Im psychedelischen Kaninchenbau: Down The Rabbit Hole Festival 2016, Tag 2
Nach einer erholsamen Nacht im Hotel folgte am Samstag der zweite Festivaltag in Holland. Mittlerweile hatte ich bei Wikipedia gelesen, dass die von uns besuchte Auflage des Down The Rabbit Hole Festivals erst die dritte war.
Während wir mittags noch im Hotelzimmer Notizen zu den Konzerten des Vortags machten, häuften sich weitere Schreckensmeldungen vom Hurricane Festival in Deutschland. Auch vor unserem Fenster regnete es dauerhaft, was uns natürlich Sorgen bereitete.
Es gab noch einen weiteren Anlass zum Meckern: In der Nacht hatten sich die Festival-Organisatoren dazu durchgerungen, die genauen Orte, an denen sich die Parkplätze befanden, zu veröffentlichen und diese mit Buchstaben zu benennen. Tagesbesuchern wurde geraten, Parkplatz D zu benutzen, auf dem wir bereits am Vortag geparkt hatten. Pendelbusse würden weiterhin zwischen den Parkplätzen und dem Festivalgelände hin- und herfahren – und zwar bis Mitternacht.
Bis Mitternacht? Sowohl PJ Harveys Auftritt am Vorabend war um Mitternacht vorbei gewesen, genauso war auch der Samstags-Hauptact The National angesetzt. Um das Festzelt zu verlassen und in einer Menschenmasse den kompletten Campingplatz zu überqueren, musste man mindestens 25 Minuten einplanen. Erwartete man etwa von uns, dass wir auf den Headliner verzichteten, um den letzten Bus zu nehmen? Was würde passieren, wenn dieser Bus bereits voll war? Davon abgesehen hätte es nach den Headlinern durchaus noch andere Musikacts und Parties gegeben, von denen Tagesbesucher nun offenbar ausgeschlossen waren. Ich fragte via Facebook nach, wie all das gedacht war, bekam jedoch von Festival-Seite keine Reaktion.
Letztlich beschlossen wir, das Risiko einzugehen und bis zum Ende zu bleiben. Der Fußweg zum Parkplatz dauerte um die 45 Minuten, das würden wir im Notfall eben in Kauf nehmen. Bei unserer Ankunft auf dem nun noch durchweichteren Wiesen-Parkplatz ergab sich eine weitere Sorge: Beim Einparken war es arg rutschig und matschig, so dass man sich durchaus Gedanken machen konnte, ob uns nachts beim Wegfahren die Reifen durchdrehen würden…
An all dem konnte man nichts ändern, also konzentrierten wir uns auf das erste Konzert des Tages im zweitgrößten Zelt Teddy Widder. Das britisch-französische Damenquartett Savages macht Postpunk. Sängerin Jehnny Beth trug einen schwarzen Anzug mit Fransen an den Ärmeln, dazu sehr hohe Pumps, viel Silberschmuck und unter dem Jacket nur ein Bustier. Die Haare waren zurück gegelt, Augen und Lippen stark geschminkt – ein bisschen wirkte sie, als würde sie in einem Robert Palmer-Video der 80er Jahre mitspielen. Auch die anderen Bandmitglieder an Gitarre, Bass und Schlagzeug trugen schwarz, wobei Gitarristin Gemma Thompson offenbar niemals lächelt. Selbst bei der Verabschiedung der Band, als anderen nach einem offensichtlich gelungenen Auftritt gut aufgelegt waren, verzog sie keine Mine.
Die Aufmerksamkeit lag aber ohnehin voll auf Jehnny Beth, die auf der Bühne umher schritt, ausladende Gesten machte und insgesamt eine wilde Bühnenshow ablieferte. Obwohl ich vorab noch nichts von der Band gekannt hatte, wurden die Songtitel so oft in den Liedern erwähnt, dass die Setliste ein Klacks war. Andere Besucher kannten die Band deutlich besser als ich, schon nach einigen der rockigen Lieder bildete sich vor der Bühne ein Moshpit, der sich bis zu den ruhigen „Mechanics“ und „Adore“ hielt. Vereinzelt gab es auch Crowdsurfing, dass überraschenderweise nicht von Ordnern unterbunden wurde.
Die Setliste berücksichtigte die beiden Alben der Band („Silence Yourself“ und „Adore Life“) im Verhältnis acht zu fünf, den Abschluss bildete die Non-Album Single „Fuckers“, die Beth mit den Worten „This is our last song, and we mean every word of it!“ ankündigte. Vorher hatte sie auf einen „You are sexy!“-Ruf aus dem Publikum mit „I can’t return the compliment“ reagiert – um dann zu klären „…because I don’t know you.“
Der Publikumsstimmung tat dieser Dämpfer keinen Abbruch. Mich konnten Savages musikalisch aber nicht so recht packen.
