Letzte Woche schlug mein Freund vor, gemeinsam das Konzert der White Lies in der Kölner Kantine zu besuchen. Es fand am Freitagabend statt, ich hatte die Band noch nie live gesehen und es gelang uns, via eBay Tickets unter dem Vorverkaufspreis zu ergattern... sah doch alles prima aus.
Allerdings hatte mein Freund sich hinsichtlich der Lage der Kantine getäuscht: Zu seiner Studienzeit hatte sich besagte Lokal in Nippes befunden, und er hatte dort in den 90ern Bands wie Elastica, Suede, Manic Street Preachers, Gene und die Charlatans gesehen. Mittlerweile befindet sich die Kantine allerdings in Niehl. So kam es dann auch, dass ich von Frankfurt aus nach dem Büro mit dem Zug erst nach Köln Deutz fuhr, dann eine S-Bahn zum Hansaring und schließlich eine Straßebahn Richtung Longerich. Als ich diese an der von Google Maps vorgeschlagegen Haltestelle verließ, hatte ich so gar nicht den Eindruck, hier richtig zu sein: Ich fand mich so gerade eben noch in einem ruhigen Wohngebiet, und die Richtung, in die ich laut Handyanweisung nun gehen sollte, sah schwer nach Ausfahrstraße aus. Immerhin gingen mindestens zehn junge Leute in dieselbe Richtung wie ich, was zumindest ein bisschen Hoffnung machte, hier doch richtig zu sein.
Tatsächlich, ich ereichte die Kantine gegen 19:45 Uhr, mein Freund war per Auto schon einige Minuten vor mir angekommen. Im Internet hatte man lesen können, dass die Vorband Boniface bereits ab 19:30 Uhr spielen würden, ich hörte, als ich am Einlass wartete und mich an der Garderobe anstellte, aber keine Musik. Als ich schließlich die Haupthalle erreichte, erzählte mir mein Freund, dass auf der Bühne bereits abgebaut worden sei: Wann auch immer Boniface tatsächlich angefangen hatten, um 19:45 war ihr Auftritt schon vorbei gewesen!
Das war nicht die einzige Überraschung, die mich erwartete. Ich hatte die White Lies als eine Band eingeschätzt, die in Deutschland eher wenig bekannt ist, und auch die Kantine (zumindest mit dem Standort Niehl) nicht als eine Spielstätte der ersten Liga. Auch motiviert durch die Tatsache, dass es auf eBay Karten unter dem Vorverkaufspreis gegeben hatte, war ich davon ausgegangen, eine kleine Halle mit eher wenig Zuschauern vorzufinden. Doch von der dunklen Leere Köln-Niehls war ich in eine dicht gefüllte und durchaus ansehnliche Halle gelaufen, in die sicherlich 1000 Menschen passten - und viel weniger schienen auch nicht da zu sein.
Auch der Hauptact ließ nicht lange auf sich warten, schon kurz vor dem von mir erwarteten Anfangstermin 20:30 Uhr erklomm die Band - drei Kernmitglieder plus Keyboarder - die Bühne. Und schon ereilte mich die nächste Überraschung - das Publikum, in dem einige Editors-T-Shirts trugen und sich manche der Gothicszene nahe zu fühlen schienen, war nämlich nicht nur überaus begeistert, sondern auch vielfach komplett textsicher - anders als ich. Ein bisschen war es, als sei ich zur falschen Party erschienen.
Mein Freund und ich hatten noch während der kurzen Wartezeit festgestellt, dass keiner von uns beiden wusste, wie die White Lies aussehen. Nun kann ich sagen: Wie junge Engländer, die dem Trend der Zeit folgend größtenteils Bärte tragen (die Serie Vikings lässt grüßen) und für den Auftritt alle in schwarz gekleidet waren.
Sänger Harry McVeigh ist auch für die Gitarre zuständig, nutzte dieses Instrument aber häufig als reines Dekoobjekt - recht oft spielte die Gitarre bei den Songs eine untergeordnete Rolle (die somit unbeschäftigten Arme setzte er häufig für ausladende Gesten Richtung Decke oder Publikum ein), während die eigentliche "Song-Arbeit" vom Keyboarder Tommy Bowen geleistet wurde. Diesen widerum konnte ich von meinem Standort aus beinahe nicht sehen und fragte mich bei den ersten paar Liedern, woher diese Klänge eigentlich kamen...
Das Set begann mit "Time to Give" vom aktuellen Album "Five", es folgten einige ältere Titel, die um uns herum begeistert mitgesungen wurden. Es fand seinen vorläufigen Höhepunkt mit dem (als erste Single der Band von 2008 angekündigten) Hit "Unfinished Business" und flachte dann ein bisschen ab. Von "Five" selbst wurden insgesamt sieben Lieder gespielt. Mit großartigen Pausen oder langen verbalen Äußerungen zwischen den Liedern hielten sich die Musiker dabei nicht auf und schafften so in relativ kurzer Zeit siebzehn Songs! Die letzten drei waren wieder sehr eingängig, mit den Singles "Death", "Tokyo" und "To Lose My Life" ging man quasi auf Nummer sicher, dass Zugaben eingefordert werden würden. Die Eingängigkeit von "Death" litt allerdings an etwas seltsamen Tempovariationen, bei denen der Song vor dem Refrain immer extrem langsam wurde.
Etwas komisch war auch die Auswahl der Zugaben: Harry McVeigh kehrter zunächst allein zurück und sang "Change" am Keyboard - eine Abwechslung was dies zweifellos, aber dem Publikum wäre mehr nach Tanzen und Mitsingen gewesen, und nun redeten stattdessen viele. Auch das mit voller Bandbesetzung folgende "Fire and Wings" kam nicht so recht an, erst beim letzten Lied "Bigger Than Us", dem einzigen des Albums "Ritual", fanden Band und Publikum wieder einen gemeinsamen Nenner und ein begeistertes Ende.
Und wie fand ich das Konzert nun? Ehrlich gesagt ein bisschen langweilig. Die White Lies machen eingägige Post-Punk-Musik, aber es fehlte dem Set, zumindest für mich, ein wenig an Abwechslung - zumal auf der Bühne ausgesprochen wenig passierte. Laut meinem Freund war die Lichtshow, für die eine Art LED-Drehscheiben eingesetzt wurden, durchaus schön, ich konnte sie aber wegen meiner Empfindlichkeit gegen Lichtblitze (ja, man wird nicht jünger) nur mit geschlossenen Augen verfolgen. Insgesamt keins schlechtes Konzert, aber als wir die Band auf dem Weg zum Auto mit den musikalisch doch recht nahe angesiedelten Editors verglichen, gewannen diese in fast jeder Kategorie (Charisma sowie Stimme des Sängers, Zahl der mitreißenden Songs, ...).
Setliste:
Time to Give
Farewell to the Fairground
Believe It
There Goes Our Love Again
Is My Love Enough
Hold Back Your Love
Unfinished Business
Jo?
Don't Want to Feel It All
Take It Out on Me
Swing
Big TV
Never Alone
Kick Me
Death
Tokyo
To Lose My Life
Change
Fire and Wings
Bigger Than Us