Im März startete auf Netflix die Miniserie Adolescence und war nicht nur enorm erfolgreich, sondern führte auch zu diversen Artikeln und Diskussionen. Ich selbst fand die vier Folgen gleichzeitig großartig und sehr aufwühlend. Allerdings glaube ich, dass einen die Serie am meisten packt, wenn man sie, wie ich, komplett unvorbereitet sieht. Ich hatte beim Ansehen keine Ahnung, wo die Handlung hinführt, was zum einen die erste Folge (und deren Ende) besonders erschütternd machte, zum zweiten rechnete ich im Anschluss damit, dass die weiteren Teile sich in der erzählten Zeit direkt anschließen würden - was nicht der Fall ist.
Insofern kann ich, falls jemand das hier liest und die Serie noch nicht kennt, eigentlich nicht empfehlen, hier weiter zu lesen. Ich erzähle dennoch kurz, worum es geht: Die erste Folge zeigt, wie der 13jährige Sohn einer englischen Familie völlig überraschend eines Morgens bei sich zu Hause festgenommen wird, weil er eine Mitschülerin ermordet haben soll. Die Tat erscheint zunächst völlig unmöglich, da die Zuschauer sowohl Jamie als auch seine Familie als völlig "normal" kennenlernen und somit geneigt sind, dessen Unschuldsbeteuerungen zu glauben - bis enthüllt wird, dass die Tat von einer Überwachungskamera aufgezeichnet wurde.
Die weiteren Episoden spielen jeweils in zeitlichem Abstand: drei Tage, sieben Monate und schließlich dreizehn Monate nach der Tat. Dabei wird zunächst Jamies schulisches Umfeld mit überforderten Lehrern und mobbenden Mitschülern gezeigt, dann wird man Zeuge einer Evaluation des jungen Täters durch eine Psychologin. Zuletzt geht es zurück in die Familie, die über ein Jahr nach der Tat irgendwie weiterleben muss und dabei im Alltag konstant mit dem furchtbaren Verbrechen konfrontiert wird.
Adolescence nimmt in der Darstellung von Jamies schulischem Umfeld viel Bezug auf soziale Medien und reale Influencer wie Andrew Tate, die jungen Männern suggerieren, dass sie Frauen unterwerfen müssen - und Versager sind, wenn ihnen das nicht gelingt. Dabei vermeidet die Serie es aber, eine einzige Ursache für das Verbrechen zu liefern: Ja, Jamie wurde via soziale Medien einer "Alpha Male"-Kultur ausgesetzt, und gleichzeitig wurde er - ebenfalls öffentlich via soziale Medien - vom Mordopfer gedemütigt, was für ihn angesichts seiner fehlgeleiteten Ideen zur Männlichkeit besonders schlimm war. Ja, Schule und Lehrer bieten den jungen Menschen keine überzeugende Werte, die mit diesen schrägen Ideen mithalten können. Ja, Jamies Familie hat nicht gemerkt, was sich der Sohn im Internet ansah, was er mit seinen Freunden besprach und wie es gefühlsmäßig in ihm aussah. Ja, ihm wurde auch seitens seiner Eltern nicht gut genug vermittelt, dass Männlichkeit sehr unterschiedlich aussehen kann und nicht in traditionellen Mustern verhaftet sein muss. Aber all das sind eben nur Teilaspekte - und diese Verweigerung einfacher Antworten führt dazu, dass die Serie nach dem Ansehen lange nachhallt.
Erwähnenswert ist auch die technische Machart von Adolescence, die Serie ist nämlich komplett im "one Shot"-Modus gedreht, was bedeutet, dass die jeweiligen Folgen ohne Schnitte auskommen - eine enorme Herausforderung für Schauspieler und Crew. Mir fiel diese Tatsache allerdings relativ spät auf, weil ich so stark in die Handlung gezogen war.
Ich habe bereits eingangs erwähnt, dass ich die Serie großartig fand - ich kann nur allen empfehlen, sich die Zeit dafür zu nehmen.
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