Und schon sind wir bei Tag 3 angelangt. Headliner des Tages waren Radiohead, und wir waren fest entschlossen, dieses Mal weiter vorne zu stehen als am Vorabend bei Arcade Fire, zumal man den ganzen Tag auf den Festivalgelände massenweise Radiohead-Shirts sah. Doch beginnen wir am Anfang:
Der musikalische Teil des wieder sehr heißen Tages begann für uns erst um 15 Uhr auf Bühne 2, wo wir eine alte Bekannte erwarteten: Aurora. Vorletztes Jahr hatten wir die Norwegerin als relativ Unbekannte beim Maifeld Derby gesehen. In der Zwischenzeit war sie die Interpretin eines John Lewis-Weihnachtswerbungssongs, und ihr Lied "Running with the Wolves" untermalte einen Vodafone-TV-Spot.
Nicht geändert hat sich der etwas unbeholfene, sehr ehrlich wirkende Charme der mittlerweile 20jährigen, die erzählte, das Gepäck ihrer Band sei auf dem Flug von Norwegen verloren gegangen und sie trete heute in ihrem Morgenrock auf. Zumindest die Morgenrock-Sache stimmte sicherlich nicht so ganz. Die Hitze im Zelt kommentierte sie mit einem Hinweis auf ihren "sweaty butt" und erklärte irgendwann als Reaktion auf das begeisterte Publikum: "It's much nicer to be up here with you down there!"
Wir hörten eine Ansammlung von Liedern von Auroras erstem Album, aber auch drei neue Songs: "Soft Universe", "In Bottles" und "Feeling I Can't Fight". Die Künstlerin redete dabei so viel, dass sie letztlich aus Zeitmangel das Publikum entscheiden ließ, ob der letzte Song "Conqueror" oder "Running with the Wolves" sein sollte - wir entschieden uns natürlich für letzteres. Das vorletzte Lied, "I Went Too Far", hatte sie vorher dem Publikum gewidmet.
Immer noch eine sehr sympathische, stimmgewaltige Sängerin, von der man sicher noch mehr hören wird.
Setliste:
Winter Bird
Soft Universe
In Boxes
Warrior
Little Boy in the Grass
Under Stars
Runaway
In Bottles
Under the Water
Feeling I Can't Fight
Lucky
I Went Too Far
Running with the Wolves
Nach kurzer Pause ging es an selber Stelle weiter mit Arab Strap. Diese Band kannte ich vorab überhaupt nicht, dabei besteht das Duo aus Aidan Moffat und Malcolm Middleton bereits seit den 90er Jahren. Die beiden stammen aus dem schottischen Kaff Falkirk und machen Musik - wobei vieles eher Sprechgesang ist - die für Depressive eher nicht geeignet ist. Es geht in den Texten um gewalttätige Alkoholiker, verlorene Liebe, Drogenkonsum, mehr Alkohol... alles schwankt zwischen Alltagsbeschreibung und echter Verzweiflung, erscheint aber extrem authentisch.
Die Band trennte sich 2006, ist nun aber wieder zusammen und feierte 2016 ihr 20jähriges Jubiläum - dabei werden also die zehn Jahre Trennung mit eingerechnet. Beim Auftritt wurde man durch vier Musiker unterstützt, die Schlagzeug, Gitarre, Geige und Keyboard spielten.
Dadurch, dass die Band nicht nur als Duo angereist war, vergrößerten sich die musikalischen Möglichkeiten. Zwischendurch wurde die Musik stark gitarrenlastig und erinnerte zeitweise an die schottischen Kollegen von Mogwai. Andere Songs wurden durch elektronische Beats regelrecht tanzbar.
Aiden Moffat hatte zu Beginn des Konzerts, das übrigens mit einer Dudelsack-Einspielung begann, 5 Dosen Bier mitgebracht, die er mühelos nach und nach leerte, er ging sogar während eines Instrumentalteils weg und holte sich Nachschub.
Gesprochen wurde ansonsten nicht allzuviel. "Blood" wurde angekündigt als "sad song about being a dick". Bei "The Shy Retirer" bemerkte Moffat, dass sein Mikrophonkabel ja wirklich extrem lang sei und machte daraufhin Ausflüge an beide äußerste Enden der Bühne. Das Set wurde beendet durch die erste Single des Duos, "The First Big Weekend", wobei die Zeile "I thought she had been quite pretty until last night when Matthew informed me that she had, in fact, been a pig" mittlerweile in "... she had, in fact, been supermodel material" geändert worden ist. Der gesungene Refrain "went out for the weekend, it lasted for ever, high with our friends it's officially summer" war die einzige Stelle des Konzert, bei der Malcolm Middleton sang.
