Für Tag zwei der Londonreise stand abends ein Besuch bei James auf dem Programm. Die Band hatte für drei Abende hintereinander Shows in verschiedenen Londoner Hallen gebucht, die sich von klein nach groß steigerten, wobei letztlich Termin Nummer 1 ins O2 Forum in Kentish Town verlegt wurde, wo auch das zweite Konzert stattfand. Für diese ergatterten wir, obwohl es auf manchen Websites ausverkauft zu sein schien, irgendwie doch noch reguläre Karten. Allerdings galten unsere Tickets für den Balkon des ehemaligen Kinos.
Auch das Forum ist eine durchaus schöne Halle, etwas kleiner und vielleicht nicht ganz so liebevoll renoviert wie das Roundhouse. Schon bei unserem Abendessen beim Inder in der Nähe der U-Bahn-Station zeigte sich, dass für das Konzert anscheinend viele Ausländer angereist waren, und auch in der Halle hörte man viel Deutsch und auch Französisch. Auf dem Balkon ergatterten wir gute Plätze in der zweiten Reihe, wobei es hier, wie auch in den gesamten ersten drei Reihen, strikt verboten war, von den Sitzplätzen aufzustehen. Die Balkonbrüstung war nämlich, wenn man aufstand, weniger als hüfthoch, so dass bei einer stehenden und gegebenenfalls stolpernden Masse für die Gäste ganz vorne ein realistisches Risiko bestand, vom Balkon gestoßen zu werden. Hinter uns nahm eine deutsche Familie mit Kindern platz, deren Vater den Kindern jeden Aspekt eines Popkonzerts („...und das ist die Setliste, da steht drauf, welche Lieder die Band spielt“) erklärte. Rock'n' Roll!
An diesem Abend freuten wir uns auch auf die Vorband, The Slow Readers Club aus Manchester. Diese hatten wohl wenig Vertrauen darauf, dass jemand im Publikum ihren Namen kannte, denn der Bandname stand sowohl auf einem riesigen Transparent hinter der Bühne als auch auf zwei Lichtkästen am vorderen Bühnenrand, zwei Koffern sowie dem Schlagzeug. Die Ansage von Sänger Aaron Starkie „We are The Slow Readers Club by the way“ war dann wohl auch als Witz zu verstehen.
Gesagt wurde sonst eher nicht viel, Starkies auf der Stelle stampfender Tanzstil erinnerte an Joy Divisions Ian Curtis, und auch der düstere Indierock von Slow Readers Club ist definitiv von der anderen Band aus Manchester beeinflusst. Man spielte vor der halbvollen Halle hauptsächlich Lieder des 2. Albums „Cavalcade“, nur „Feet on Fire“ stammte vom Debütalbum. Insbesondere die Single „I saw a ghost“ kam sehr gut beim Publikum an, insgesamt gab es viel Applaus für die Band ohne Plattenvertrag. Natürlich dankte man auch artig James, insbesondere Jim Glennie und Saul Davies, dafür, den Support Slot ergattert zu haben.
Setliste:
Start again
Sirens
One More Minute
Days like this will break your heart
Don’t mind
I saw a Ghost
Feet on fire
Forever in your debt
Plant the seed
Know the day will come
Zeit für James! Die Band verfügt anderes als die Bluetones über ein aktuelles Album, nach dem die „Girl at the End of the World“ Tour auch heißt. Die Setlisten kürzlicher Auftritte zeigen auch deutlich, dass sich die Band bei aktuellen Auftritten klar auf neue Songs konzentriert und die alten Hits eher eine Randposition einnehmen. Was schade ist, denn eigentlich kenne ich hauptsächlich die alten Hits…
Der Auftritt der Band folgte nach althergebrachter Dramaturgie, indem zunächst die sieben Musiker die Bühne betraten und dann Sänger Tim Booth als letzter dazu kam. Zum ersten Song „Bitch“ tanzte er sich zunächst seltsam schlangenartig ein, und bei diesen elastischen Bewegungen blieb er dann auch – tatsächlich hat er laut Wikipedia bereits als Lehrer für eine meditative Tanztechnik gearbeitet, und ich kann mir mittlerweile genau vorstellen, wie diese aussieht.
Wie erwartet hörten wir zuerst fünf Songs vom aktuellen Album hintereinander, und zwar erst drei gute und dann zwei etwas weniger starke. Zu „Catapult“ stieg Booth zunächst auf die Absperrung vor der Bühne, um, jeweils von Publikumsmitgliedern festgehalten, direkt zu den ersten Reihen zu singen. Schließlich war ihm dieser Abstand dann auch zu groß und er stürzte sich ganz in die Menge: Stagediving schon beim dritten Lied! So ganz zufrieden war Booth mit seiner Erfahrung aber nicht, denn als er auf der Bühne zurück war, beklagte er sich, dass er die Nähe des Publikums suche, um zu erfahren, was da für Menschen seien – und nicht, um eine Kamera ins Gesicht gerammt zu bekommen.
