Der eine singt, der andere sieht fern: Pet Shop Boys in der Frankfurter Jahrhunderthalle
Viele Erinnerungen habe ich nicht mehr an Heiligabend 2019, aber aus Gründen diese: Ich schenkte meinem Freund Tickets für die Greatest Hits Tour der Pet Shop Boys, die im Mai 2020 in Frankfurt Halt machen sollte. Natürlich wussten wir damals noch nichts von der Pandemie, und so kam es, dass das Konzert nach dreimaligem Verschieben nun am Sonntagabend tatsächlich stattfand - zwei Jahre nach dem ursprünglichen Termin.
Ich selbst bin kein Pet Shop Boys-Fan, habe aber auch absolut nichts gegen das Duo, ich stehe ihm quasi neutral gegenüber. Mit Erleichterung nahm ich außerdem zur Kenntnis, dass das Tourtitel "Dreamworld – Greatest Hits Live" durchaus wörtlich zu nehmen war - auf der vorab einsehbaren Setliste, die an allen Abenden der Tour gleich ist, kannte ich praktisch jedes Lied.
Was weiß ich eigentlich über die Pet Shop Boys? Nun, natürlich, dass das britische Duo seit den 1980ern existiert, dass der Sänger und das Gesicht der Band Neil Tennant heißt und "der andere" (dessen Name übrigens Chris Lowe ist) sich auf geradezu absurde Weise im Hintergrund hält, nicht spricht, meist Sonnenbrille trägt und bei Liveauftritten als vermeintlich Unbeteiligter hinter einem Computerbildschirm verborgen bleibt: Noch in den 80ern oder 90ern las ich in einer Musikzeitschrift den Spruch "one of them sings, the other ones watches TV". Die Pet Shop Boys sind aber auch ganz groß, was verrückte Outfits betrifft - unvergessen ist beispielsweise ihr oranger Partnerlook mit Pylonen als Hüten (Link). Die Selbstinszenierung des Duos selbst als eine Art Kunstwerk verdankt ihre Inspiration anscheinend den Performancekünstlern Gilbert & George.
Als wir in Frankfurt Höchst eintrafen, war der Parkplatz schon gut gefüllt mit Autos auch aus der weiteren Umgebung: Stuttgart, Saarbrücken, Köln, sogar Luxemburg. Die Besucher waren, wie man bei einer Band erwarten kann, die ihre größten Erfolge im letzten Jahrtausend hatte, im Alter eher fortgeschritten. Ich hatte uns Tickets für den sogenannten "golden circle" direkt vor der Bühne gekauft, der sich als recht großer Bereich entpuppte - etwa die Hälfte des Stehplatzbereiches war so nur mit dem Spezialticket zugänglich.
Vor Beginn des Auftritts - eine Vorband gab es nicht - lief passenderweise Musik aus den 80er Jahren. Pünktlich zum Auftrittsbeginn kurz nach 8 Uhr ertönte als Intro "Babel (Maceo Plex Remix)" von Rone. Die Frage, ob wir an diesem Abend bei den Musikern lustige Kopfbedeckungen sehen würden, wurde dann sofort beantwortet: Tennant und Lowe betraten die Bühne mit metallischen Kopfputzen irgendwo zwischen Stimmgabel und Geweih, der von Lowe hatte zusätzlich eine eingebaute Sonnenbrille, dazu trugen die Herren weiße Mäntel. Das erste Lied war "Suburbia", das Publikum begeistert.
Zunächst ohne Ansprache der Zuschauer und weitgehend bewegungslos folgten "Can You Forgive Her" und "Opportunities", außerdem die erste Coverversion des Abends, ein Mash-up von "Where the Streets Have No Name (I Can't Take My Eyes Off You)" - die Technik des fließenden Übergangs wurde später auch für eigene Songs genutzt.
Es erschien also so, als würden die beiden Musiker den ganzen Auftritt lang allein bleiben. Hinter den beiden zeigte eine LED-Wand, die genauso breit wie die Bühne war, aufwendige Animationen. Als einzige Dekoelemente dienten zwei riesige Straßenlaternen.
Nach dem siebten Lied, "So Hard", zeigte sich allerdings, dass die Einsamkeit der Pet Shop Boys eine Illusion gewesen war - die LED-Wand hatte während des Songs die Bühne überquerende Strichmännchen gezeigt, Neil Tennant verließ mit dem letzten von ihnen kurz die Bühne.
Die LED-Wand wurde nun nach oben gezogen und enthüllte drei weitere Musiker, ein erhöhtes DJ-Pult, an dem fortan Chris Lowe stehen würde sowie eine weitere LED-Wand und zusätzlich kleine LED-Elemente. Beide Musiker hatten sich zudem in der Minipause umgezogen - Neil Tennant trug nun ein schwarzes Sakko mit weißen Revers und einen weißen, schlumpfartigen Hut.
Zwei weitere Lieder später erfolgte auch die Begrüßung durch Neil Tennant, der uns zu dem um zwei Jahre verspäteten Konzert begrüßte und zudem anmerkte, es sei ja sehr heiß. Das stimmte - auch wir im Publikum schwitzen an diesem warmen Frühsommerabend, und wir trugen weder Mäntel noch Hüte. In der Auftrittsplanung hatte es sicherlich sinnvoll geklungen, die Outfitwechsel über Mäntel zu realisieren, weil das nun einmal am schnellsten geht, aber ich bin mir sicher, dass Tennant an diesem Abend innerlich über diese Entscheidung geflucht hat - zumal er unter seinen verschiedenen Jacken auch noch einen Pullover zu tragen schien.
