Gelesen: September 2019

by - Oktober 07, 2019


Erstmalig stelle ich hier ein Buch vor, das ich noch nicht ganz gelesen (na gut: gehört) habe. Erstens, weil ich diesen Monat einfach keines fertig gelesen oder gehört habe und zweitens, weil ich mich mit dem vorzustellenden unglaublich schwer tue.

Es handelt sich um GRM - Brainfuck von Sibylle Berg. Frau Berg ist nicht gerade bekannt dafür, positive Bücher zu schreiben, und das ist ja auch in Ordnung. Dennoch ist GRM dermaßen schwer verdaulich, dass ich in Situationen, in denen ich das Hörbuch weiter hören könnte (also auf Fußwegen oder in der Bahn) häufig entscheide, lieber gar nichts zu hören. In den letzten Tagen habe ich mich regelrecht gezwungen, ein wenig voran zu kommen, so dass ich nun mit Weh und Ach zumindest die Mitte des Romans erreicht habe.

Die Handlung dreht sich locker um eine Gruppe von Jugendlichen im englischen Rochdale (später London), das eigentliche Thema ist aber "gesellschaftliche und technische Entwicklungen, die uns Sorgen bereiten". Der Roman ist quasi eine einzige lange Black Mirror-Folge, nur dass ich letzteres ehrlich gesagt um einiges interessanter finde.

Hier scheint die Romanhandlung nämlich tatsächlich nur ein Alibi zu sein, damit die Autorin alles abhandeln kann, was aktuell schlimm ist oder es in näherer Zukunft werden könnte: Steigende Arbeitslosigkeit durch zunehmende Technisierung, die größer werdende Kluft zwischen arm und reich, hoffnungslose Eltern, die ihre Kinder schlecht behandeln, Menschenhandel, Drogenmissbrauch, Komplettüberwachung der Bürger durch den Staat und ihre eigenen Apps, sterbende Sozialsysteme, Sexismus und Misogynie, Mangel an bezahlbarem Wohnraum, Antibiotika-resistente Keime, Privatisierung des Staates, jede Form von Gewalt. Vielfach werden dabei reale Ereignisse eingebaut, etwa der Brand des Grenfell Towers in London, der Brexit, das chinesische Punktesystem zur Bürgerüberwachung (hier nach Großbritannien verlegt) und auch der Skandal um die Tatenlosigkeit der englischen Behörden anlässlich des sexuellen Missbrauchs zahlreicher minderjähriger Mädchen in Rochdale (das sicherlich deshalb als Schauplatz gewählt wurde).

Die agierenden Personen sind dabei beinahe egal. Die Jugendlichen erleiden allesamt Schreckliches und Traumatisierendes, das auch durchaus plastisch geschildert wird, aber gleichzeitig auch ohne, dass man ihnen dadurch näher käme. Beispielsweise wird ein autistischer Junge von seiner Mutter einfach verlassen und darüber hinaus in einer Massenunterkunft vergewaltigt, ohne sich dazu äußern zu können. Später wird er dann Teil der Gruppe Jugendlicher und ist dort still und "komisch", jedoch ganz offensichtlich relativ normal handlungsfähig - obwohl er vorher anders beschrieben wurde.

Liest man die Amazon-Rezensionen des Romans, beschweren sich viele (wie ich), dass letztlich nur Scheußlichkeiten aneinandergereiht werden und bekommen von anderen empfohlen, dann eben Rosamunde Pilcher zu lesen. Aber ich denke, die absolute Dystopie ist nur der eine Aspekt, der den Roman für mich so unattraktiv macht. Das bereits genannte Black Mirror habe ich ja beispielsweise durchaus gerne gesehen, obwohl es genauso deprimierend ist - nur eben durch das Herausstellen einzelner besorgniserregender Entwicklungen auch interessanter als dieser Rundumschlag über alles. Und auch Margaret Atwoods Oryx & Crake, das recht ähnliche Zukunftsszenarien beschreibt und beim Lesen durchaus ebenfalls tief deprimiert, finde ich um einiges origineller und literarisch wertvoller.

Gelesen wird das Hörbuch übrigens abwechselnd von einer Frau - Lisa Hrdina - und einem Mann - Torben Kessler - ohne, dass das durch die Handlung notwendig oder erklärbar wäre. Vielleicht konnten die Vorleser die Geschichte auch nicht allein ertragen und mussten sich deshalb abwechseln...  Nichtsdestotrotz werde ich mich auch durch den Rest des Buches quälen und dann wahrscheinlich wirklich meine Nerven und Ohren mit literarischem Marzipan trösten. Nicht gleich mit Pilcher, aber mit einem normalen Krimi oder so. Selbst ein Serienkiller-Roman wäre nach diesem Buch die reine Erholung.

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