Get your rocks off: Primal Scream im Kölner Bürgerhaus Stollwerck


Im Jahr 1990 gab es für mich einige Premieren, unter anderem meine erste Flugreise und, damit verbunden, die erste Auslandsreise ohne Eltern oder Jugendgruppe, mit Freunden. Wir reisten damals nach Irland, und unsere Gastgeberin in Dublin (die mit den Eltern einer meiner Mitreisenden befreundet war) hatte zur Unterhaltung von uns jungen Leuten eine Doppel-LP mit den aktuellen Pophits gekauft.

Selbige Platte enthielt neben Mist überraschend viele gute Songs, darunter, ich komme langsam zum Thema, "Loaded" von Primal Scream. Über die Jahre bekam ich auch die anderen Hits der Band mit, also "Moving On Up", "Jailbird" und vor allem "Rocks". Heutzutage hätte ich nicht einmal sagen können, ob die Band um Bobby Gillespie überhaupt noch existiert - das tut sie.




Wir spulen also vor ins aktuelle Jahr, Primal Scream sind momentan auf Tour! Neben Gillespie ist nur noch der Gitarrist Andrew Innes als annäherndes Gründungsmitglied dabei. Die Station in Köln war das Bürgerhaus Stollwerck, das mir vorab völlig unbekannt war. Es stellte sich als innenstädtisches Gebäude nahe der berühmten Kranhäuser heraus, mit eigenem Parkplatz, auf dem wir das Auto quasi direkt zum Tourbus der Band stellen konnten. Das Bürgerhaus entpuppte sich als eine Art Gemeindezentrum, in dem man auch Mal- oder Pilateskurse besuchen kann. Die eigentliche Konzert-Location, der "große Saal", war eher klein.

Wir hatten die Einlasszeit um 19 Uhr ernst genommen und uns beeilt - das wäre nicht nötig gewesen, nun mussten wir eine ganze Weile warten und wurden Zeugen von Streitigkeiten unter anderen der früh erschienenen Gäste. Der Saal war noch annähernd leer, aber ganz vorne hatten sich diverse Superfans bereits an die Absperrung gekrallt, um auch ganz sicher in der ersten Reihe zu stehen. Ein Vater-Sohn-Duo konnte sich offenbar nicht vorstellen, das Konzert aus der zweiten Reihe zu betrachten und drängelte eine junge Frau einfach ab. Andere Besucher bekamen das mit, Ordner wurden gerufen, es wurde viel diskutiert. Eine befriedigende Lösung, bei der die Drängler erkannt hätten, dass sie sich wie schlecht erzogene Kleinkinder benehmen (ganz besonders albern, da es ja nur darum ging, 50 Zentimeter weiter hinten zu stehen), wurde offensichtlich nicht gefunden.



Mit der verstreichenden Wartezeit füllte der Saal sich dann ganz ordentlich, bis es Zeit für die Vorband Lawn Chair wurde.  Es handelte sich um ein sehr junges, männliches Quartett plus Sängerin, das energetischen, viel zu lauten Postpunk spielte - ich war froh, dass ich an meine Ohrenstöpsel gedacht hatte. Beeindruckend war das Selbstbewusstsein der Musiker, insbesondere die Sängerin schien sich auf der Bühne komplett wohlzufühlen, schrie, machte abgehackte Tanzbewegungen, rannte durch den Fotograben und sang das letzte Lied im Publikum. Ältere Konzerbesucher machten eifrig Fotos - eventuell handelte es sich um Elternteile von Bandmitgliedern. Man kündigte ein erstes Album an, das im September erscheinen soll.



Setliste:

Devo
Rhoenians Death
Punkrock Band
Men With Shifty Eyes
Just Because We Can
Sunset Heartbreak
Lobster
Big Dick
Counting On Love



Auch Primal Scream haben eine aktuelle Platte, die bereits im November erschienen ist: "Come Ahead", das Dicoalbum der Band, die im Laufe der Jahre sehr unterschiedliche Musikstile ausprobiert hat. Ich war mir vorab bewusst gewesen, dass ich, die ja ohnehin nur eine Handvoll Lieder kannte, viel Neues hören würde. "Come Ahead" sollte dann später auch mit acht Liedern berücksichtigt werden. Mein Freund, der Fan der Band ist, hatte diese auch noch nie live gesehen.

