Wann war ich - vor dem letzten Donnerstag - eigentlich zuletzt in der Kölner Wohngemeinschaft, einer charmanten Kombination aus Bar, Hostel und Konzertsaal? Dieser Blog weiß Bescheid: 2017, vor acht Jahren also, sahen wir hier The Lake Poets, vor dem Wohnzimmerkonzert bei uns. Den Konzertsaal hatte ich dennoch in lebhafter Erinnerung: In dem recht kleinen Raum standen Stuhlreihen vor einer Bühne, die mit altmodischem Mobiliar eine Wohnzimmer-Optik bekommen hatte. Der Saal fasst 70 Personen, nach eigenen Angaben handelt es sich um Kölns kleinsten Veranstaltungsort mit internationalen Künstlern.
Für den Auftritt von Dressed Like Boys am Freitag hatte mein Freund Gästelistenplätze ergattert - wobei ihm kommuniziert worden war, dass der Auftritt eigentlich ausverkauft sei. Auf der Hinfahrt überlegten wir also, ob man irgendwo noch Platz für zusätzliche Stühle gefunden hatte - oder ob wir am Ende auf dem Omasofa auf der Bühne würden sitzen müssen.
Die Anreise an einem Wochentagsabend nach der Arbeit erwies sich dann als etwas hektisch, dennoch waren wir letztlich vor Einlassbeginn vor Ort - und erlebten eine Überraschung: Der Raum war nämlich überhaupt nicht bestuhlt! Auch das Bühnen-Mobiliar hatte - zumindest für diesen Abend - weichen müssen, es gab auch gar keinen Platz dafür. Hier drängelten sich mehrere Keyboards, ein sicherlich aus Platzgründen seitwärts aufgestelltes Schlagzeug und Sitzgelegenheiten für mehrere Musiker. Damit war auch die Frage beantwortet, ob es sich um einen Solo- oder einen Bandauftritt handeln würde.
Dressed Like Boys ist nämlich das Solo-Nebenprojekt des belgischen Musikers Jelle Denturck, der normalerweise mit der Indie-Rockband DIRK. auftritt. Seine Solo-Lieder fallen deutlich ruhiger und emotionaler aus, das erste Album ist im September erschienen. Der Auftritt in der Wohngemeinschaft war, wie er zu Beginn sagen würde, sein erster in Deutschland mit Eintrittskarten - und, wie bereits erwähnt, ausverkauft. Kurz vor Beginn kam sogar die Dame vom Einlass in den Raum und fragte nach einer Person, die vorhin eine Karte übrig gehabt hatte - offenbar hätte gerne noch jemand ein Ticket gekauft.
Vielleicht war es ja der Andrang, der dazu geführt hatte, dass an diesem Abend auf die Bestuhlung verzichtet worden war (womöglich ist es auch seit 2017 so, wir hätten es nicht mitbekommen). Durch die sehr niedrige Bühne ergab sich so das Problem, dass die Sicht auf die Musiker in dem schmalen Raum für alle schwierig war, die nicht in der ersten Reihe standen. Selbst wir, die wir sehr weit vorne standen, hatten unsere Probleme.
Eine Vorband gab es an diesem Abend nicht, Jelle hatte sich aber eine Band mitgebracht: Mit ihm betraten ein Gitarrist, ein Bassist, ein Schlagzeuger und eine Keyboarderin die Bühne, er selbst stellte sich vorne ebenfalls hinter ein Keyboard. Das erste Lied "Questions" trug er als Solist vor, erst bei "Finger Trap" fielen die anderen Musiker mit ein.
Zu Beginn des Sets war Jelle noch nicht sonderlich gesprächig, das nahm jedoch im Laufe des Auftritts zu. Zum vierten Lied "Our Part of Town" etwa erfuhren wir, es handele von seiner Heimatstadt. Als niemand im Publikum diese zu kennen schien, versicherte er, man habe da auch nichts verpasst.
Zum nachfolgenden "Agony Street" griff er zu einem lustigen kleinen Mikrophon (es sah aus wie ein winziger Duschkopf), das die Stimme leicht verzerrte, und trat damit vors Keyboard und letztlich in den Zuschauerraum. Hinterher erklärte er befriedigt, dass er nun wisse, dass auch hinten Publikum anwesend sei, und dass er von der Bühne aus nur die Zuschauer ganz vorne sehen könne. Auch die Sicht aufs Publikum war also anscheinend schwierig...
"Nando" dreht sich um Jelles Partner, das anschließende "Pride" handelt von einem gemeinsamen Erlebnis der beiden: Sie leben mittlerweile in Gent (das im Gegensatz zu Jelles Heimatstadt viele Konzertgäste kannten und schon einmal besucht hatten). Hier wurde das Paar einmal in einer belebten Gegend von betrunkenen Personen homophob angefeindet und bedroht, und während Jelle möglichst schnell aus der Situation fliehen wollte, suchte Nando die Konfrontation - was, wie Jelle anmerkte, eventuell damit zu tun hatte, dass Nando eine Vergangenheit als Kickboxer hat, Jelle jedoch nicht.
"My Friend Joseph" wurde mit den Worten "We can do happy songs too!" eingeleitet - tatsächlich hatte sich die Mehrheit der Lieder bis dahin um traurige Themen gedreht. Alle Songs kamen sehr gut an, teils unterschieden sich die Liveversionen von den veröffentlichten. "Gregor Samsa", das der Sänger für seine Mutter geschrieben hat, erhielt einen langen und lauten Instrumentalteil, "Pinnacles" an diesem Abend deutliche 70er Jahre-Rock-Anklänge.
Die Setliste war zu Beginn des Konzertes gut für uns sichtbar ausgelegt worden, und so konnten wir erkennen, dass der Abend schnell voranschritt. Vor dem letzten Lied "Stonewall Riots Forever" erzählte uns Jelle die Geschichte dazu - einen Straßenkampf in New York, bei dem sich die Besucher einer bekannten Schwulenbar gegen willkürliche Polizeigewalt wehrten - und der letztlich zu den alljährlichen Pride-Demonstrationen führte. Zum Ende des Songs - und des Sets - reckten alle Musiker die Fäuste in die Luft.
Gerne hätten die Kölner - und auch wir - noch eine Zugabe gehört, doch Jelle blieb hart - und lag durchaus richtig mit der Aussage, es sei einfach zu warm in dem kleinen Raum. Stattdessen bot er an, dass man ihn am Merch-Stand treffen könne. Viele Konzertbesucher nahmen das Angebot an, auch mein Freund erwarb eine Vinylplatte.
Ich hatte vorab das Album "Dressed Like Boys" nur einmal gehört und war überrascht, wie viel besser mir die Livedarbietung gefiel. Vermutlich auch wegen der Erklärungen erschienen mir die Lieder viel emotionaler und interessanter. So hatte sich der Besuch in Köln auch für ein kurzes Konzert durchaus gelohnt.
Setliste:
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