Der Freitag endete für uns mit der langen Rückfahrt nach Hause und der Samstag begann mit einer weiteren Fahrt nach Duisburg: In Ermangelung eines Katzensitters hatten wir uns entschlossen, an beiden Festivalabenden Zuhause zu nächtigen. Was in der Theorie machbar klang - die Fahrtzeit liegt bei eineinhalb Stunden - nervte in der Realität dann doch ziemlich. Notiz für potenzielle weitere Besuche beim Traumzeit: Wenigstens eine Übernachtung sollte drin sein, und das insbesondere, wenn es so spät wird wie am Freitag.
Ich habe im gestrigen Beitrag ja schon ein bisschen vom Festival und dessen Ausrichtung erzählt. Zu ergänzen wäre noch, dass selbst im Vergleich zu anderen nicht profitorientierten Festivals, die ich kenne (zu nennen wäre hier beispielsweise das Maifeld Derby) die Veranstalter besonders wenig an Umsatz und Wachstum interessiert zu sein scheinen. Man nehme allein die Tatsache, dass es neben den überall ausliegenden Papierprogrammen auch eine Festivalzeitung gab, die man sich kostenlos mitnehmen konnte, und die einerseits vorbereitete Artikel, andererseits aber auch erste Reviews der Freitagskonzerte enthielt. Es ist sicherlich extrem aufwändig, noch während des Festivals mal eben eine Zeitung zu vollenden und drucken zu lassen, und man verdient damit keinen Cent extra.
Am Samstag war ich auch geradezu gerührt, als ich sah, wie die Ordner am Einlass der Giesshalle mit mitgebrachten Getränken umgingen. Dadurch, dass der Food Court ja auch ohne Festivalbändchen zugänglich war, erfolgte die eigentliche Kontrolle erst beim Zugang zu den Bühnen. Besonders gründlich war sie aber nicht, ds hätte angesichts der relativ schmalen Zugänge wohl auch zu großen Rückstaus in den mittigen Fressstand-Bereich geführt. Während auf der Festival-Website gestanden hatte, dass man keine selbst mitgebrachten Getränke mit in den Bühnenbereich nehmen durfte, hatten viele wegen der quasi nicht vorhandenen Taschenkontrollen dennoch eigene Dosen und Flaschen dabei. Doch selbst, wenn man sich mit einem offenen eigenen Getränk der Halle näherte, bekam man nicht etwa zu hören, dass dieses draußen zu bleiben habe: Stattdessen hielten die Ordner Pappbecher bereit und baten Besucher, ihre mitgebrachten Dosen in diese umzuschütten!
Der Festivalsamstag stand für viele auch unter dem Zeichen der Fußball-Weltmeisterschaft: Am Abend würde Deutschland gegen Schweden spielen, und eine Niederlage hätte ziemlich sicher das Ende der deutschen Teilnahme bedeutet. Allerdings verfügte das Festival nicht über eine Fußballschau-Station, im Vorfeld hatte man sogar ein Statement der Veranstalter lesen können, dass die Traumzeitbesucher sich nicht für Fußball interessieren. Ganz war dem wohl nicht so, und während man letztlich an mehreren Imbissständen das Spiel per Radio verfolgen konnte, erbarmte sich einer der Getränkestände und stellte für die Interessierten einen Fernseher auf.
Unsere Ankunft auf dem Gelände erfolgte aber lange vor dem Anpfiff, unsere erste Band des Tages waren Blumfeld. Zu dieser Band habe ich ein gespaltenes Verhältnis, da ich mich in ihren Hochzeiten irgendwie nie richtig interessieren konnte. Erst 2001 fand ich die Single "Graue Wolken" wunderschön, kaufte mir darauf unbesehen das Album "Testament der Angst" und fand es richtig schlecht. Dagegen hatte ich Jochen Distelmeyers Autoren-Auftritt beim A Summer's Tale Festival 2016 als ausgesprochen unterhaltsam in Erinnerung, inklusive der damals dargebotenen Coverversionen. Und außerdem gehen "Verstärker" und "Tausend Tränen Tief" sowieso immer.
