Hotel Angst
Letzten Sommer war ich für eine Woche in Ligurien. Als wir nach einer endlos erscheinenden Hinfahrt schließlich bei der 10 000-Einwohner-Stadt Bordighera die Autobahn verließen und eine steile Serpentinenstraße Richtung Küste fuhren, passierten wir am Straßenrand eine Reihe von imposanten Jugenstilvillen. Auf einer besonders prächtigen, die aber extrem verlassen wirkte, stand in riesigen Buchstaben das Wort "ANGST".
Diese Kombination von Pracht, Verfall und einem unheimlichen Namen haftete gut im Gedächtnis. Wir kamen in den folgenden Tagen noch öfter an der Villa vorbei und machten schließlich am Abreisetag Fotos von dem Gebäude, das in Ruhe betrachtet noch prächtiger, aber auch noch verlassener wirkte.
Zurück daheim musste ich noch öfter an das Haus denken und stellte dank Internet fest, dass ich bei weitem nicht die erste war, die fasziniert von Villa Angst war.
Die Geschichte des Gebäudes (und auch des Ortes Bordighera) ist folgende: 1855 erschien in Großbritannien ein italienischer Liebesroman namens „Il Dottor Antonio“ von Giovanni Ruffini, der bei vielen wohlhabenden Engländern den Wunsch auslöste, an die Riviera zu reisen. Sie kamen in Scharen und blieben monatelang, so dass zeitweise mehr Engländer als Italiener in Bordighera lebten - mich erinnerte diese Information sofort an die in der italienischen Landschaft herum staksenden Briten aus Zimmer mit Aussicht.
Die Zeit schreibt: "1904 ist Bordighera eine Art Paradies der Engländer. Alles ist englisch, alles auf Engländer ausgerichtet, und alles kommt von der Insel, sogar die Spaghetti, die, wie sich ein damaliger Beobachter mokiert, »kalt serviert« werden. Es gibt englische Ärzte, englische Makler, Schafwollprodukte aus Yorkshire, es entstehen die ersten Lawn-Tennis-Clubs. Alles gedeiht zum Besten, und das Dorf ist auf dem Weg, zu einer neuen Perle des frühen internationalen Tourismus zu werden" (Quelle).
Die Nachfrage nach Luxus war also vorhanden, und ein schweizerischer Hotelier namens Adolf Angst begann schon im Jahr in Jahr 1887 mit dem Bau eines besonders modernen, wunderschönen und mit allen Annehmlichkeiten ausgestatteten Hotels: Es gab in allen Zimmern fließendes warmes Wasser und elektrisches Licht, 100 Angestellte kümmerten sich um 200 Gäste. Hotel Angst verfügte über eine mehrsprachige Bibliothek, einen Bridge Club und einen Friseur.
Im Jahr 1900 kündigte sogar Queen Victoria einen ausgedehnten Besuch im Hotel an, was sicherlich den Höhepunkt der Geschichte von Villa Angst bedeutet hätte. Der Ausbruch des Burenkriegs führte aber dazu, dass die Königin ihre Italienreise verschieben musste, die letztendlich niemals stattfand.
Im frühen 20. Jahrhundert ging es dann schon bergab mit dem Hotel: Zunächst schränkte der italienische Staat die Glücksspielkonzessionen ein, so dass spielfreudige Touristen fortan nicht mehr ins nahe bei Bordighera gelegene San Remo, sondern lieber nach Monte Carlo oder Nizza reisten. Dann kam der Erste Weltkrieg, und das Haus diente als Lazarett, anschließend eröffnete das Hotel zwar wieder, doch die alten aristokratischen Gäste waren fort. Das Etablissement passte nicht mehr zu den Bedürfnissen der Zeit, und der Beginn des Zweiten Weltkrieg brachte ihm schließlich den Todesstoß.
Und nun gammelt das einst so hochmoderne Hotel seit Jahrzehnten gut sichtbar vor sich hin und macht dabei in Kombination mit seinem Namen einen attraktiv-unheimlichen Eindruck irgendwo zwischen The Shining und Titanic. Kein Wunder, dass es viel fotografiert wird und es sogar schon einen Roman inspiriert hat.
Nun sieht es aber so aus, als würde dem Haus eine glückliche Zukunft unter neuem Namen bevorstehen, denn laut einer Website wird es von einer Firma namens Bizzi & Partners in Stand gesetzt und 2011 als „Angst Hotel and Residences“ wieder eröffnen. Besonders einladend klingt das ja immer noch nicht ...
Bilderlinks:
Fotogalerie auf der Website der Stadt Bordighera
Tolle Flickr-Galerie von jemand, der offenbar mehrmals ins Hotel eingebrochen ist
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