Von Samstag auf Sonntag übernachteten wir in einem Mannheimer Hotel und bekamen deshalb trotz später Ankunft gegen 1 Uhr beinahe ausreichend Schlaf. Den Vormittag nutzten wir, um den Luisenpark zu besuchen, den wir vor längerer Zeit anlässlich des einmaligen Maifeld Derby Spin-Offs Seebühnen-Regatta kennengelernt hatten. Leider war das Wetter weiterhin sehr schwül und drückend.
Dabei blieb es auch, als wir nachmittags wieder zum Festival-Gelände fuhren. Die anfängliche Erleichterung, dass unser erstes Konzert des Tages im Palastzelt und somit außerhalb der Sonne stattfand, wich der Erkenntnis, dass es im Zelt mindestens genauso warm war. Es war kaum auszuhalten.
Um 15 Uhr traten hier Deadletter aus Großbritannien auf. Wir wussten vorab nicht wirklich viel über die Band aus Südlondon, die bereits seit einigen Jahren existiert und beispielsweise schon einen Support Slot für Placebo ergattert hat. Das Debütalbum "Hysterical Strength" ist letztes Jahr erschienen.
Die Bühne wurde nun von sechs jungen Männern betreten, Sänger Zac Lawrence, um den sich das Set ganz klar drehte, erschien als letzter, in Anzughose, altmodischem Herrenunterhemd und Sonnebrille - Unterhemd und Sonnebrille fielen, als die Fotografen fertig waren. Lawrence fühlte sich trotz der Uhrzeit und der Temperaturen ganz klar als Rockstar, und dieses Selbstbewusstsein überzeugte - in kurzer Zeit bildete sich zur Post Punk-Musik sogar ein ansehnlicher Sonntagnachmittags-Moshpit - und das trotz der Hitze.
Lawrence blieb ganz Frontmann, tanzte, stellte sich direkt ans Trenngitter zum Publikum und kletterte auch darüber, um in unserer Mitte zu performen. Für einen Song sollten sich im Publikum alle hinhocken und dann irgendwann aufspringen, alle machten mit. Noch irrer war, dass der Sänger irgendwann "More Heat!" forderte, was sich zum Glück nur als Songtitel entpuppte.
Mein Freund meinte zu mir "Wenn sie das Saxophon streichen, werden die groß" - ich könnte mir vorstellen, dass er sogar unabhängig von der Saxophon-Situation richtig lag.
Setliste:
Relieved
It comes creeping
Weiter gibt es mit einem der Hauptgründe meines Freundes, das Derby besuchen zu wollen: Porridge Radio. Die Band rund um die Brightoner Songschreiberin Dana Margolin hat bereits im Januar angekündigt, dass sie sich nach ihren bereits für 2025 geplanten Auftritten trennen wird, insofern gibt es nicht mehr viele Gelegenheiten, ihre Konzerte zu besuchen (auch wenn mein Freund sie noch im Dezember im Gebäude 9 gesehen hatte).
Auch hier draußen floss der Schweiß, wenn auch nicht schlimmer als vorher im Zelt. Vor der Bühne hatte sich eine ordentliche Zahl Zuschauer versammelt, und auch Timo Kumpf hatte offensichtlich Interesse an dem Auftritt: Wir sahen ihn sowohl am linken als auch am rechten Bühnenrand, wo er jeweils Fotos machte.
Margolin war nicht sonderlich gesprächig - sie erwähnte, dass es wirklich sehr warm sei und überlegte gemeinsam mit der Band, ob dieses ihr letztes gemeinsames Deutschland-Konzert sei (sie vermuteten, es sei so, lagen damit aber falsch - Porridge Radio tritt im August noch beim Haldern Pop auf).
Die Bandmitglieder wirkten freundlich und gut gelaunt, die sehr blasse Keyboarderin rannte allerdings an einem Punkt des Sets kurz von der Bühne, um sich Sonnencreme zu holen - sicher eine gute Entscheidung.
