Premiere bei einem Besuch der Hausener Brotfabrik: Obwohl wir dort im Laufe der Jahre sicherlich schon fünfzehn Konzerte besucht hatten, betraten wir am Dienstag zum ersten Mal das zugehörige Restaurant, in dem zu meiner freudigen Überraschung auch eine Katze arbeitet. Oder zumindest gelegentlich durchläuft. Im Gastraum saß auch die Band und stärkte sich vor ihrem Auftritt - was gut war, denn so mussten wir uns nicht allzu viele Sorgen machen, als wir etwas länger aufs Essen warten mussten: So lange die Band noch da sitzt, kann man ja nichts verpassen.
Ach ja, die Band. Vor einigen Jahren war es, wenn Tobias Siebert auf der Bühne "Die Band bespricht sich kurz" sagte, noch ein Witz. Das ursprüngliche Konzept seines Projektes And the Golden Choir war ja gerade, dass er keine Band hatte, sondern auf der Bühne mit vorab komplett von ihm eingespielten Schallplatten hantierte. Der Wechsel ist immer noch ungewohnt, dabei hatten wir ihn bereits vor einem guten Jahr, ebenfalls in der Brotfabrik, mit voller Bandbesetzung erlebt.
Und da saßen sogar noch mehr Leute am Tisch, denn die Vorband war an diesem Abend wirklich eine solche (bei der ersten Tour hatte diesen Part konsequenterweise eine Plattenseite übernommen, zuletzt der Solokünstler BAYUK), ein Trio namens "Danube". Da ich über zehn Jahre in Regensburg gelebt habe, weiß ich natürlich, dass "Danube" der englische Name der Donau ist und wunderte mich im Vorfeld über diesen Bandnamen. Tatsächlich scheint die Band, oder zumindest die Sängerin Stella Lindner, von Flüssen geradezu besessen zu sein: Der erste Song, den wir hörten, als alle sich im Konzertraum eingefunden hatten, hieß offenbar wie die Band und begann mit den Worten "Danube is where I come from...". Das letzte Lied enthielt den Refrain "A river runs through me", und zwischendurch äußerte Stella mit einem Augenzwinkern Bedauern darüber, in Frankfurt überhaupt nicht den Main gesehen zu haben.
Die recht ruhigen Songs wurden von einem Keyboarder (Daniel Moheit, der auch bei And the Golden Choir mitspielt) und einem Schlagzeuger (Filip Pampuch) begleitet, wobei mich der Gesang ehrlich gesagt am wenigsten überzeugte. Sehr lustig war allerdings die Aussage der Sängerin, es gäbe noch kein Album zu kaufen, sie habe aber Wundertüten gebastelt, die am Merchandies verkauft werden würden, es sei aber erst eine fertig - wenn mehr als ein Zuhörer eine wollte, müsse sie also noch schnell weitere gestalten.
Tobias Sieberts Band hat sich seit 2016 nicht verändert: Johanna Weckesser spielt hauptsächlich Gitarre, Daniel Moheit Keyboard, Daniel Spindler Bass und diverse andere Instrumente und Tilo Weber Schlagzeug. Siebert trägt bei der neuen Tournee nun statt eines schwarzen Wollpullovers oder Mantels einen ebenso schwarzen Kaftan mit Intarsienmuster - es würde mich wirklich interessieren, wo man so etwas kaufen kann.
Vieles ist, wie die Band, gegenüber früheren Auftritten gleich geblieben: Das mit auf die Bühne gebrachte Rotweinglas, die Ansammlung von kuriosen Musikinstrumenten, das liebevoll gestaltete Programmheft, einige Möbelstücke (es sind allerdings weniger geworden, beispielsweise ist die Tischlampe nicht mehr dabei - der quietschende Rollwagen ist zur Freude meines Freundes aber noch im aktuellen Lineup) und auch die Tatsache, dass eher wenig gesprochen wird - im Hauptteil genau zwei Worte, nämlich "Vielen Dank". Tatsächlich hatte ich dieses Mal noch mehr den Eindruck, dass die volle Konzentration aller auf der Bühne der Musik und den Arrangements galt - alle hatten recht viel zu tun, da ja diverse Instrumente zum Einsatz kamen und dabei auch nicht immer von derselben Person bedient wurden - und schlicht keine Zeit blieb, sich auch noch ausführlich dem Publikum zu widmen - ähnlich wie bei The Notwist.
