Best Kept Secret Festival - Tag 3

by - Juni 29, 2015


Ich werde ja nicht müde, zu erwähnen, dass ich nicht mehr die jüngste bin, weshalb ich am dritten Tag eines Festivals meistens schon ordentlich erschöpft bin. Noch dazu begrüßte der Sonntag  uns mit heftigen Regenschauern. Tatsächlich war das Wetter beim Best Kept Secret bis zu diesem Zeitpunkt viel besser als erwartet gewesen, aber nun sah es morgens und mittags so aus, als stünde ein Gummistiefeltag bevor. Ebenfalls nicht stimmungsverbessernd war, dass es sich bezüglich des Lineups aus unserer Sicht um den schwächsten Tag handelte.


Letztlich besserte sich das Wetter aber ab dem Mittag und wir bekamen auf dem Festivalgelände nur auf dem Weg zu Wolf Alice (ein weiteres Konzert auf Bühne 2 im Zelt) nur ein kleines bisschen Regen ab. Hinterher wurde es sogar regelrecht sommerlich, so dass wir erstmalig beobachten konnten, wie Festivalbesucher in den See neben der Hauptbühne sprangen und auch ein bisschen Strandgefühl aufkam. Man kann es nicht oft genug sagen: Das Best Kept Secret ist bezüglich Location ein extrem gelungenes Festival.

Wolf Alice also. Die Band aus London, die letzte Woche das Cover des NME zierte, sahen wir uns nicht zuletzt deshalb an, weil Konzerttagebuch-Christoph unter anderem wegen ihnen nach Holland hatte kommen wollen, nun aber wegen Krankheit daheim bleiben musste. Da wollte man doch einmal sehen, wen der NME und Christoph so toll finden.


Das Indie-Quartett aus London wird wohl in einem „Paket“ mit alt-J und Gengahr angeboten, denn alle drei waren kürzlich gemeinsam auf Tour und nun (wenn auch nicht hintereinander) auf dem Festival vertreten. Für Wolf Alice war es bereits der zweite Aufenthalt beim Best Kept Secret und man war offenbar froh, wieder da zu sein.

Erneut war ein Plattencover als Bühnenhintergrund gewählt worden, allerdings war Wolf Alices Debütalbum „My Love is Cool“ zum Zeitpunkt des Auftritts noch gar nicht erschienen – seit letzter Woche kann man es kaufen.


Musikalisch fand ich die Band zunächst unglaublich hart. Auf dem Weg ins Zelt waren wir quasi am Auftritt von Marmozets auf der Hauptbühne vorbei gelaufen, der mich kurz hinterfragen ließ, ob wir nicht doch in Wacken gelandet waren. Auch Wolf Alice legten mit ihren ersten Songs - der Opener trug ausgerechnet den Titel „Fluffy“ -  solche Gedanken nahe, doch gerade, als ich dachte, dass es hier überhaupt nichts für mich Geeignetes zu hören gab, spielte die Band auch ein paar ruhigere Songs, die mir durchaus gefielen. Letztendlich konnte ich mit dem Set der Band deutlich mehr anfangen, als ich erwartet hatte, was nun aber auch nicht heißt, dass ich ihre Karriere verfolgen werde.


Was gäbe es sonst noch zu sagen? Sängerin Ellie Rowsell trug einen Playsuit, nach abgeschnittenen Jeansshorts wohl die neue Lieblingskleidung für Frauen auf Festivals. Außerdem verlor der Schlagzeuger bei einem Lied einen seiner Sticks, und sofort kam ein Bühnentechniker angerannt und reichte ihn ihm. Sehr aufmerksam.

Setliste:

Fluffy
Your Love's Whore
90 Mile Beach
The Wonderwhy
Storms
You're a Germ
Lisbon
Blush
Bros
Giant Peach
She
Moaning Lisa Smile


Anschließend konnten wir gleich vor Ort bleiben, denn als nächstes sollten hier die Dänen von Mew auftreten, die wir erst kürzlich beim Maifeld Derby gesehen hatten. Auch bei der zweiten Begegnung mit der Band in kurzer Zeit fiel wieder auf, wie wenig der Sänger zu seinen Bandkollegen passte. Mein Freund mutmaßt, dass die Bandmitglieder als Kinder Nachbarn waren und die Rockerjungs den Chorknaben stets verprügelten, bis sie ihn schließlich als einzigen ihnen bekannten Sänger in ihre Band einladen mussten.