Ein Mesh-up von "Single-Bilingual" mit "Se a vida é (That's the Way Life Is)", in das auch noch Elemente von "Discoteca" eingebaut worden waren, leitete die in unseren Augen schwächeren Songs ein. Zu "Domino Dancing" und "Monkey Business" erzählte Neil Tennant jeweils Entstehungsgeschichten der Titel, die höchstwahrscheinlich nicht ernst gemeint waren. Letztgenanntes Lied dürfte ohnehin nur seinen Weg in die Setliste gefunden haben, weil es dem aktuellen Album entstammt.
Nach "New York City Boy" folgte eine weitere Überraschung: Neil Tennant zückte eine Gitarre und bot "You Only Tell Me You Love Me When You're Drunk" akustisch dar. Die kleinen LED-Wände zeigten zu diesem Lied Bilder von Wohnhäusern, was zu einem sehr schönen Effekt führte. Neil erläuterte, der Song sei in Deutschland kein Hit gewesen, habe aber in England die Top 10 erreicht.
Nach "Jealousy" senkte sich der "LED-Vorhang" wieder, er bot einen Hintergrund dafür, dass Neil Tennant zum nun folgenden "Love Comes Quickly" alles andere als schnell die Bühne von links nach rechts überquerte. Nun folgten mit "Losing My Mind" und "Your Were Always on my Mind" zwei weitere bekannte Coverversionen des Duos, die nicht nur wegen ihrer Titel gut zusammen passten, sondern auch ineinander übergingen.
Zu "Dreamland" und "Heart" erfolgte ein weiterer Outfitwechsel, die beiden Herren trugen nun silberne Jacken, beziehungsweise in Neil Tennants Fall einen weiteren Mantel. Für "What Have I Done to Deserve This?" durfte die Background-Sängerin Clare Uchima zu Neil Tennant nach vorne kommen, als Bauarbeiter verkleidete Bühnentechniker schoben die beiden Straßenlaternen, die zwischenzeitlich an den Rand gerückt waren, dafür wieder zusammen, und die beiden sangen ihre Duettparts jeweils von einer Laterne aus.
Die Pet Shop Boys stehen im Guiness-Buch der Rekorde als Duomit den meisten Singles in den englischen Charts - sie erreichten mehr als 40mal in die Top 40. "Vocal"von 2017, das nicht zu dieser Auswahl zählt, hatte es dennoch auf die Setliste geschafft (und war abgesheen von den beiden neuen Liedern das einzige Lied aus diesem Jahrtausend). Viele im Publikum werden den Song gar nicht gekannt haben, er kam aber mit seinen lauten Beats dennoch sehr gut an. Mit "Go West" und "It's A Sin" schlossen danach zwei deutsche Nummer-1-Singles den Hauptteil des Konzertes ab.
Die beiden kehrten jedoch mit nochmals neuen Outfits (Blazermantel für Tennant, "Boy"-Cap und Lederjacke für Lowe) für eine kleine Zugabe zurück, wir hörten noch ihre erste Singleveröffentlichung "West End Girls", zu der die LED-Wände Bilder aus dem damaligen Video zeigten, auf denen die beiden Musiker unfassbar jung aussahen. Dann folgte passenderweise (von wegen Weihnachtsgeschenk) als Abschluss das Lieblingslied meines Freundes, "Being Boring", in dem es inhaltlich um die Vergangenheit und verstorbene Freund geht. Der Konzertabend fand somit nach diversen tanzbaren Liedern ein eher melancholisches und auch nostalgisches Ende. Vorher stellte Neil Tennant noch die Musiker vor, sagte auf Deutsch "Wir sind die Pet Shop Boys" und Chris Lowe ließ sich zu einem Lächeln hinreißen und winkte kurz Richtung Publikum.
Das Konzert war deutlich durchchoreographierter als wir es sonst gewöhnt sind, was auch im Vorfeld klar gewesen war: Es findet sicherlich nahezu identisch so an jedem Abend der Tour statt. Sogar Wassertrinken der Musiker schien zu profan für die Bühnendarbietung zu sein und wurde deshalb heimlich am Bühnenrand erledigt. Wir sahen somit eher eine mit Hits vollgepackte Aufführung als ein reguläres Konzert. Die Animationen waren dabei beeindruckend, wenn auch nicht auf demselben Niveau wie kürzlich bei Woodkid oder vor einigen Jahren bei U2. Dafür war Neil Tennant sehr gut bei Stimme.
Setliste:
Can You Forgive Her?
Opportunities (Let's Make Lots of Money)
Where the Streets Have No Name (I Can't Take My Eyes Off You)
Rent
I Don't Know What You Want but I Can't Give It Any More
So Hard
Left to My Own Devices
Single-Bilingual / Se a vida é (That's the Way Life Is)
Domino Dancing
Monkey Business
New York City Boy
You Only Tell Me You Love Me When You're Drunk (Acoustic version)
Jealousy
Love Comes Quickly
Losing My Mind (Stephen Sondheim cover).
You Were Always on My Mind (Gwen McCrae cover)
Dreamland
Heart
What Have I Done to Deserve This?
It's Alright (Sterling Void cover)
Vocal
Go West (Village People cover)
It's a Sin
West End Girls
Being Boring
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