Blumfeld gelten offiziell als aufgelöst, spielen 2018 aber diverse Konzerte. Mit dabei hatte die Band den Musikproduzenten Tobias Levin, der ab dem vierten Lied die Gitarre übernahm und die Bühne anschließend nicht mehr verließ. Jochen Distelmeyer schien bestens aufgelegt zu sein und stand einem Publikum mit vielen Fans gegenüber, was man an den zahlreichen gerufenen Songwünschen erkennen konnte. Als eine Zuschauerin "Kommst du mit in den Alltag" forderte, antwortete Distelmeyer zunächst launig "Aber sicher! In deinen oder meinen?", um dann selbstkritisch hinzuzufügen, "Jetzt denken alle 'Ok die sind ganz geil, aber der Typ redet so komisches Zeug!'"
Natürlich kannte ich letztlich viele Songs nicht, genoss den Auftritt aber durchaus - und die Lieder klangen allesamt besser als die auf "Testament der Angst". Dabei wurden sogar "Weil es Liebe ist" und "Die Diktatur der Angepassten" von diesem Album gespielt. Als Zugabe bekamen wir noch ein Medley aus "Verstärker", "Electric Guitars" und "Everytime we say Goodbye".
Setliste:
Einfach so (Jochen Distelmeyer song)
Von der Unmöglichkeit "Nein" zu sagen, ohne sich umzubringen
Viel zu früh und immer wieder; Liebeslieder
Ich - wie es wirklich war
Weil es Liebe ist
Eintragung ins Nichts
Wohin mit dem Hass? (Jochen Distelmeyer song)
Pro Familia
Wir sind frei
Die Diktatur der Angepassten
Verstärker / Electric guitars / Everytime we say goodbye
Weiter ging es für uns in der Gebläsehalle mit Low. Während mir dieser Bandname überhaupt nichts sagte, war mein Freund recht erpicht darauf gewesen, den Auftritt zu sehen. Mittlerweile weiß auch ich, dass es sich keineswegs um eine Newcomerband handelt, sondern dass das Slowcore-Trio aus Minnesota schon volle 25 Jahre Musik macht.
Während der Raum weitgehend in Dunkelheit lag, begann auf der Bühne der recht langsame und repetitive Sound der Band, bei der zu meiner Überraschung die Schlagzeugerin Mimi Parker auch für einen Großteil des Gesangs verantwortlich war. Ihr Ehemann Alan Sparhawk spielte Gitarre und sang ebenfalls, zusätzlich gab es noch einen Bassisten (Steve Garrington).
Auch wenn die Band größtenteils die gebannte Aufmerksamkeit des Publikums auf sich ziehen konnte, blickten auch viele immer wieder bang auf ihre Handydisplays: Parallel fand nun das WM-Vorrundenspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen die schwedische statt, und bis zu Beginn des Konzertes hatte es 0:1 für Schweden gestanden.
Für eine ungewöhnlich lange Unterbrechung sorgte es, als Sparhawk eine Gitarrensaite riss und er versuchte, eine neue aufzuziehen. Er erklärte, dass ihm das quasi nie passiert und er insofern nicht vorbereitet sei - letztlich gab es das Suchen und Aufziehen der neuen Saite dann einfach auf und wechselte die Gitarre, während ein Roadie diese Aufgabe übernahm.
Zu "Pissing" konnten wir dann sehen, wie sich in der ersten Reihe ein Zuschauer einem sich windenden Tanz hingab, wobei er aber nicht komplett von seinem Sitz aufstand - so dass für uns von hinten nur immer wieder der Kopf hochpoppte. Auf der Bühne wand sich Sparhawk ähnlich, und mein Freund raunte mir zu: "Der Tänzer da vorne hat Recht, das war phantastisch!"