Der heute deutlich weniger rockermäßig wirkende Bassist (er hatte vergessen, seine Brille abzunehmen) erklärte überzeugend, man habe ich sehr gefreut, auf das Festival eingeladen zu sein, weil man schon so tolle Konzerterlebnisse in den Niederlanden gehabt habe. Da sei man sogar mit einem Sonntagnachmittagsslot zufrieden.

Trotz zufriedener Band entpuppte sich das Set verglichen mit dem beim Maifeld Derby als kleine Enttäuschung, denn die Band hatte für diesen Auftritt weniger Zeit und sich entschlossen, ausgerechnet das Highlight „Comfortig Sounds“ wegzulassen.  So war das Set dann letztlich eine nahezu identische Wiederholung von dem in Mannheim (auch wenn „Apocalypso“, „Saviours of Jazz Ballet (Fear Me, December)“ und das seltsame Medley durch „Snow Brigade“ und „Water Slides“ ersetzt wurden),  minus Highlight. Wir waren froh, die bessere Version bereits gesehen zu haben.


Setliste:

Witness
Satellites
Special
The Zookeeper's Boy
The Night Believer
Beach
Snow Brigade
Water Slides
Am I Wry? No
156


Nach dem Ende von Mew liefen wir geradezu ins Set von First Aid Kit. Die schwedischen Schwestern haben auf der Liste ihrer Fans Pelle Carlberg, der uns von den Live-Qualitäten des Duos vorgeschwärmt hatte. Da wir ausgerechnet ihren besten Song „The Lion’s Roar“ abgepasst hatten, beließen wir es dabei, denn noch besser konnte es schließlich nicht werden. Außerdem wurden auch beim Best Kept Secret immer mindestens zwei Bühnen gleichzeitig bespielt, so dass man manchmal die Qual der Wahl hatte.


Nun, an Tag drei, galt es auch endlich einmal, eine andere Bühne auszuprobieren. Immerhin gab es fünf von ihnen, und alle unsere bisherigen Konzerte hatten auf denselben zwei stattgefunden. Also machten wir nun einen Ausflug ins Neuland alias Bühne 5, wieder ein Zelt. Hier ragte die Bühne weiter in den Zuschauerraum hinein, so dass die Zuschauer halbrund um sie herum stehen konnten, was eine gute Sicht ermöglichte. Holzpaneele im Hintergrund ließen das Zelt hübsch und keineswegs als „Nebenbühne“ wirken.


Ich selbst wurde an diesem Punkt (trotz schicker neuer Location) von akuter Festivalmüdigkeit überwältigt und ging mir einen Milchkaffee und eine Schaukel suchen. Mein Freund sah sich das Set von Alvvays aus Kanada allein an und berichtete, es handele sich quasi um eine prototypische Indieband mit einem jungen Mann im Ringelshirt, einem Mädchen mit Nerdbrille und einer putzigen Sängerin, die Musik im Stil von The Pains of Being Pure at Heart machte. Am besten gefielen ihm und dem Publikum „Archie, marry me“ und „Atop a Cake“ sowie das Kirsty MacColl Cover „He’s On The Beach“.


Setliste:

Your Type
Next of Kin
The Agency Group
Ones Who Love You
Archie, Marry Me
Underneath Us
He's on the Beach
Dives
Atop a Cake
New Haircut
Party Police
Adult Diversion


Anschließend gönnten wir uns eine längere Pause, machten einen Abstecher zur futuristischen Zeltbühne 3, von der uns Kate Tempest schnell wieder vertrieb, und entdeckten eine ganze Reihe von Fressständen, die uns bis dahin gar nicht aufgefallen waren. Bei diesem Festival musste definitiv niemand hungrig bleiben – vorausgesetzt, man hatte genügend Geld auf dem Chip. Dann tankten wir am Seeufer noch ein bisschen Urlaubsgefühl, während die Wasserwacht, die hier schon seit Freitag auf- und abfuhr, endlich ein bisschen zu tun hatte und gelegentlich Schwimmer zurück in Ufernähe schickte.