Setliste:
Stink
Fucking Little Bastards
Girls of Summer
Rocket, Take Your Turn
Don't Ask Me To Dance
Here We Go
Blood
New Birds
Speed-Date
The Shy Retirer
The First Big Weekend
Anschließend war es so heiß, dass wir unser Bandprogramm weiter reduzierten und uns stattdessen einen Rastplatz im Schatten suchten - was angesichts deren Begehrtheit erstaunlich lange dauerte.
James Blake, also seine Musik, kann ich eigentlich nicht besonders gut leiden. Zu viel Gefrickel und Wiederholung. Nach der Erfahrung des Vorabends beschlossen wir dennoch, nicht nur das direkt vor Radiohead auf derselben Bühne stattfindende Konzert zu besuchen, sondern auch, selbst für dieses extra früh da zu sein. Das klappte auch insofern, als wir es dieses Mal vor den ersten Wellenbrecher und in vernünftige Nähe zur Bühne schafften. Allerdings bedeutete es auch, dass wir buchstäblich stundenlang herumstehen mussten - um etwa 19:30 Uhr begannen wir, auf Herrn Blake zu warten, ab 19:50 Uhr trat er auf, spielte für eine Dreiviertelstunde und für 22 Uhr bis 0:30 waren dann Radiohead angesetzt. Fünf Stunden eingequetscht herumstehen erschienen als hoher Preis für eine gute Sicht auf Radiohead, aber nun gut.
Mit uns waren sicher auch viele andere bei James Blake, ohne ihn tatsächlich sehen zu wollen. Als ich das gegenüber meinem Freund anmerkte - und dass er einem ein bisschen leid tun müsste - meinte dieser nur, dass James Blake der aktuelle Support Act von Radiohead ist und diese Situation folglich kennen müsste.
James Blake betrat die Bühne dann zunächst allein und begann, "Vincent" am Klavier zu singen. Erst etwas später gesellten sich ein Schlagzeuger und ein Keyboarder zu ihm. Es zeigte sich schnell, dass wohl doch etliche Blake-Fans im Publikum waren, denn es war geradezu beeindruckend still - und wer doch redete, wurde von seiner Umgebung zurecht gewiesen.
Gleich als zweites Lied kam zur allgemeinen Begeisterung Blakes wohl bekanntester Song, das Feist-Cover "Limit to Your Love". Es war eine von insgesamt drei Coverversionen im Set, das übrigens die angesetzte Stunde Zeit nicht ausnutzte, sondern nur 45 Minuten dauerte. Zusätzlich spielte Blake mit "Loath To Roam" auch einen neuen Song.
Die mitgebrachten Musiker hatten häufiger sichtbar nichts zu tun, dafür hatte Blake große Fereude am Stimmverzerrer und setzte diesen verschwenderisch ein. Warum eigentlich? Der durchaus vorhandene Enthusiasmus des Publikums konnte mich also nicht mitreißen. Ich finde die Musik weiterhin langweilig und fand nicht einmal, dass sie die Wartezeit auf Radiohead verkürzte. Beinahe erleichtert war man, wenn gelegentlich ein Lied mit Beat kam und somit zumindest ein wenig aus dem Einheitsbrei herausstach.
Setliste:
Vincent (Don McLean cover)
Limit to Your Love (Feist cover)
Timeless
Lindisfarne I
Lindisfarne II
Life Round Here
Voyeur
Retrograde
A Case of You (Joni Mitchell cover)
Loath To Roam
Modern Soul
Dieses Jahr feiert "OK Computer", Radioheads letztes für mich zugängliches Album, sein 20jähriges Jubiläum. Deshalb bestand die begründete Hoffnung, dass die Band die Platte bei der Zusammenstellung der Setliste besonders berücksichtigen würde. Immerhin erschien letzte Woche eine neue Version des Albums mit drei bislang unveröffentlichten Songs, also wäre es auch aus kommerzieller Sicht sinnvoll, entweder diese oder viele der alten zu spielen, quasi als Werbung.