Beim ersten älteren Lied, „Ring the Bells“, brachen im Publikum dann schon alle Dämme, und es wurde lauthals und begeistert mitgesungen, ebenso beim direkt anschließenden „Sometimes“. Dann kehrte die Setliste zum aktuellen Album zurück. Booth erklärte, dass es in „Move Down South“ und das Leben in Kalifornien gehe (und irgendetwas mit Steinbeck, dass ich nicht verstanden habe). In „Girl at the End of the World” geht es um „dying gloriously in a car crash with no regrets”. Wovon “English Beefcake” handelt, weiß ich immer noch nicht, dafür aber, dass es die Band sehr selten spielt - auf der aktuellen Tournee war der Song neu in die Setliste aufgenommen worden.
„Interrogation“, zunächst ein wenig langweilig, wurde durch eine Art Musiker-Battle zwischen dem Trompeter Andy Diamond und dem Geiger Saul Davies doch noch recht packend. Die Ballade „Feet of Clay“ handelt von Todessehnsucht, wobei Booth vor dem Song ermahnte, dass das Publikum weniger quatschen sollte: „It’s hard to bear your soul if people are talking!“
Nun folgte ein kleiner Akustikteil. Alle Musiker bis auf zwei Gitarristen verließen die Bühne, neu kam ein Cello dazu, das von Saul gespielt wurde. Nur ein kleiner Bereich der Bühne war beleuchtet. Zuerst hörten wir in diesem minimalistischen Arrangement „She’s a Star“, dann kehrte der Diamond zurück und spielte bei „What For“ mit. Der Song war an den Platz gerutscht, den bei früheren Konzerten der Tour "Just like Fred Astaire" eingenommen hatte.
Nach der Rückkehr der restlichen Musiker hörten wir eine sehr elektronische Version von „Dear John“. Anschließend wurden zu „Honest Joe“ auch Megaphone eingesetzt und so Erinnerungen an die alte Madchester Rave-Zeit geweckt. Dann war es wieder Zeit für einen Klassiker, dieses Mal eine extra lange Version von „Sound“, bei dem wiederum publikumsseitig viel mitgesungen wurde. Bei „Attention“ kamen dann sogar zwei Megaphone (bei Tim Booth und Saul Davies) zum Einsatz.
Dann verließ die Band die Bühne und der Saal tobte. Als dann alle unten die Hälse reckten, während immer mehr Balkonsitzer aufstanden (verbotenerweise auch in den vorderen Reihen), wurde klar, dass hier etwas im Gange war. Nur von Adrian Oxaal an der Gitarre (und jeder Menge Ordnern) begleitet, sang Tim Booth „Say Something“ auf der Empore, ging dabei durch die Reihen und machte sich schließlich über eine für den normalen Publikumsverkehr gesperrte Freitreppe wieder auf den Weg nach zur Bühne, wo sich mittlerweile die restliche Band eingefunden hatte und den letzten Teil des Songs mitspielte. Erneut herrschte durch das lautstarke Mitsingen des gesamten Publikums eine Atmosphäre wie im Fußballstadion.
Ob die Zugabe auf dem Balkon ein generelles Feature der aktuellen James-Tournee ist, kann ich nicht sagen und möchte ich eigentlich auch gar nicht wissen. Es fühlte sich auf jeden Fall sehr besonders an. Und selbst wenn es Routine ist: The Nationals Matt Berninger springt zu „Mr. November“ auch regelmäßig ins Publikum, und trotzdem ist das prima.
Kurios war übrigens, dass Tim Booth für den Zugabenteil über sein Hemd eine Art Weste aus weißem Frottee gezogen hatte. Ein bisschen erinnerte das an Udo Jürgens und seine Zugaben im Bademantel, aber diese Assoziation hatten sicherlich nur deutsche Zuschauer.
Nach „Moving On“ und „Nothing But Love“ verbeugte sich die Band ein weiteres Mal und ging ab, während der Applaus noch einmal ohrenbetäubender wurde. Als Rausschmeißer hörten wir dann noch „Tomorrow“, wobei Tim Booth ein weiteres mal die Absperrung erklomm.
In der aktuellen Tournee sind anscheinend keine Termine in Deutschland vorgesehen, was man von der Band auch sonst nicht gewöhnt ist. Nach der großartigen Stimmung im Forum wäre ein deutsches Konzert aber ohnehin kaum besuchenswert.
Setliste:
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