Dann war es Zeit für den Auftritt von Future Islands, die ich zwar nicht dieses, aber letztes Jahr bereits beim Maifeld Derby gesehen hatte. Leider hatten wir uns dieses Mal für Stehplätze ganz vorne rechts entschieden, wo man außer Basswummern kaum etwas hören konnte. Selbst die zahlreichen Ansagen des Sängers Samuel T. Herring konnte ich nur verstehen, wenn gleichzeitig keinerlei Musik gemacht wurde.


Da blieb im wesentlichen der visuelle Genuss, und da hat Samuel ja auch immer einiges zu bieten. Sein seltsam bodennaher Tanz ist ja seit dem Auftritt bei David Letterman bekannt, aber dieses Jahr zeigte er auch Moves, die zumindest ich noch nicht kannte: Er tanzte Kasatschok und Can-Can, er streichelte am Bühnenboden ein unsichtbares Tier (sicher ein Kätzchen!), pflückte unsichbares Obst, er riss sich (zum Glück wieder unsichtbar) sein Herz heraus und betrachtete es. Was muss der Mann für eine Kondition haben! Ich würde nach 30 Sekunden Kasatschok sowieso keuchend auf dem Boden liegen, aber er singt ja auch noch nebenbei und kann sich somit nicht einmal erlauben, außer Atem zu kommen.


Der Auftritt kam (natürlich) sehr gut an, um uns herum wurde viel mitgetanzt. An manche Songs erinnerte ich mich noch vom letzten Auftritt beziehungsweise dem Album „Singles“. Nachdem wir unseren Standort weiter nach hinten korrigiert hatten, stimmte auch der Sound. Future Islands berücksichtigten bei der Auswahl der Setliste ihre letzten drei Alben „Singles“ (5 Titel), „On The Water“ (2) und „In Evening Air“ (4) und präsentierten auch ihre beiden neuen Lieder „The Chase“ und „Haunted By You“, die zum Record Store Day auf einer Single veröffentlicht wurden.


Erwähnenswert wäre noch Samuels Abgang, denn er verließ die Bühne Richtung See und erreichte den Backstagebereich dann auch über das Wasser. Verrückter Mann.

Setliste:

Inch of Dust
A Dream of You and Me
Walking Through That Door
Long Flight
Balance
Before the Bridge
The Chase
Doves
Haunted By You
Light House
Seasons (Waiting on You)
Tin Man
Spirit


Anschließend hatten wir bis zum Headliner-Auftritt nichts zu tun, also wagten wir einen weiteren Besuch bei Bühne 5 und sahen uns SOKOs guten Freund Ariel Pink an. Dafür, dass wir gerade erst den Auftritt eines eher verrückten Künstlers hinter uns hatten, setzten Ariel und seine Band mühelos einen drauf. Der Großteil der Band trug Frauenkleidung, Ariel selbst einen seltsamen Overall, unter dessen offenem Reißverschluss ein Ringelshirt und ein Bauchansatz zu sehen waren. Den (Bier-)Bauch pflegte er während des Konzerts durch den Konsum von mindestens zwei Dosen Jupiler.

Die Musik... nun ja, irgendwo zwischen enervierender Garage-Rock-Oper und dumpfer Synthesizer-Sounds, deren Refrains ad ultimo wiederholt wurden, was immerhin das Identifizieren der Setliste vereinfachte. Der Schlagzeuger (in Bikini und Cowboyhut) bekam seinen großen Auftritt bei „Black Ballerina“, er trat hinter dem Schlagzeug hervor und performte mit viel Posieren den Song. Neben zwei Songs von Ariel’s Pink Graffiti schlichen sich auch zwei reguläre Coverversionen in das seltsame Set mit hinein: Das instrumentale „Bright Lit Blue Skies“ (The Rockin’ Ramrods) und das soulige „Baby“ (Donnie & Joe Emerson).