Offensichtlich hat sich Herr Siebert im Laufe des vergangenen Jahres ein paar weitere seltene Instrumente gekauft - man kann sich regelrecht vorstellen, wie er ständig bei eBay Kleinanzeigen und einschlägigen Flohmärkten sucht. Definitiv neu war eine Tröte, die erstmalig bei "My Lies" zum Einsatz kam und auch in "Joker" vielfache Anwendung fand. Bei "Clocks" trommelten Seibert und Daniel Spindler gemeinsam auf etwas, das für mich wie die Miniaturausgabe des Sportgeräts "Kasten" aussah, aber in Wirklichkeit eine Schlitztrommel war.
Ebenfalls neu ist ein Arrangement aus drei hängenden Zylindern, das ich naiv für ein Windspiel gehalten hätte. Bei "Air Fire Water" wurden die drei Zylinder nacheinander "ausgewischt", anschließend zeigte Siebert jeweils auffordernd auf das Publikum, das folgsam einmal im Rhythmus klatschte. Auch eine Drehleier hatte ihren größten Einsatz bei "How to Conquer a Land". Insgesamt wurde das aktuelle Album "Breaking with Habits" komplett gespielt.
Die relative Sprachlosigkeit schlug aber zum Ende hin ins Gegenteil um: Zunächst erklärte Siebert, worum es in "Hunter of Souls" geht, nämlich um einen Mann, der sich mit Frauen trifft und deren Menschlichkeit raubt, um selbst menschlich agieren zu können (so habe ich es zumindest verstanden) - der Song sei nicht autobiographisch, fügte er schnell noch zur Sicherheit hinzu.
Der Frankfurter Termin war nämlich der letzte nach zehn der aktuellen Tour und vor einer einmonatigen Pause, weshalb nicht nur die Band besonders liebevoll vorgestellt wurde (nehme ich zumindest an), sondern Siebert dann doch noch viel zu erzählen hatte: Übers Heimkommen nach der Tour und das Drehen der Waschmaschine, über Frankfurt, das er, als er noch im Dreikönigskeller auftrat, bedrückend fand, nun aber gerne mag, und über den Flughafen, an dem er im Vorbeifahren immer eine Aussichtsplattform sieht, aber nie herausbekommt, wo man von der Autobahn abfahren müsste, um diese erreichen zu können.
Ursprünglich waren wir einmal guter Hoffnung, Siebert und seine Schallplatten irgendwann für ein Wohnzimmerkonzert einladen zu können. Mittlerweile ist das dank realer Band recht unwahrscheinlich geworden, immerhin lässt das Programmheft aber einen kleinen Hoffnungsschimmer, denn dort steht über das Arrangement mit Band: "Zeit, auch das Konzertkonzept zu brechen. Nicht für immer! Aber für jetzt." Zugeben muss ich allerdings, dass sowohl mir als auch meinem Freund der Sound und die Atmosphäre mit Band noch besser gefallen - so schlecht das auch für unsere Wohnzimmerhoffnungen sein mag.
Tatsächlich waren die Angaben beim anschließenden Gespräch am Merchandisestand relativ vage, wie mein Freund am nächsten Tag scherzhaft zusammenfasste: "Wenn wir Support sind, wenn Tobias die Platten dabei hat, wenn wir einen Day Off haben, wenn es nicht regnet, wenn die Quersumme aus Tag und Monat durch 3 teilbar ist..."
Bleibt nur noch, ein möglichst seltenes Instrument zu besorgen, um And the Golden Choir vielleicht doch noch in den Westerwald zu locken. Mein Freund googlet bereits nach Bauanleitungen für ein walisisches Crwth und ein Hydraulophon...
Setliste:
The Jewelry
My Lies
Clocks
The Transformation
My Brother's Home
My Heaven Is Lost
Air Fire Water
The Queen of Snow
Choose to Lose
Joker
It's Not My Life
How to Conquer a Land
The Garden
The Distressed Jeans
The Rain
Hunter of Souls
Into The Ocean
Angelina
In Heaven
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