Bühnendekorationen oder gar LED-Wände gab es im Bürgerhaus nicht, dafür aber zumindest viel Nebel, als die Band die Bühne betrat. Die Lichtshow blieb ebenfalls sehr schlicht, nicht einmal die vorhandene Discokugel kam zum Einsatz (vielleicht wird im Bürgerhaus aktuell ja ein "Discokugel reparieren"-Workshop angeboten und wartet noch auf Teilnehmende?).



Den Musikern selbst mangelte es zumindest nicht an Glamour, direkt vor uns stand eine Bassistin (Simone Butler, bereits seit 2012 Bandmitglied) im Glitzeroutfit, hinter ihr positionierten sich zwei Gospelsängerinnen in sicherlich unbequemen Kunstlederkleidern. Die männlichen Bandmitglieder - neben Andrew Innes waren ein Saxophonist, der auch Flöte spielte, ein Keyboarder und ein Schlagzeuger anwesend - folgten keinem einheitlichen Dresscode, es dominierten aber schwarz und Glitzer. Der Saxophonist trug ein übertriebenes 80er Jahre-Outfit, mit dem er auch gut bei Stranger Things hätte mitspielen können.

Bobby Gillespie selbst kam als letzter auf die Bühne. Zu einem weißen Anzug trug er ein schwarzweißes Cowboyhemd und Schlangenlederstiefel. Zur Mitte des Sets warf er das Sakko ab. Anders als bei Franz Ferdinand neulich wurden heute nicht alte Hits und neue Lieder abwechselnd gespielt, stattdessen konzentrierte sich die erste Hälfte eher auf neue Songs, unterbrochen durch den Opener "Don't Fight It, Feel It" und "Jailbird".




Gillespie erzählte zwischendurch, leider habe ich aber so gut wie nichts verstanden - dabei arbeite ich seit Ewigkeiten für US-amerikanische Firmen, und einer meiner Vorgesesetzten ist ebenfalls Schotte! In irgendeiner Geschichte ging es um etwas mit Liam Gallagher, das wohl super war. Zu "Moving On Up" wurden wir zum Jubeln aufgefordert, indem Gillespie meinte, wir sollten uns vorstellen, wir seien bei einem Fußball-WM-Finale, bei dem Deutschland gegen England spielt.

Auch sonst wurden wir viel angefeuert, Gillespie hat sicher Hornhaut an den Handflächen vom ausdauernden Klatschen! Das älteste Lied "I'm Losing More Than I'll Ever Have", das in seinem Remix als "Loaded" zum großen Hit wurde, kündigte Gillespie in einem Block mit zwei Balladen an; "Loaded" selbst kam dann zwei Lieder später. An dieser Stelle begann dann auch der "Greatest Hits"-Teil des Konzertes, bei dem die Stimmung sehr gut wurde. Die Background-Sängerinnen hatten für die einzelnen Songs jeweils eigene Choreographien.



Zu "Swastika Eyes" verstanden wir zur Abwechslung einmal die Ankündigung - Gillespie erzählte, die damalige Plattenfirma Sony habe es für den deutschen Markt umbenennen wollen. Er hielt das für Quatsch, da die Worte im Refrain vorkommen und die Leute ihn auch schon kannten. Der Titel wurde auf dem europäischen Festland dennoch zu "War Pigs" geändert.

Besonders zu "Moving on up" und "Country Girl" wurde auf der Bühne und im Publikum stark abgerockt, zu letzterem wurde das Publikum aufgefordert "Here we go, here we fucking go" zu skandieren. 



Nach kurzer Pause bekamen wir noch drei Zugaben, "Come together" wurde dabei mit einer Passage aus Elvis Presleys "Suspicious Minds" (das auch vor dem Konzert in der Wartezeit gespielt worden war) versehen. Den Abschluss bildete dann mein eigener Lieblingssong, "Rocks". 

Damit endete der Abend mit einem enthusiastischen Bobby Gillespie, der auch wusste, dass er lange nicht in Köln gewesen war. Im Übrigen hätte ich mir gar keine Gedanken bezüglich der Halle machen müssen: Zuletzt waren Primal Scream 2017 im Gloria aufgetreten, dagegen war das Bürgerhaus größentechnisch keine Verschlechterung.




Setliste:

Don't Fight It, Feel It 
Love Insurrection 
Jailbird 
Ready to Go Home 
Deep Dark Waters 
Medication 
Innocent Money 
Heal Yourself 
I'm Losing More Than I'll Ever Have 
Love Ain't Enough 
The Centre Cannot Hold 
Loaded 
Swastika Eyes 
Movin' on Up 
Country Girl 

Melancholy Man 
Come Together 
Rocks



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