Setliste:
I Am Here
Sad Person
City's Full
Slowing Down the World
Husbands
When in Love
I Need Something New
The Answer
Hit Me
No Face
T.I.W.Y.G.
Mechanics
Adore
Fuckers
Weiter ging es im selben Zelt mit Glen Hansard. Der irische Musiker ist wohl am besten durch seinen Film „Once“ bekannt, eine fiktive Liebesgeschichte zwischen Straßenmusikern in Dublin, in dem Hansard mit seiner damaligen Freundin die Hauptrolle spielte und viel sang. Wieder einmal war der Besucherandrang riesig, und da wir das Zelt zwischenzeitlich verlassen hatten, blieb uns nur ein Platz in der Mitte.
Auf der Bühne konnte man bereits anhand von Stühlen und Mikrophonen sehen, dass eine größere Zahl Musiker erwartet wurde, und tatsächlich wurde PJ Harveys Rekord vom Vorabend gebrochen: Glen hatte zehn Musiker dabei, darunter jeweils drei Streicher und Bläser. Die Bühnenausleuchtung dieser Menschenschar blieb minimalistisch, es gab nur einige Standscheinwerfer.
Die Stimmung beim Konzert war von Anfang an ausgelassen, sowohl auf der Bühne wie davor. Vor dem dritten Lied „My Little Ruin“ erklärte Hansard als Scherz und in Nachahmung eines fiktiven betrunkenen Festivalbesuchers, er werde versuchen, einen Bierbecher aufzufangen, und streckte die Hand aus – was sofort zu Becherwürfen führte und bei insgesamt drei Versuchen natürlich schief ging. Aber immerhin wurde er auch nicht allzu sehr von verschüttetem Bier durchtränkt.
Die Darbietung von „When Your Mind's Made Up”, dem einzigen Song aus „Once”, wechselte mehrfach zwischen sehr ruhig und absolut bombastisch, was äußerst eindrucksvoll war und für jubelnden Applaus sorgte. Wenig später, bei „Astral Weeks“ verließen alle Musiker bis auf Hansard und den (Kontra-) Bassist die Bühne. An einer Liedstelle wurde das Publikum zum Mitsingen (eigentlich war es eher ein Schrei) ermuntert, indem Hansard sagte, es sei egal, ob man den richtigen Ton treffe, wenn man mit Gefühl sänge, träfe man immer den Ton. (Am nächsten Tag sollte es von Suedes Brett Anderson noch eine andere Interpretation zu diesem Thema geben.)
Hansard erklärte, die Band habe eine Weile nicht gemeinsam gespielt, und es mache großen Spaß, wieder zusammen zu sein. Vielleicht aus dieser Wiedersehensfreude, vielleicht auch routinemäßig, wurden gelegentlich kleine „Scherze“ in Songs eingebaut. So wurde „Love Don't Leave Me Waiting” in einer Passage plötzlich zu Aretha Franklins „Respect”, in „MacCormack’s Wall“ hörte man kurz den Sesamstraßen-Song „Mana mana“.
Da wir angesichts der stets sehr vollen Konzerte nicht bis zum Ende warten wollten, um dann gegebenenfalls bei The National im Hauptzelt ganz hinten zu stehen, machten wir uns während des schlechtesten Songs, der Blues-Nummer „Way Back in the Way Back When“ auf den Weg – auch in dem Bewusstsein, dass wir Glen Hansard im August beim „A Summer’s Tale“-Festival wiedersehen werden. Im Netz konnte man später lesen, dass dieses Konzert, anders als alle, die wir an den drei Tagen gesehen hatten, Zugaben gehabt hatte, sogar zwei von ihnen mit insgesamt drei Liedern.
Insgesamt war dieser Auftritt für uns eine Überraschung: Weder hatten wir damit gerechnet, dass Hansard mit derart vielen Musikern auftreten würde, noch hatten mir mit der dadurch möglichen, sehr abwechslungsreichen Musik gerechnet. Auch die enormen Entertainer-Qualitäten des Sängers hatten wir so nicht erwartet.
