Das dritte und letzte Reunion-Konzert war der eigentliche Anlass für unsere Londonkurzreise gewesen: Die Lush-Tickets hatte ich bereits im Oktober zum Geburtstag bekommen. Damals wussten wir natürlich nicht, dass mein Freund im Mai mit einer starken Erkältung kämpfen würde und hatten Stehplätze gewählt. Angesichts des doch recht großen Wunsches, zu sitzen, tauschten wir die Karten dann kurzfristig um und bekamen sogar ausgesprochen gute Plätze im Sitzbereich. Das Konzert war nicht ausverkauft gewesen (sonst wäre der Tausch ja auch nicht möglich gewesen), aber bis Lush auf der Bühne standen, wurde das Roundhouse doch ganz schön voll. Vielleicht gingen die letzten Tickets ja per Abendkasse weg.
Bei der Ankündigung der beiden Konzerte im Roundhouse letztes Jahr konnte man annehmen, dass es sich um die ersten Konzerte von Lush nach 20jähriger Pause handeln würde. Ähnlich wie die Stone Roses 2012 baute die Band jedoch vorab mehr und mehr Termine an, so dass sie vor der großen Wiedervereinigungsfeier letztlich bereits eine USA-Tournee hinter sich hatte. Immerhin dürfte das Lampenfieber mit dieser Methode halbwegs vorbei gewesen sein…
Überhaupt, eine Wiedervereinigung von Lush. Die Band hörte auf zu existieren, als sich der Drummer 1996 das Leben nahm. Damals schlossen die drei verbleibenden Bandmitglieder eine Reunion eigentlich kategorisch aus, und Sängerin Miki hat die letzten zwei Jahrzehnte außerhalb der Musikszene verbracht. Nun haben die drei ihre Meinung geändert, angesichts der vielen, vielen aktuellen Band-Wiederauferstehungen lag die Idee ja auch mehr als nahe.
Bevor wir sehen konnten, wie sich Miki, Emma, Phil und der von Elastica (ob die sich auch irgendwann wiedervereinigen?) ausgeliehene Drummer Justin auf der Bühne schlugen, durfte zunächst die Vorband Spectres auftreten. Die Halle war zu diesem Zeitpunkt halb gefüllt, der Drummer zog als erstes sein Hemd aus – was aus musikalischer Sicht nie ein gutes Zeichen ist. Die Musik klang dann auch wie ein startender Düsenjet und bekam nur wenig Applaus – vermutlich, weil die Zuschauer Angst hatten, die Hände von den Ohren zu nehmen. Nach den überaus positiven Vorbanderfahrungen der ersten beiden Abende rückten Spectres die Erwartungen, die man an Support Acts stellen kann, wieder ins rechte Licht.
Dann war die Zeit für Lush gekommen, die bei ihren aktuellen Auftritten stets dieselbe , sich auf frühere Veröffentlichungen und das Album „Split“ konzentrierende Setliste spielen, es ging also los mit „De-luxe“, das Miki hinterher mit „It’s always good when the crowd knows the first number“ kommentierte. Sie behielt das ganze Konzert über die einzige Sprechrolle, wobei Emma immer wieder mitsang. Phil schwieg und trug ein T-Shirt mit der Aufschrift "Shoegaze", das vielleicht andeuten sollte, dass die Songauswahl fürs Konzert sich auf diese stilistische Phase konzentrierte.
Nach „Breeze“ und „Kiss Chase“ kam mit „Hypocrite“ eines meiner Lieblingslieder von Lush, und Miki erklärte, sie habe sich gestern Abend, also nach dem ersten Konzert im Roundhouse, gegen sämtliche Vorsätze völlig abgeschossen – was zu Jubel führte. Auch „Hypocrite“ erntete viel Applaus, offenbar mögen auch viele andere diesen Song.
Vor „Lovelife“ bekamen wir weitere Informationen zum vorherigen Abend, Miki entschuldigte sich nämlich dafür, dasselbe Outfit zu tragen, weil sie ehrlich gesagt nichts anderes besitze. Außerdem bat sie diejenigen, die filmten und fotografierten, Rücksicht auf ihre Hintermänner und –frauen und deren Sichtmöglichkeiten auf die Bühne zu nehmen – ein Hinweis, den sie vor 20 Jahren sicher nicht geben musste.