Nun sind die musikalischen Entscheidungen bei Radiohead selten von kommerziellen Überlegungen geprägt, und so wurde die Setliste dann auch genauso zusammengestellt, wie es Thom York und seine Kollegen an diesem Abend für richtig hielten - und "OK Computer" spielte hier nur eine untergeordnete Rolle. Nachdem das Set ein so dermaßen langes Zeitfenster bekommen hatte, konnte man lange auf den Oldie-Block hoffen, der nun bestimmt bald anfangen würde, aber dem war nicht so: Während die neueren Alben "A Moon Shaped Pool" und "In Rainbows" mit je 5 Titeln bedacht wurden, schaffte "OK Computer" es auf vier Lieder, darunter mit "Paranoid Android" nur eine der Singles - und mein anderes Lieblingsalbum "The Bends" auf eines.
Der Kontrast zu Arcade Fire am Vorabend hätte kaum größer sein können. Die eine Band biedert sich durch massenweise Hits und Mitsing-Aufforderungen geradezu beim Publikum an, die andere spielt eben das, wonach ihr ist, und wer mag, kann gerne dabei zusehen. Hier ein Schlagzeuger, der Bühnenaufbauten erklimmt, dort eine dreiköpfige Rhythmusgruppe, die dezent im Hintergrund bleibt - wie fast alle bei Radiohead, auch Thom Yorke selbst sagte so gut wie nichts.
Die tolle Setliste mit vielen "OK Computer"-Liedern gab es dann übrigens doch noch, allerdings eine Woche später beim Glastonbury-Festival - wo sogar der erste Hit "Creep" Eingang in die Songauswahl fand.
Als Missverständnis entpuppte sich die angesetzte Spielzeit von zweieinhalb Stunden. Die Band war kurz nach 12 bereits mit ihrer zweiten Zugabe fertig, zog sich zurück... und das war's. Während viele im Publikum dachten, noch eine halbe Stunde Radiohead vor sich zu haben, begann auf der Bühne der Abbau. Dabei konnte man wahrlich nicht behaupten, dass die Headliner zu kurz aufgetreten wären sie hatten zu diesem Zeitpunkt 24 Songs und etwas über zwei Stunden gespielt. Nur hatte der Zeitplan eben Erwartungen ausgelöst, die dann nicht erfüllt werden konnten.
Bei all der Meckerei muss gesagt werden, dass ich mich gefreut habe, Thom Yorke & Co. einmal aus relativer Nähe zu sehen, was mir zuletzt 1994 gelungen war (damals hat er sich auch nicht geziert, "Creep" zu spielen, hehe). Die Videoleinwände haben den Tausenden, die hinter uns standen, leider wenig geholfen, denn mindestens sechs Kamerabilder wurden Collagen-artig übereinander gelegt und geblendet.
Und abgesehen von den nicht erfüllten "OK Computer"-Hoffnungen gab es auch rein gar nichts Negatives zu dem Auftritt zu sagen. Thom Yorke verharrte bei "Myxomatosis" nicht apathisch wie ein an Myxomatose erkranktes Kaninchen sondern hüpfte wie ein kerngesundes umher, was er bei "Idioteque" mit gelöstem Pferdeschwanz noch steigern sollte. Jonny Greenwood präsentierte sich bei nahezu jedem Song an einem anderen Instrument und hatte offensichtlich am meisten Spaß, wenn er mit Gitarre losrocken durfte ("Bodysnatchers", "Paranoid Android"). Beide zusammen prägten eine bewegende Version von "Pyramid Song": Yorke am Klavier, Greenwood an Gitarre mit Geigenbogen. Ed O'Brien sang recht häufig mit und ergänzte gemeinsam mit Jonny Greenwood die Trommel-Fraktion beim abschließenden "There There".
Fans durften sich über die selten gespielten "Climbing Up the Walls" und "Separator" freuen, alle anderen bejubelten besonders stark den Großteil der nur acht gespielten Singles (u.a. "All I Need", "Pyramid Song" oder "Street Spirit (Fade Out)") während die Band spontan die Songauswahl variierte und am Ende "Lotus Flower" statt "You And Whose Army?" spielte.
Fazit: Unsere Hoffnungen bezüglich des Radiohead-Auftritts wurden nicht erfüllt, mit der Realität konnte man aber auch gut leben.
Setliste:
Daydreaming
Desert Island Disk
Ful Stop
15 Step
Myxomatosis
Climbing Up the Walls
All I Need
Pyramid Song
Everything in Its Right Place
Bloom
Identikit
Idioteque
The Gloaming
The Numbers
Exit Music (for a Film)
Bodysnatchers
Street Spirit (Fade Out)
Nude
Let Down
Separator
Paranoid Android
Reckoner
Lotus Flower
There There
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