Was sollte das alles nur? War das ironisch? Ein Statement? Ein Test, wie die Zuschauer reagieren? So richtig schockieren kann man als Mann in Frauenkleidern glücklicherweise ja nicht mehr, schon eher durch die schlechte Musik. Ein Auftritt, den ich unter „Bands, die ich nicht verstehe“ verbuchen kann.

Setliste:

White Freckles
Jell-o
Four Shadows
Lipstick
Not Enough Violence
Gettin' High in the Morning
Goth Bomb
One Summer Night
Fright Night (Nevermore)
Black Ballerina
Bright Lit Blue Skies
Baby
Picture Me Gone


Nun war es schon fast Zeit für den Sonntags-Headliner alt-J. Womit wir schon wieder beim Label „Bands, die ich nicht verstehe“ sind, denn alt-J sind musikalisch natürlich Millionen Meilen von Ariel Pink entfernt, dennoch kann ich die überaus verbreitete Begeisterung für diese Band nicht so recht nachvollziehen. Die Songs, die ich kenne, erscheinen mir als recht normale Popsongs, die weder positiv noch negativ auffällig sind. In der recht langen Wartezeit vor der Bühne wurde durch die meist sehr jungen Fans um uns herum allerdings klar, dass hier für die meisten das absolute Highlight bevorstand.


Als das Set mit „Hunger of the Pine“ begann, vertiefte sich dieser Eindruck, denn um mich herum wurde eifrig mitgetanzt, -gesungen und -dirigiert. Ich war sicher unter den ganz wenigen, die nicht jede Note kannten.

Die Band an sich war statisch, jeder blieb hinter seinem Instrument, die (wenigen und austauschbaren) Ansagen übernahm Gus Unger-Hamilton (Keyboard, Gesang). Joe Newman (Gesang, Gitarre), Thom Green (Schlagzeug) und der Tour-Bassist Cameron Knight trugen nichts zur Kommunikation bei.


Dafür gab es vorne sonst einiges zu sehen, die mit reichlich Scheinwerfern bestückte Bühne erstrahlte in immer wieder neuen Farben und Mustern und wurde zum Beispiel während der nacheinander dargebotenen zwei Teile von „Bloodflood“ in blutrotes Licht gehüllt.

Das Mädchen neben mir garnierte seine soeben Handy-gefilmte Snapchat-Story mit „Aaaaalt-J!“ und postete somit die Band, die ich nicht verstehe, in einem Medium, das ich nicht verstehe. Das passte immerhin zusammen (zumal ich für beides sicherlich nur zu alt bin).


Die Setliste wurde genau so durchgespielt, wie sie bereits in letzter Zeit bei Konzerten zu hören gewesen war, nach „The Gospel of John Hurt“ trat man wohl nun der Form halber für gefühlt 30 Sekunden ab, um dann den Zugabenteil zu absolvieren, inklusive von „Lovely Day“, einem Bill Withers-Cover, und des größten, am meisten mitgesungenen Hits „Breezeblocks“.

Dann war das Konzert vorbei, das Festival quasi ebenfalls (alt-J waren nicht die letzte Band, aber die letzte große und bekannte). Um uns unmissverständlich klar zu machen, dass hier nichts mehr geschehen würde, legte man in ohrenbetäubender Lautstärke Rick Astleys „Never Gonna Give You Up“ auf, zu dem die Besucher, viele fröhlich mitsingend, geordnet das Festivalgelände verließen. Hoffentlich hat das jemand für Rick Astley festgehalten.


Setliste:

Hunger of the Pine
Fitzpleasure
Something Good
Left Hand Free
Dissolve Me
Matilda
❦ (Guitar)
Bloodflood
Bloodflood Pt. 2
❦ (Ripe & Ruin)
Tessellate
Every Other Freckle
Taro
Warm Foothills
The Gospel of John Hurt

Lovely Day
Nara
Leaving Nara
Breezeblocks



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