Die Lieder von Porridge Radio sind von emotionalen Ausbrüchen beim Singen gekennzeichnet, die nicht so recht zum sonnigen Nachmittag und der ansonsten guten Stimmung passen wollten. Die Setliste war nicht speziell zum Anlass "Abschiedskonzert" (in diesem Fall sogar seitens Band und Veranstaltungsort) angepasst und fokussierte sich hauptsächlich auf das letzte Album "Clouds in the Sky They Will Always Be There for Me ".
Die Band verlor die Zeit etwas aus den Augen, zeitlich gesehen wäre "Machine Starts to Sing" das letzte Lied gewesen, es folgte aber noch "7 Seconds", das mehr als sieben Sekunden dauerte. Als ein Stage Manager Margolin dringlich darauf aufmerksam machte, dass die eingeplante Zeit eigentlich bereits überschritten sei, entschuldigte sie sich beim Publikum dafür, dass der geplante letzte Song "Back to the Radio" nun nicht mehr gespielt werden konnte - wir sollten ihn uns bitte allein anhören.
Setliste:
Wir wanderten zurück ins Zelt, zu einem Act, auf den ich eigentlich keine Lust hatte: Drangsal hatten wir bereits beim Corona-Maifeld Derby 2021 gesehen, damals als Hauptact. Ich erinnerte mich gut an den damaligen Auftritt, der sehr gut ankam und auch gut besucht war - nur konnte ich selbst mit den deutschsprachigen Songs, in denen sich viel auf "Liebe - Hiebe-Triebe"-Niveau reimt, nicht sonderlich viel anfangen. Für mich ein bisschen wie Die Ärzte in langweiliger, aber wie gesagt: Dem Publikum gefiel es sehr gut.
Schon optisch gesehen war dieses Mal vieles anders: Damals war Drangsal zunächst mit einer Teufelsmaske aufgetreten und trug darunter Glatze und Make-up. Den vergleichsweise eher unauffälligen jungen Mann, der dieses Mal gleichzeitig mit seiner Band die Bühne betrat und dabei zunächst nicht groß in Erscheinung trat, hätte ich ohne Hilfe gar nicht wiedererkannt.
Nach längerem Intro startete Drangsal seinen Auftritt mit den Worten "Dann tragen wir das Ding hier mal zu Grabe!" Seltsamerweise leuchtete die LED-Leinwand hinter der Bühne hell, ohne irgendetwas zu zeigen, und hüllte die ansonsten spärlich beleuchtete Bühne in Gegenlicht. Daran änderte sich im Verlauf des Sets nichts. Drangsal hat ein neues Album mit dem Titel "Aus keiner meine Brücken, die in Asche liegen, ist je ein Phönix emporgestiegen" angekündigt, das Mitte Juni erscheint. Aus diesem stammte die Hälfte der gespielten Songs und war dem Publikum somit in Teilen neu.
Der Sound war insgesamt rockiger als beim Konzert vor vier Jahren, zu "Kellerparty" durfte Keyboarder Niklas Nadidai nach vorne und spielte ein engagiertes Solo auf der Keytar. Das anschließende "Pervert the Source" kündigte Drangsal als "ein bisschen Disco" an und nahm selbst ein Bad in der Menge.
Ich denke, dass die Songauswahl und auch das Setting zu einem auch bei der Allgemeinheit etwas weniger gefeierten Set führte als das 2021 der Fall war - aber das ist natürlich ein subjektiver Eindruck.
Setliste:
Will ich nur dich
Life ist ein Killer
Schnuckel
Kellerparty
Pervert the Source
Hab Gnade!
Bergab
Turmbau zu Babel
Mein Eid
Als nächstes war mein persönlicher Tages-Headliner Efterklang an der Reihe. Dafür wechselten wir wieder zur Open Air-Bühne. Efterklang waren schon mehrere Male beim Derby zu Gast gewesen, auch ich hatte sie 2013 und 2021 hier gesehen. Schön, dass sie auch für die Abschiedsveranstaltung gebucht worden waren.
Bei der dänischen Band sind meistens auch die Outfits erwähnenswert, so auch heute: Sänger Casper Clausen trug Hemd und Hose in verschiedenen Rottönen, was ihn auf mich wie einen freundlichen Sektenchef wirken ließ - zumal er erst nur Schlappen trug und dann barfuß war.