Überhaupt, die letzten 20 Jahre: Vor „Light From A Dead Star“ gab es eine kleine Pause, weil Mikis Gitarre umgestimmt werden musste. In der Wartezeit sagte sie in Anspielung auf „Ladykillers“: „Here I am, hanging out in Camden on a Saturday night“ – und dass sie das schon lange nicht mehr gemacht hätte. Dann fragte sie, ob eigentlich jemand im Publikum unter 40 sei (etwa ein Zehntel der Besucher jubelte) und erzählte, sie habe bis kurz vor dem Konzert hinter der Bühne mit ihrem Sohn „Countdown“ gespielt, und auf der Gästeliste stünden hauptsächlich Lehrer und Eltern von Freunden der Bandkinder. Später, nach „Etheriel“, sagte sie noch, dass alle ihre Bürofreunde anwesend seien und dass sie sie am Montag wiedersehen würde. Wie seltsam muss es sein, einen regulären Beruf zu haben und dann am Wochenende zweimal im Roundhouse zu spielen! Und sich Urlaub für eine US-Tournee zu nehmen!
„Light From A Dead Star“ ist, wie vieles von „Split“, ebenfalls ein Liebling von mir, ging aber, genau wie auf dem Album, allzu schnell vorbei. „For Love“, das erste Lush-Lied, das ich überhaupt kannte (es war auf einem dieser Indie-Sampler) widmete Miki dem verstorbenen Chris, der diesen Song offenbar besonders mochte. Sie sagte, es sei wichtig, sich an die guten Zeiten mit ihm zu erinnern und nicht nur daran, wie es zu Ende ging.
Anders als die Bluetones haben Lush auch neues Songmaterial aufgenommen, und anders als bei James ist es kein ganzes Album. So hörten wir auch die neue Single „Out of Control“, das, wie Miki erklärte, allen gewidmet ist, die sich unterdrückt fühlen („bullied“ ist das englische Wort und für mich schwer zu übersetzen).
Dann wurde mit „Ladykillers“ der vielleicht größte Hit der Band und der einzige Song vom letzten Album „Lovelife“, das Lush nicht besonders schätzen, gespielt, und Miki sagte dazu, es handele sich nicht um ein Lied, das Männer hasst, sondern nur Idioten.
Nach „Downer” und „Sweetness and Light” endete das Konzert zum ersten Mal, die Band kehrte aber quasi sofort zurück und spielte mit „Stray”, „Desire Lines” und „Leaves Me Cold” noch drei weitere Songs. Während das Publikum insgesamt eher verhalten wirkte (erstaunlich angesichts der Tatsache, dass viele wie wir aus dem Ausland angereist waren), begann ein Mädchen bei uns in der Reihe, begeistert Luftgitarre zu spielen.
Als zweite Zugabe war laut Setliste „Monochrome” vorgesehen, aber wiederum fiel der Jubel so leise aus, dass wir schon befürchteten, die zweite Zugabe würde an diesem Abend ausfallen. Tat sie aber nicht, und Miki versicherte, vermutlich in Bezug auf den vorherigen Abend, „gonna get the notes for this right tonight“, außerdem dankte sie allen, die so hart für die Realisierung des Konzertes gearbeitet hätten.
Sofort nach Konzertende legte jemand vom Roundhouse in ohrenbetäubender Lautstärke „The Power of Love“ von Huey Lewis & the News auf, was den Saal in Rekordzeit räumte. Beim nach draußen strömen hörte ich, wie jemand hinter mir fragte „Are you the girl from the video?“ und dann nach einer positiven Antwort ein Mädchen um ein gemeinsames Foto bat – als ich mich umdrehte erkannte auch ich die Hauptfigur des Videos zu „Out of Control“, die sich das Konzert ebenfalls angesehen hatte.
Insgesamt gab es an dem Konzert wenig zu meckern, außer vielleicht, dass es sich wenig feierlich anfühlte – was ja auch nicht allzu sehr verwundert, wenn man bedenkt, dass es das x-te Konzert war, das Lush seit ihrer Wiedervereinigung gespielt haben. Vielleicht liegt den Mitgliedern das Melodramatische auch einfach nicht so.
Setliste:
Intro: Undertow (Spooky Remix)
De-Luxe
Breeze
Kiss Chase
Hypocrite
Lovelife
Thoughtforms
Light From a Dead Star
Undertow
Lit Up
Etheriel
Scarlet
For Love
Out of Control
Ladykillers
Downer
Sweetness and Light
Stray
Desire Lines
Leaves Me Cold
Monochrome
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