Neulich beim Lokerse Feesten 2023 (1): Ein Tag im Sonnenschein

by - August 10, 2023


Sachen gibt's... da denkt man, man würde die allermeisten Festivals in niederländischen und belgischen Raum zumindest dem Namen nach kennen, und dann kommt das Lokerse Feesten um die Ecke... und existiert ganz frech und von uns unbemerkt bereits seit 1975! Das Konzept entspricht dabei dem anderer Festivals wie beispielsweise Rock en Seine oder auch British Summer Time im Londoner Hyde Park: Es handelt sich nicht um eine einzige mehrtägige Veranstaltung, sondern um getrennte Festivaltage auf demselben Gelände, bei denen jeweils thematisch zueinander passende musikalische Künstler auftreten - ohne, dass erwartet würde, dass jemand die ganze, im Fall von Lokeren zehn Tage lange Veranstaltung besucht. Entsprechend ist auch kein Campingplatz vorhanden.



Im Laufe der Zeit waren hier Künstler aus diversen Genres zu Gast, und auch 2023 decken die Tage ein enormes musikalisches Spektrum ab, je nach Tag hört man hier Hip Hop, Heavy Metal oder auch Pop.

Was brachte uns dazu, ausgerechnet dieses Jahr einmal vorbei zu schauen? Zwei musikalisch interessante Tage hintereinander mit den jeweiligen Headlinern Placebo und Blur gaben den Ausschlag. Und so machten wir uns am Montagmorgen auf Richtung Belgien. Mit Ticketpreisen von 52 bis 60 Euro bezahlte man hier für einen Festivaltag übrigens etwas weniger als für das Placebo-Einzelkonzert, das einige Tage später in Bonn stattfand.




Wir folgten den Hinweisen auf der Festival-Website, die Besucher baten, auf einem Parkplatz direkt an der Autobahnausfahrt zu parken - den wir erst im zweiten Versuch fanden, letztlich wiesen uns die zwischen diesem und dem Festivalgelände fahrenden Pendelbusse den richtigen Weg. Per Bus ging es dann auch für uns ans andere Ende des kleinen Ortes, hier mussten wir als erstes unsere Tagestickets in Armbändchen umtauschen und erhielten Karten fürs kontaktlose Bezahlen von Essen und Getränken.

Der Einlass erfolgte dann überraschend schnell, und so waren wir gegen kurz nach 18 Uhr unter den ersten, die sich vor der Hauptbühne gute Stehplätze sichern konnten. Der Aufbau des eigentlichen Geländes mit diversen Getränke- und Fressständen rund um den großen Bereich vor der Bühne wirkte vertraut. Etwas ungewöhnlich war ein abgegrenzter Korridor, der den Publikumsbereich in zwei Hälften teilte. Wir rechneten vorab damit, dass die Künstler diesen Gang nutzen würden, was dann nur sehr vereinzelt passierte. Stattdessen diente er als einfache und Gedränge-freie Verbindung zwischen Bühnenraum und Mischpult und wurde viel von Festivalangestellten und auch den Fotografen genutzt.



Lustig war, dass die Bühne wir ein riesiger Plattenspieler gestaltet war, mit Schallplatte (unterbrochen durch die eigentliche Bühne), Tonarm und auch, seitlich der Bühne, einer riesigen Plattensammlung.

Etwas weiter weg gab es noch eine weitere Bühne, die wir wegen der engen Taktung der Musikslots aber nicht zu sehen bekamen - ein Verlassen unserer Stehplätze hätte bei einer späteren Rückkehr sicherlich zu wesentlich schlechterer Sicht auf die Hauptbühne geführt (das Festival hatte vorab Drohenfotos von den ersten Tagen gepostet, die etwa 15.000 Besucher sahen aus dieser Perspektive ziemlich einschüchternd aus). Davon abgesehen fanden die Konzerte dort zeitgleich statt.



Gegen 19 Uhr startete noch bei Sonnenschein der musikalische Teil des Abends mit The Haunted Youth aus Belgien, genauer gesagt Hasselt. Auf der Bühne erschien eine vierköpfige Band, tatsächlich handelt es sich bei The Haunted Youth aber um das Soloprojekt des 29jährigen Joachim Liebens, der mit seinen Begleitmusikern (einer Keyboarderin, einem Schlagzeuger und einem Bassisten, die nicht vorgestellt wurden) aktuell diverse europäische Festivals bereist, sein Song "Teen Rebel" läuft im belgischen Radio.

Überraschend für uns war die aufgelaufene Schar von Fotografen: Mindestens 30 von ihnen machten während der ersten Songs eifrig Bilder, und während wir zu diesem Zeitpunkt noch erwarteten, dass wir dasselbe Aufgebot später bei Siouxsie und Placebo wiedersehen würden, war dem dann nicht so. Angesichts der Zahl der anwesenden Pressemitglieder kann ich nur erwarten, dass am nächsten Tag diverse europäische Tageszeitungen Titelgeschichten über The Haunted Youth gebracht haben...