Setliste:
Quorum
Always Trying To Work It Out
Holy Ghost
No Comprendre
Disarray
Dancing And Fire
Pissing
Lies
Fly
Erst nachdem wir nach dem Konzert zurück zum Cowperplatz gegangen waren, wo nun der Auftritt von Mogwai unmittelbar bevorstand, hörten wir aus Richtung des Getränkestand-Fernsehers einen erlösenden Jubelschrei: Deutschland hatte Schweden in der Nachspielzeit doch noch bezwungen und die Hoffnung aufs Achtelfinale war vorerst wieder intakt.
Auch Mogwai, die sich bereits neben der mit einer Licht-Laterneninstallation dekorierten Bühne aufhielten, jubelten kurz... ob das ironisch gemeint war, sei mal dahin gestellt. Kommentiert wurde es nicht weiter, die einzigen Worte, die während des Konzerts fielen, waren "Hello, we're Mogwai from Scotland!" und "Thank you!"
Ich hatte die Band erstmals beim Maifeld Derby gesehen, anschließend mit einem Soundtrack vorletzten Sommer in Stockholm und zuletzt zwischen den Jahren in Reykjavik - drei Konzerte in drei Jahren und ebensovielen Ländern. Dabei hatte sich eine gewisse Routine entwickelt, so dass ich zu Beginn des Sets nicht nur selbstverständlich wie viele andere Zuschauer auch meine Ohrenstöpsel trug, sondern mein Freund und ich uns auch gegenseitig darauf aufmerksam machten, dass die Schlagzeugerin, wie bereits in Reykjavik, Cat Myers von Honeyblood war. Auch Alex Mackay, der mir immer auffällt, weil er so viel jünger aussieht als seine Kollegen, war wieder dabei.
Und so konnte mein Freund auch aus Erfahrung anmerken, dass uns bei "Mogwai fear Satan" ein plötzliches Lautwerden des Songs bevorstand, dessen Schallwelle - so kam es uns zumindest vor - im Publikum so manche Kopfbedeckung und Frisur vom Kopf gerissen haben muss. Der einzelne Zuschauer, der nach dem zweiten Song "Lauter!!" gerufen hatte und damit bei der Band Heiterkeit ausgelöst hatte, dürfte im Verlauf des Sets, als die Songs immer lauter wurden, ebenfalls zu frieden gestellt worden sein.
Ob wir in der Vergangenheit allerdings auch schon beobachtet haben, dass Bassist Dominic Aitchison eine Whiskyflasche dabei hatte und aus dieser sowie einem daraus eingegossenen und zwecks jederzeit gewährleisteter Zugänglichkeit woanders abgestellten Glas mehrfach trank, kann ich nicht sagen. Eine Neuerung war aber, dass am Ende des Konzertes keinerlei Saiten aus den Gitarren gerissen wurden.
Ich habe jetzt Mogwai in vier aufeinander folgenden Jahren an vier verschiedenen Orten gesehen. Ich bin gespannt, wohin die Reise 2019 geht.
Setliste:
Mogwai Fear Satan
Party in the Dark
Rano Pano
Crossing the Road Material
I'm Jim Morrison, I'm Dead
Hunted by a Freak
Old Poisons
Auto Rock
Ithaca 27ø9
Every Country’s Sun
Remurdered
We're No Here
Nachdem wir uns mit Mogwai also bereits gut auskennen, uns aber nach wie vor schwer tun, Liedtitel zu identifizieren, warteten wir im Anschluss an das Konzert noch, ob wir einen Blick auf die Setliste werfen könnten - was dann auch klappte. Es führte aber auch dazu, dass wir, als wir zur Sängerin Mogli in die Gebläsehalle wollten, enttäuscht wurden: Die lange Schlange, in die wir uns bereits eingereiht hatten, war gar nicht die für den Einlass, sondern für Nachrücker gedacht: Das Konzert lief bereits und war voll besetzt. Nachdem sichtlich keine Chance bestand, hier noch hinein zu kommen, sparten wir uns auch die Wartezeit auf das noch später angesetzte Konzert von Jaguwar und fuhren nach Hause.
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