Das ganze Konzert beim Down The Rabbit Hole festival gib es aktuell übrigens in guter Qualität hier zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=QzEws42yryQ
Setliste:
Didn't He Ramble
Winning Streak
My Little Ruin
When Your Mind's Made Up (The Swell Season Song)
Just to Be the One
Bird of Sorrow
Astral Weeks (Van Morrison Cover)
Love Don't Leave Me Waiting
McCormack's Wall
Lowly Deserter
Way Back in the Way Back When
This Gift
Don't Do It (Marvin Gaye Cover)
Her Mercy
Devil Town (Daniel Johnston Cover)
Obwohl wir uns in unseren Augen frühzeitig auf den Weg Richtung Zelt “Hotot” und The National gemacht hatten, waren viele, viele bereits vor Ort, als wir ankamen. Mit beinahe unverschämter Schlängelei sicherten wir uns noch annehmbar bühnennahe Stehplätze, mussten dann aber noch eine halbe Stunde lang die definitiv unverschämte Drängelei anderer ertragen.
Bevor die Band auftrat, lief vom Band „Please, Please Let Me Get What I Want“ von The Smiths. Dann standen The National, wie häufig begleitet von einigen zusätzlichen Musikern, die Blasinstrumente spielten, schon auf der Bühne. Matt Berninger erklärte, man werde als erstes einen neuen Song namens „Find A Way“ spielen, aber von diesem hörten wir nur wenige Noten – ein Dessner-Bruder bemühte sich redlich am Klavier, konnte diesem aber offensichtlich nicht die gewünschten Töne sondern nicht viel mehr als ein Brummen entlocken. Als der Versuch abgebrochen wurde und einige klatschten, scherzte Berninger „Oh come on, that wasn’t it!“, behauptete dann aber scherzhaft, das nächste The National Album sei komplett „atonal and out of time“.
Eigentlich war uns auch versprochen worden, „Find A Way“ käme dann eben später im Set, das passierte aber nicht. Stattdessen hörten wir eine recht normale The National-Setliste, deren Songs vielfach von Animationen begleitet wurden, die wir noch gut von vorherigen Konzerten kannten – etwa Blutstropfen bei „Bloodbuzz Ohio“ und Regen bei „England“.
Die vorherige Kenntnis anderer The National-Liveauftritte erwies sich an diesem Abend als Vorteil, denn so konnte man quasi im Kopf Lücken ergänzen. Denn leider verfügte der Auftritt über keinen sonderlich guten Sound, außerdem war Matt Berninger ausgesprochen schlecht bei Stimme und krächzte viele Lieder eher als dass er sie sang.
Ansonsten war viele „wie immer“, so etwa Berningers Sprung ins Publikum zu „Mr. November“ – er joggte in recht hohem Tempo an uns vorbei – und seine Bühnenausbrüche, bei denen er unter anderem einen Weinkühler auf der Bühne ausschüttete (was bei den dort liegenden Stromkabeln sicher keine gute Idee war) und wenig später noch eine halbvolle Weinflasche zerschlug. Immerhin warf er diese Gegenstände nicht, wie vorher schon einen Becher, ins Publikum.
Das Set enthielt dann doch noch zwei neue Songs, „Kingston“ und „The Day I die“, sonst fühlte es sich ziemlich nach „business as usual“ an. „England“ kündigte Berninger in einer BREXIT-Referenz mit den Worten „This is for England. Please come back.“ an. Gar nicht einordnen konnte ich seine Vorstellung der Zusatzmusiker, zu denen er meinte, er wisse nicht, ob er sie „knobtwisters“ oder „brassholes“ nennen solle. Freundlich klang das nicht…
Und so war der mit Vorfreude erwartete The National-Auftritt letztlich eine ziemliche Enttäuschung, über die nur die wie immer sehr schönen, und auch durch schlechten Sound und krächzige Stimme unzerstörbaren Lieder etwas hinweg halfen. Da war es schon konsequent, dass wir auch keine Zugabe zu hören bekamen.
Setliste:
Find A Way (abgebrochen)
Don't Swallow the Cap
Sea of Love
Bloodbuzz Ohio
The Day I Die
Afraid of Everyone
Squalor Victoria
I Need My Girl
This Is the Last Time
Kingston
Slow Show
Pink Rabbits
England
Graceless
Fake Empire
Mr. November
Terrible Love
Anschließend blieb für uns noch die spannende Frage, wie wir zum Auto kämen und ob wir dieses bewegen können würden. Als wir das Gelände verließen, stand dort, obwohl Mitternacht nun längst vorbei war, ein etwa halbvoller Bus, den ein handgeschriebenes „D“ zierte. Hervorragend! Nach ein bisschen Wartezeit auf andere Konzertgänger wurden wir problemlos zum Parkplatz gefahren, wo sich das Auto dann unter gewaltiger Matsch-Entwicklung wegfahren ließ. Der Abend hatte also ein Happy End.
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