Liebens fiel durch eigenwillig blondierte Haare sowie eine Jeans auf, die offenbar mit Pinup-Girls bedruckt war. Er selbst wirkte etwas unzufrieden über die Helligkeit der Bühne, seine Musik überraschte aber mit durchaus zum Wetter passenden leichten Melodien, die sehr, sehr häufig an die heitereren Klänge von The Cure erinnerten - und an die Shout Out Louds, die den erstgenannten aber ebenfalls musikalisch viel zu verdanken haben. Uns gefiel die Musik live besser als auf dem Debütalbum "Dawn of the Freak" - die Umsetzung auf der Bühne mit anderen Livemusikern tat den Songs, die so nicht mehr sanft vor sich hin plätscherten, gut.

Das Lokerse Feesten sieht für die beiden Support Acts der Hauptkünstlers jeweils eine Stunde Spielzeit vor (eine ungewöhnliche Entscheidung, normaler wäre eine Steigerung der zugestandenen Zeitmenge pro Act über den Verlauf des Abends) - Liebens deckte diese Zeit mit eigener Musik ab, obwohl er ja erst eine Platte veröffentlicht hat. Er war damit der einzige Künstler des Abends ohne Coverversion.

Gesprochen wurde nicht viel - eigentlich ungewöhnlich für einen lokalen Künstler. 

Setliste:

(Intro)
Broken 
Stranger
I Feel Like Shit and I Wanna Die 
House Arrest 
Into You 
Teen Rebel 
Gone 
Riptide
Song Hanne 
Coming Home 



In der nun folgenden Umbaupause blieben wir vor der Bühne stehen. Für visuelle Unterhaltung sorgten die vielen, teils durchaus betagten und manchmal auch gebrechlichen Siouxsie-Fans - erkennbar an ihren durchaus elaborierten Gothic-Outfits. Andere trugen T-Shirts von The Sisters of Mercy, Joy Division, The Cure oder auch Rammstein.



Siouxsie selbst ist mittlerweile 66 Jahre alt und erst kürzlich, nach zehnjähriger Unterbrechung, auf die Livebühne zurückgekehrt. Sie erschien auf der Bühne in einem silbernen Jumpsuit mit Kapuze, über dem sie zu Beginn des Sets noch einen schwarzen, wallenden Mantel trug. Die ehemals schwarzen Haare sind mittlerweile weiß gesträhnt, die Augen waren hinter einer großen Sonnenbrille verborgen. Letztere verschwand zum Glück nach etwa der Hälfte des Sets und enthüllte das klassische Siouxsie-Augen-Makeup.



Zunächst eher statisch, dann aber mit immer mehr theatralischen Bewegungen und Tänzen führte uns die Punk- und Gothic-Legende durch ein Set ihrer bekanntesten Lieder - selbst ich, die einen Tick zu jung ist, um die große Siouxsie-Zeit interessiert erlebt zu haben, kannte einige Songs, etwa das Beatles-Cover "Dear Prudence", "Spellbound" oder "Kiss them for me". Zwei der vorgetragenen Lieder stammten von ihrem  2007er-Soloalbum "Mantaray", das kürzlich wiederveröffentlicht wurde. Ebenfalls auf der Setliste war "Face to Face" von 1992, das für den Soundtrack zu Tim Burtons "Batman Returns" komponiert wurde. Bei "Sin in my Heart" griff sie selbst zur Gitarre.



Siouxsie Gesten und auch Ansagen waren theatralisch, so beklagte sie sich am Anfang des Sets, in Publikum sei zu wenig Bewegung und forderte uns auf, "wiggle around a bit", später meinte sie noch hilfreich wir sollten "be more like kittens". Im Hintergrund zeigte die große LED-Wand zu nahezu jedem Lied Animationen, unter anderem ein wogendes Meer. 

Bei einem weiteren Hit, "Happy House", fielen offenbar die Monitor-Ohrstöpsel, die die Sängerin trug, aus - sie warf das Equipment irgendwann genervt weg und beendete den (auch so anstandslos vorgetragenen) Song mit den Worten "I guess this was good, I wouldn't know as I couldn't fucking hear it!" Ein Techniker, den sie im Spaß würgte, brachte schnell eine Ersatzausstattung.

Insgesamt ein durchaus überzeugender Auftritt einer Musiklegende.

Setliste:

Israel
Arabian Knights
Here Comes That Day
Kiss Them for Me
Dear Prudence (The Beatles Cover)
Face to Face
Land's End
Spellbound
Sin in My Heart
Happy House
Hong Kong Garden
Into a Swan




Während viele Siouxsie-Fans den vorderen Bereich nun verließen, warteten wir mit der Mehrheit auf Placebo. Ich hatte die Band um Brian Molko erst einmal live gesehen, und das ist über 15 Jahre her. Letztes Jahr hat sie ihr achtes Album "Never Let Me Go" veröffentlicht. Von den Gründungsmitgliedern sind mittlerweile nur noch Molko selbst und Stefan Olsdal übrig, was sich auch im Bühnen-Lineup widerspiegelte: Molko und Olsdal (am Bass und kurz auch am Klavier) standen vorne am Bühnenrand, während die vier anderen Musiker deutlich weiter hinten mit ihren Instrumenten in einer Reihe standen. Des gesamte Equipment auf der Bühne war in weiß gehalten. Die Videoscreens hinter und seitlich der Bühne zeigten Bewegtbilder des Liveauftritts, die häufig visuell verfremdet waren.



