Gelesen: August 2019

by - September 04, 2019

Eigentlich wollte ich meinen Post damit beginnen, zu sagen, dass ich nun endlich alle Romane von Sarah Waters kenne. Stimmt aber überhaupt nicht! Aber immerhin habe ich nun fünf von sechs gelesen, im letzten Monat ihr Debüt Tipping The Velvet.

Wüsste man im Vorfeld nicht, dass Sarah Waters lesbisch ist, würde man es beim Lesen der meisten ihrer Romane erahnen (nur The Little Stranger bildet hier eine Ausnahme), denn lesbische Figuren und Homosexualität nehmen in ihren historischen Romane viel Raum ein.


Ich wusste das bereits im Vorfeld, fühlte mich beim Lesen von Tipping The Velvet aber dennoch zunächst stellenweise, als wäre ich im falschen Film gelandet. Irgendwann ging ich dann in mich und stellte fest, dass ich, wenn ich sage "Das ist ja schon alles ganz spannend, aber eben auch sehr weit weg von mir", auch nicht besser bin als Männer, die finden, dass Jane Austen komischen Weiberkram schreibt, während Hemingway selbstverständlich für alle Menschen interessant ist. Ich habe ja nicht umsonst vier Romane von Waters gelesen: Sie sind spannend, originell und gut geschrieben - das sollte es doch egal sein, wenn die Protagonistinnen nicht hargenauso sind wie ich.

Tipping The Velvet spielt im viktorianischen England. Im winzigen Whitstable scheint für die Hauptfigur Nancy ihr Leben weitesgehend verplant zu sein - ihre Familie betreibt ein Austernrestaurant, in dem alle mitarbeiten, und einen Freund hat sie auch schon. Dann sieht sie in einer Music Hall des nahe gelegenen Canterbury einen Auftritt der Sängerin Kitty Butler, die als junger Mann auftritt und singt. Nancy ist von Kitty fasziniert, freundet sich mit ihr an und zieht schließlich mit ihr nach London - zunächst als ihre Assistentin, später auch als ihre Auftrittspartnerin.

Die beiden Frauen verlieben sich (natürlich) ineinander, sind aber nicht lange zusammen glücklich, denn Kitty hat so große Angst davor, dass ihr Geheimnis entdeckt und ihre Karriere ruiniert werden könnte, dass sie schließlich ihren Manager heiratet. Nancy dagegen durchläuft nun allein in London diverse bizarre Stationen als "männliche" Prostituierte und Mätresse einer reichen Witwe, bis sie nach diversen Krisen ihre wahre Liebe findet.

Tipping The Velvet ist letztlich ein Entwicklungsroman, und Sarah Waters, die sich generell in Bezug auf historische Details durchaus Mühe gibt, alles korrekt darzustellen, gibt freimütig zu, dass sie sich hinsichtlich lesbischer Kultur im viktorianische Zeitalter alles ausdenken musste: Es gibt einfach keine Aufzeichnungen dazu. Die Darstellung von London an sich mit den längst verschwundenen Music Halls, dem noch verruchten East End, Kutschen und Straßenszenen macht aber zusätzlich Spaß, wenn man die heutige Stadt ein bisschen kennt.


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