Recycling: Der schlimmste Sitznachbar der Welt

by - Februar 23, 2011

Diese Geschichte ereignte sich im Jahr 2006 und bleibt bis heute unvergessen.

Es ist Sonntagnachmittag, und genau wie, gemessen an der Vollheit meines Zuges, jeder andere Mensch in Deutschland bin auch ich gerade damit beschäftigt, vom langen Wochenende in meinen Wohnort zurück zu kehren.

Mein Zug besteht aus mehreren Teilen, von denen einer dem Anschein nach verloren gegangen ist, weshalb der andere eine halbe Stunde lang nutzlos in Regensburg herumstand, bevor man mit neuen Waggons weiterfahren konnte. Es ist heiß, die meisten Sitzplätze sind reserviert und einige Fahrgäste müssen auf dem Boden vor den Türen kauern. Viele Toiletten sind gesperrt, vor den restlichen sind Schlangen. Die Verspätung vergrößert sich langsam aber stetig auf 50 Minuten.

All das verdirbt mir nicht die Laune. Ich freue mich an meiner Sitzplatzreservierung und darüber, dass ich endlich im Zug sitze, und lese zufrieden in meinem spannenden Buch. Doch dann kommt ER.

ER war offenkundig auf einer Messe in Nürnberg und ist mit mindestens fünf verschiedenen Tüten mit Werbemotiven bepackt. Er setzt sich auf den einzigen freien Platz im ganzen Zug, der sich, richtig, neben mir befindet. Seine Tüten platziert er auf dem Gang, so dass jeder, der vorbei will, darüber steigen muss. Er macht sich neben mir möglichst breit, so dass ich völlig eingeparkt bin, und schläft sofort ein.

Seit er sitzt, macht sich ein komischer Geruch nach ungewaschener Kleidung breit. Ich werfe einen Blick neben mich und stelle fest, dass mein neuer Sitznachbar Hausschuhe trägt. Und dann, dass seine Jeans im Schrittbereich eine feuchte Stelle hat. Ich wende mich entsetzt wieder meinem Buch zu und wäge die Optionen ab.

Einen anderen Sitzplatz werde ich nicht finden. Und vertreiben lassen möchte ich mich eigentlich auch nicht. Andererseits überkommt mich ein Würgereiz. Ich beschließe, dass der Kerl sicher in Würzburg aussteigen wird. Mit Hausschuhen und ohne Koffer reist man ja normalerweise nicht weit. Die eine Stunde kann ich aushalten und bemühe mich konzentriert, die feuchte Stelle als Schweiß wahrzunehmen und ansonsten an frisch gemahlenen Kaffee zu denken.

Würzburg kommt. Der Typ schläft weiter. Immerhin kommt kurze Zeit später endlich der Kontrolleur, der den Kerl aufweckt und mir eine Gelegenheit bietet, auf die Toilette zu fliehen.

Als ich nach einer Viertelstunde zurückkehre, stehen die Tüten nicht mehr auf dem Gang, sondern auf meinem Platz. In eine von ihnen hat der Typ gut sichtbar meine beiden Wasserflaschen (eine voll, eine leer) gepackt, die sich in der Sitztasche vor mir befanden. Mir gegenüber sagt er "Oh, ich dachte, Sie wärn ausgestiegen." "Wo denn??" entgegne ich sehr unfreundlich - der Zug hat ja seit Würzburg nicht gehalten. Die Flaschen packe ich kommentarlos wieder in die Sitztasche.

Der Hausschuhträger babbelt hessisch, insofern ist klar, dass ich ihn noch eine Stunde ertragen muss. Und richtig, er steigt auch nicht in Hanau aus, sondern begleitet mich bis Frankfurt, wo er mir einen schönen Abend wünscht. Ich mir auch.

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