Neulich ohne Konzert: Thees Uhlmann in der Koblenzer Buchhandlung Reuffel
Vor einigen Wochen erfuhr mein Freund, dass Thees Uhlmann in Koblenz eine Lesung veranstalten würde. Nach ein wenig Recherche bekamen wir heraus, dass in der Stadt aktuell zum vierten Mal die Veranstaltungsreihe "Koblenz liest ein Buch" läuft, und dieses Jahr dreht sich dabei alles um Uhlmanns Roman Sophia, der Tod und ich. Was einiges erklärte, denn zunächst waren wir etwas verwundert darüber gewesen, dass der vor allem als Musiker bekannte Künstler mit seinem nun neun Jahre alten Buch (aus dem er seinerzeit unter anderem bei Festivals und Konzerten vorgelesen hatte) nochmals auf Lesereise gehen würde.
Wir sicherten uns sofort Karten - die Veranstaltung, die in einer großen Buchhandlung stattfand, war zwar an sich kostenlos, aber platzmäßig eingeschränkt. Erst hinterher informierten wir uns noch genauer: Angekündigt war das Ganze als "Talk mit Autor Thees Uhlmann, Markus Dietze (Intendant am Theater Koblenz) und Juliane Wulfgramm (Chefdramaturgin am Theater Koblenz)" - ich bin mir relativ sicher, dass in einer anderen Ankündigung auch etwas von Lesung gestanden hatte, in keinem Fall sollte aber einfach nur vorgelesen werden.
Wenn man sich das durchaus umfangreiche Programm von "Koblenz liest ein Buch" ansieht, mangelt es darin auch nicht an Lesungen: Schauspielschüler, der Gartenverein, der Bildungsdezernent, die Bürgermeisterin und viele andere lesen im Juni und Juli an unterschiedlichen Orten und mit verschiedenen Schwerpunkten aus dem Buch vor. Darüber hinaus zeigt das Theater Koblenz ein Theaterstück nach dem Roman, in Kino wird der zugehörige Film vom letzten Jahr kurzzeitig wieder ins Programm genommen.
Darüber hinaus werden noch andere Veranstaltungen angeboten, etwa ein Schreib-Workshop, ein "literarischer Leichenschmaus", bei dem wohl im Roman vorkommende Speisen aufgetischt werden und ein philosophisches Gespräch.
Beim schnellen Besorgen der Tickets hatten wir nicht beachtet (mit wäre es auch egal gewesen), dass aktuell die Fußball-Europameisterschaft der Männer stattfindet. Die Veranstalter hatten noch Glück damit gehabt, dass Deutschland nicht im Achtelfinale um 18 Uhr gelandet war, das komplett gleichzeitig zum Uhlmann-Event stattfand, das für 19 Uhr angesetzt war. Als Sieger ihrer Gruppe spielte die deutsche Nationalmannschaft dann erst um 21 Uhr, dennoch blieben, obwohl die Veranstaltung eigentlich ausgebucht gewesen war, einige der aufgestellten Stühle leer. Dennoch waren um die 100 Personen gekommen.
Eventuelle Terminängste der anwesenden Fußballfans wurden aber gleich mit dem Grußwort beschwichtigt: Man versprach, auf jeden Fall vor dem Anpfiff fertig zu werden. Ach ja, die Grußworte: Von diesen gab es so einige, seitens der Buchhandlung, der Stadt Koblenz und auch eines der Sponsoren (denen auch ausführlich gedankt wurde).
Währenddessen hatten Uhlmann und seine beiden Interviewer bereits auf der "Bühne" Platz genommen, und es war dem Autor so sichtbar unangenehm, all die Lobeshymnen rund um sein Buch und seine Anwesenheit zu hören, dass es einer der Laudatoren sogar in seine Ankündigung einbaute.
Dann ging es also los mit dem Gespräch, denn letztlich stellte sich heraus, dass es überhaupt keine Lesung gab, und auch, wenn Zuschauerfragen eigentlich eingeplant gewesen waren, fanden diese letztlich auch nicht statt. Stattdessen stellten Dietze und Wulfgramm Fragen, und es ergab sich ein angeregter, aber auch recht komplexer Gesprächsverlauf, von dem ich mir vieles sicherlich nicht gemerkt habe.
Immer wieder kamen die beiden Interviewer auf das in Koblenz produzierte Theaterstück zu sprechen - einerseits völlig verständlich, da sie beide ja in die Produktion involviert sind und es sich zudem vermutlich um den aufwändigsten Aspekt der Veranstaltungsreihe handelt. Andererseits war das ein wenig schade, da wir das Stück nicht kannten - und Uhlmann ja auch nicht.
Erfahren haben wir aber dennoch so einiges:
- Thees Uhlmann lag die Anfrage, ein Buch zu schreiben, bereits eine Weile lang vor, als ihm die ersten 25 Seiten des Romans auf einmal in den Sinn kamen. Diese Fragment pitchte er bei Marcus Wiebusch und schlug als Alternative ein Buch über Bier vor. Wiebusch wählte das Fragment.
- Er war von der Zusammenarbeit mit Charly Hübner, der bei der Verfilmung des Romans Regie geführt hat, sehr begeistert. Dessen Interpretation des Romans ist, dass es sich bei der ganzen Geschichte um eine Nahtoderfahrung handelt - was alle auf der Bühne plausibel fanden.
- Durch das Gespräch zogen sich immer wieder Verweise auf Religion und Religiösität - angefangen damit, dass unter den angekündigten Lesungen des Programms auch eine mit dem Dekan des Pastoralen Raumes Koblenz ist, umschrieben als "theologische Lesung". Uhlmann kündigte an, gerne dabei sein zu wollen und wunderte sich im Anschluss selbst darüber, wie häufig er in der Diskussion bei religiösen Themen landete.
- Die Frage, woraus er Inspiration ziehe, beantwortete er, indem er laut über das Joy Division T-Shirt eines Teenagers nachdachte, der in der ersten Reihe saß und sich laut fragte, ob man in diesem Alter Interesse an der Band haben könnte, oder ob es dem Träger nur ums Shirt ginge. Uhlmann geht offensichtlich sehr aufmerksam durchs Leben.
- Auf der Seite des Verlags von Sophia, der Tod und ich kann man laut Dietze lesen, dass Uhlmann aktuell an seinem zweiten Roman arbeite. Uhlmann meinte, das stehe aber schon lange da und ging davon aus, dass das neue Buch wohl erst in zehn Jahren erscheinen werde. Er habe seiner Lektorin bereits eine Idee vorgestellt, die aber sehr ambitioniert sei - sie habe gemeint, wenn er mit diesem Konzept durchkäme, könnte es Literaturpreise geben.
- Uhlmann betonte aber auch mehrmals, dass er kein Interesse an einer abgehobenen Kultur hat, die Menschen ausschließt. Er merkte unter anderem an, dass er sich als Teil einer eher amerikanischen Erzähltradition sieht, und erwähnte Stephen King.
- Der Künstler selbst ist an der Europameisterschaft nicht sonderlich interessiert, er erklärte das mit einem Kindheitserlebnis, einer Begegnung mit nationalistischen deutschen Fußballfans im Ausland. Diese Erfahrung hat es sogar in verfremdeter Form in den Roman geschafft.
So verging das Gespräch schnell, und wer wollte, konnte sich im Anschluss noch ein Buch oder eine (mitgebrachte) Schallplatte signieren lassen.
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