Mads Brauer an Computern und Keyboards war ganz in blau gekleidet. Seine Schuhe legte er ebenfalls sehr schnell ab und trug Efterklang-Socken. Rasmus Stolberg spielte Gitarre und war ganz in weiß gekleidet. Er war der einzige, der seine Schuhe anbehielt, hier hatte er sich für eine besonders spacige Variante von Crocs entschieden.
Recht früh im Set spielten sie das wunderbare "Modern Drift". Der Song wurde einst in einem Werbefilm fürs Haldern Pop verwendet und lässt seitdem vor meinem inneren Auge Bilder von schönen Festivalszenen erscheinen, passte hier also sehr gut.
Wie immer vermittelten die drei den Eindruck, als seien sie die netteste Band der Welt. Mit dabei war auch wieder ein seltsames Instrument, das aussah, wie ein winziges Saxophon aus dem 3 D-Drucker. Es kam erstmalig bei "Ambulance" zum Einsatz. Clausen nutzte teilweise für seinen Gesang gleichzeitig mehrere Mikrophone und verfremdete so seine Stimme.
"Hold Me Close When You Can" trugen Clausen und Brauer allein vor, Stolberg saß zunächst neben dem ebenfalls nicht benötigten Schlagzeuger und beschäftigte sich dann, indem er eine Fahne, die die Band als behelfsmäßige Bühnendeko dabei hatte und die mit dem Albumtitel "Things We Have In Common" beschriftet war, schwenkte. Das anschließende "The Ghost" wurde dem "Spirit of Maifeld" gewidmet.
Gegen Ende des Sets kamen Clausen und Stolberg zum Publikum herunter. Clausen nutzte die Fotografen-Trennwand mit seinem Ring als Percussion-Instrument, während gleichzeitig Stolberg Zuschauer seinen Bass spielen ließ.
Wie vorher schon Porridge Radio hatten auch Efterklang ihr Zeitkontingent überschätzt und mussten ihren Auftritt früher als von ihnen geplant beenden. Kurzerhand verließen sie die Bühne und spielten im Publikum ohne Mikrophone das letzte Lied "Getting Reminders". Der Schagzeuger bewies dabei, dass eine Wasserflasche als recht facettenreiches Percussion-Intrument eingesetzt werden kann.
Plant
Mein Freund und ich hatten gerade noch Zeit, zu besprechen, dass wir in die Efterklang-Sekte, sollte es sie geben, definitiv eintreten würden, da mussten wir schon wieder zurück ins Palastzelt, wo gerade der Auftritt von Olli Schulz begann.
Dessen musikalische Karriere umfasst mittlerweile über 2 Jahrzehnte, aber dadurch, dass er in den letzten Jahren vermehrt mit Joko und Klaas aufgetreten ist, gemeinsam mit Jan Böhmermann den zeitweise erfolgreichsten Podcast bei Spotify moderiert und bei einer Netflix-Dokumentation mitwirkte, ist er im letzten Jahrzehnt viel bekannter geworden - und manche wissen vielleicht gar nicht, dass er ursprünglich Musiker war.
Hinzu kommt, dass ich viele ältere Schulz-Songs nach wie vor mag, mit seinen jüngeren Veröffentlichungen aber weniger anzufangen wusste. Aber ich war gespannt, wie mir der erste Auftritt des Künstlers, den ich seit 2016 besuchte, gefallen würde.
Vom damaligen Auftritt war mir in Erinnerung geblieben, dass Schulz andere bekannte Musiker zur Unterstützung dabei hatte (Kat Frankie und Gisbert zu Knyphausen). Dieses Mal hatte er zwar eine recht große Band dabei, namentlich angesprochen wurde aber nur immer wieder Lampe (der im echten Leben Tilman Claas heißt und Schulz auch schon als Support Act begleitet hat). Lampe betätigte sich aber hauptsächlich als Stage Hand.
Ich freute mich, dass mein alter Favorit "Dann schlägt dein Herz" es schon auf den dritten Platz der Setliste geschafft hatte, vorher war schon stimmungsförderndes Konfetti verschossen worden. Als Nächstes wurde es allerdings eher albern: Zum ohnehin schon albernen Rap-Song "Passt schon!" kamen als riesige Figuren ein Oktopus und ein Krokodil auf die Bühne. Mein Freund witzelte, in der einen Figur sei sicherlich Timo Kumpf versteckt, ich trug bei, in der anderen verberge sich dann wohl Jan Böhmermann. Aufklären konnten wir unsere Hypothesen leider nicht - meinem Freund war der Kindergeburtstag-Teil zu albern gewesen und er wanderte ab zum Parcours d'Amour, ich blieb allein zurück.
