwegs kommt sie eher durch Zufall mit ihrem ersten Fall als Detektivin in Berührung: Der junge Lord Tewksbury ist (wie Enola) spurlos aus dem Haus seiner Eltern verschwunden. Enola gibt dem ermittelnden Inspector Lestrade einige gute Tipps und begegnet kurze Zeit später in London selbst dem jungen Lord - und seinen Verfolgern.
Im Vergleich von Buch und Film fand ich im Buch die feministischen Aspekte markanter, ebenso die Darstellung der drastischen Kluft zwischen Reichtum und Armut im viktorianischen London. Das setzt sich, so viel kann ich bereits sagen, auch im zweiten Teil fort. Die Romane richten sich ganz klar an Jugendliche, aber man kann sie auch als Erwachsene gut lesen.
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