Placebo haben eine deutliche Meinung zu Handyvideos bei ihren Konzerten: Bereits am Einlass hatten fotokopierte Zettel gehangen, auf denen die Band darum bat, vom Filmen des Auftritts mit dem Smartphone abzusehen. Es erschwere den Kontakt zwischen Musikern und Publikum und sei außerdem rücksichtslos gegenüber den Mitbesuchern des Konzertes. Dasselbe Statement konnte man vor dem Auftritt auch auf den Videoscreens seitlich der Bühne lesen.

Die Umsetzung des in meinen Augen durchaus verständlichen Wunsches gestaltete sich dann aber für uns überraschend: Tatsächlich handelte es sich nämlich um keine Bitte, sondern ein Verbot, die Ordner wachten im vorderen Bereich mit Argusaugen darüber, dass niemand sein Handy zückte, um auch nur ein Foto zu machen. Mein Freund hatte sich die mitgebrachte Kamera von den Veranstaltern genehmigen lassen - aber auch diese Erlaubnis galt offenbar nicht für den Placebo-Auftritt. Da hätte ich es doch wesentlich weniger verwirrend gefunden, von Anfang an anzukündigen, dass jegliche Art von Bildaufnahme verboten sei.



Brian Molkos Markenzeichen war stets seine sehr androgyne Optik mit halblangen schwarzen Haaren und viel Augen-Makeup. Während es eine Weile lang so aussah, als leide er unter typischem männlichen Haarverlust, trägt er heutzutage eine wallende Haarpracht und dazu einen dünnen Schnurrbart. Aus meiner Sicht nicht die beste ästhetische Entscheidung, zumal der kleine Mann in seinen Skinny Jeans beinahe Besorgnis erregend dünn wirkte. Stefan Olsdal dagegen wirkte riesig und wie das blühende Leben, poste mit großer Begeisterung mit seinem Bass und war ganz offensichtlich für die extrovertierteren Gesten zuständig.



Placebo hatten sich bei ihrem Festivalauftritt anders als Siouxsie gegen ein Greatest Hits-Set entschieden, sie spielten insgesamt neun Lieder von "Never Let Me Go" - gut, dass ich das Album gerne mag. Molko war eher wortkarg, meinte aber nach etwa einem Drittel des Auftritts, man sollte die Gerüchte nicht glauben, Placebo seien weiterhin eine europäische Band. Da ich Molko wegen seines Akzents immer für einen Amerikaner gehalten hatte, hielt ich diese Aussage zunächst für einen Witz, las aber später nach, dass er das in Belgien geborene Kind eines Amerikaners und einer Schottin ist; Olsdal stammt aus Schweden - europäischer geht es also kaum, auch wenn Molko in London lebt und Olsdal sich sogar um die britische Staatsangehörigkeit beworben hat.

Im letzten Drittel des Sets kamen dann mehr ältere Singles zum Zug, etwa "Slave to the Wage", "Song to Say Goodbye", "The Bitter End" und "Infra-red", nachdem auch erst einmal Schluss war. Überraschend, um nicht zu sagen, weniger gut gewählt, waren dann die Zugaben: Das Cover "Running Up That Hill" lasse ich als Quasi-Klassiker aus dem Placebo-Songkatalog noch angehen, allerdings erschien mir noch eine Coverversion, nämlich von Tears for Fears "Shout" dann doch überflüssig. Der eher ruhige Song dazwischen, "Fix Yourself", erschien ebenfalls als seltsame Wahl - wenn doch gleichzeitig auf Hits wie "Every You Every Me", "Pure Morning", "Special K" oder "You Don't Care About Us" verzichtet wurde. Nach "Shout" nutzte Olson als einziger Künstler des Abends den Steg ins Publikum und klatschte dort einige Fans ab.



Falls sich nun jemand fragt, warum es in diesem Beitrag überhaupt Fotos gibt: Mein Freund schlich sich zu Beginn des Zugabenteils nach weiter hinten, wo die Ordner deutlich weniger scharf aufpassten. So konnte er doch noch einige Bilder machen und hat die Band auch sicher nicht gestört.

Trotz meiner Kritikpunkte gefiel mir der  - von Molko durchgehend hervorragend gesungene - Auftritt als Ganzes sehr gut, ich bin froh, Placebo ein weiteres Mal live gesehen zu haben.

Setliste:

Forever Chemicals
Beautiful James
Scene of the Crime
Hugz
Happy Birthday in the Sky
Bionic
Surrounded by Spies
Sad White Reggae
Try Better Next Time
Too Many Friends
Went Missing
For What It's Worth
Slave to the Wage
Song to Say Goodbye
The Bitter End
Infra-red

Shout (Tears for Fears Cover)
Fix Yourself
Running Up That Hill (A Deal With God) (Kate Bush Cover)

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