Zu "So schreibt man einen Song" erzählte Schulz, dass er sich schon immer für Musik begeistert habe. Seine erste Freundin habe er sogar im Plattenladen kennengelernt. Sie wollte sich The Cures "Pornography" kaufen, er mansplainte, dass "Disintegration" ein noch besseres Album sei.
Für "Stadtfest in Bonn" wurde ins Publikum gefragt, ob sich jemand zutraue, den weiblichen Part des Duetts über ein Schlagerpaar, dass abseits von Auftritten längst getrennte Wege geht, zu singen (im Original erledigt das Ina Müller). Niemand fand sich, also sprang Lampe ein.
Schulz-typisch gab es weitere unterhaltsame Geschichten - wir hörten, dass er erstmalig erfahren hatte, dass in Mannheim das Spaghettieis erfunden wurde (offensichtlich liest er hier nicht mit), und dass er das unbedingt Jan Böhmermann erzählen müsse, der Fan sei.
Zu "Die Ankunft der Marsianer" erklärte der Musiker, es sei von einem wohlhabenden Jugendfreund inspiriert worden, der von allem übersättigt war und ständig Neues entdecken wollte. Außerdem erfuhren wir, dass er die Größe des Maifeld Derbys für ideal hält, weil man hier im Publikum noch Gesichter ausmachen könne - anders als bei Rock am Ring, wo er eine Woche später auftreten sollte.
Am Ende des Sets war ich trotz der albernen Aufblasfiguren recht versöhnt, weil Olli Schulz nach wie vor gute Entertainerqualitäten hat. Zum Abschluss verschossen alle Bandmitglieder noch Luftschlangen.
Setliste:
Mein Freund war wie erwähnt schon nach einigen Songs abgewandert. Er interessierte sich für die Musik von Loverman, die ihn an Leonard Cohen und Nick Cave erinnerte.
Auf Nachfrage sagte man ihm, dass er noch 10 Minuten Zeit habe und möglicherweise stand nur noch sein Lied „Difference Aside“ auf seiner Setliste, so dass er dies entsprechend streckte. Er übersetzte uns dessen Refrain „Come along for the ride, Sing a song tonight“ in „Kommen Sie mit auf den Ritt, singt ein Lied heute Abend“, stürmte erneut die Sitzreihen des Parcours d’Amour und ließ Publikumsmitglieder, denen er das Mikrofon unter die Nase hielt, wieder und wieder und wieder die deutschen Textzeilen singen. Nicht alle schienen sich dabei wohl zu fühlen, was den Künstler aber amüsierte. Ob Loverman wusste, dass an diesem Abend tatsächlich der letzte Ritt des Maifeld Derbys stattgefunden hatte?
Zum Abschluss des Derbys hatten wir einen der ungewöhnlichsten Auftritte all unserer Besuche gesehen.
Nun war es wieder Zeit, sich etwas zu Essen zu besorgen. In der letzten Stunde hatte sich das Gelände schon merklich geleert, weshalb ich mich mutig nochmals am Pizzastand anstellte. Leider stellte sich heraus, dass dieser drei recht ungewöhnliche Pizzavarianten im Angebot hatte, keine davon war mit dem Geschmack meines Freundes kompatibel. Letztlich bekam also nur ich eine Pizza, er besorgte sich ein zweites Mal Pommes und zeigte so zumindest den größtmöglichen Support für die Landmetzgerei Kumpf.
Unser Abendessen fand zum Softrock von Nilüfer Yanya statt. Anschließend erledigten wir letzte Dinge (Leergut und überzählige Derby Dollar abgeben) und schenkten uns den Tages-Headliner Bilderbuch zugunsten einer halbwegs frühen Heimreise. Glücklich aber mit einer kleinen Träne im Auge machten wir uns auf den Weg.
0 Kommentare