Mittlerweile finden seit einem halben Jahr (fast) keine regulären Konzerte mehr statt, aber im Hinblick auf Streaming-Angebote entwickeln sich immer wieder neue Ideen. Während viele Künstler am Anfang dieser Phase kostenlos oder gegen komplett freiwillige Bezahlung auftraten, mehren sich nun die Bezahlmodelle: Nick Cave gab letzten Monat ein einmaliges Stream-Konzert aus dem (leeren) Londoner Alexandra Palace, das zwar vorab aufgezeichnet war, aber in jede Weltregion - für Eintrittskartenbesitzer - genau einmal übertragen wurde. Dass selbiges exklusive, einmalige Konzert nun doch auch als Kinofilm und DVD erscheint, hinterlässt einen etwas seltsamen Geschmack, aber nun gut, der arme Mann muss eine ausgefallene Welttournee verkraften.
Auch Hot Chip haben - wie Nick Cave - die Plattform Dice genutzt, um ein exklusives Konzert in die Wohnzimmer der Welt zu übertragen. Stolze 17,50 Pfund mussten Interessenten auf den Tisch legen, dafür sieht es allerdings auch aus, als sei dieses Event (das zudem wirklich live war) tatsächlich einmalig gewesen.
Der Kartenkauf via Dice war dann eine recht komplizierte Sache mit viel Hin und Her zwischen einer Website und per Handy geschickten Codes, zu guter Letzt musste ich dann auch noch die Dice-App herunter laden, um tatsächlich an das Ticket zu kommen. Immerhin: Alles funktionierte, und obwohl Dice grundsätzlich darauf ausgelegt ist, dass man die gebuchten Konzerte auf dem Mobilgerät in der eigenen App ansieht, besteht dankenswerterweise zusätzlich auch die Möglichkeit, einen Laptop zu benutzen. Sonst wäre der Bildschirm doch arg klein gewesen.
Das Dreamland ist übrigens ein Freizeitpark im englischen Seebad Margate, der bereits seit 1880(!) besteht, aber zwischen seiner Schließung 2003 und seiner Wiedereröffnung 2015 dem Verfall preisgegeben wurde. Der Freizeitpark hat schon öfter als Veranstaltungsort für Musikevents gedient, etwa das Damon Dayz Festival der Gorillaz, dieses Jahr sind die Fahrgeschäfte Corona-bedingt komplett geschlossen, einige Live-Events sollen aber stattfinden. Vom Dreamland, dessen Fahrgeschäfte zu einem erheblichen Teil historisch sind, sollten wir leider beim Auftritt sehr wenig zu sehen bekommen.
Angesichts der Ankündigung war ich davon ausgegangen, dass das Konzert komplett ohne Livepublikum stattfinden würde, tatsächlich hörte man aber in den ersten Minuten des Streams, als die Bühne noch leer war, die typischen Konzertbesucherstimmen und auch zwischen den Songs immer wieder Jubel und Applaus: Einige hatten es also doch live in einen abgetrennten Bereich vor der Bühne geschafft, wo sie an Tischen saßen.
Hot Chip, eigentlich ein Quintett, waren an diesem Abend zu siebt, Alexis Taylor trug im ersten Drittel des Auftritts eine Art Imker-Outfit in rosa inklusive Hut. Vielleicht hat er ja während des Lockdowns die Bienenhaltung als neues Hobby entdeckt, oder aber Großbritannien leidet unter einer ebenso starken Wespenplage wie Deutschland und er wollte kein Risiko eingehen, gestochen zu werden?
Das Set begann mit "Huarache Lights" vom 2015 erschienenen Album "Why Make Sense?". Man hatte sich offensichtlich für ein Best of-Set entschieden, erst das fünfte Lied "Bath Full Of Ecstasy" stammte vom gleichnamigen 2019er-Album. immer wieder durfte neben Taylor auch Joe Goddard gesanglich unterstützen, "Hungry Child" sang er beispielsweise fast allein. Zu "Flutes" hatte die Band sich eine kleine Choreographie überlegt, und auch sonst nutzten die Bandmitglieder, die gerade nicht so viel zu tun hatten, ihre Zeit meist zum Umherspringen und Tanzen.
Auch die paar Livezuschauer tanzten offensichtlich, denn Goddard erwähnte vor "Positive", er könne sie dank Social Distancing besonders gut sehen und hoffe, dass die Streamer ebenfalls tanzten, vielleicht säßen sie aber auch in der Unterhose auf dem Sofa und äßen Kekse (auf uns traf keines von beidem zu).
Nach "Ready for the floor", bei dem dann auch wir die Silhouetten tanzender Gäste sehen konnten, waren wir schon ganz auf das Ende eingestellt, es folgte aber noch ein richtiger Zugabenteil mit zwei in ihre Stil äußerst gegensätzlichen Covern ("Candy says" von The Velvet Underground und "Sabotage" von den Beastie Boys) sowie "I feel better".
Ein Konzert, zu dem im Grunde getanzt werden müsste, zu streamen (oder es per Stream zu sehen) erscheint mir als besonders schwierig, denn hier ist die echte Liveatmosphäre eben schon sehr wichtig. Dennoch war das Konzert eine schöne Erinnerung daran, dass die glänzend aufgelegten Hot Chip diverse tolle Songs veröffentlicht haben.
Ein bisschen schade war, dass nicht nur der Freizeitpark recht wenig zu sehen war, auch sonst fehlte das Besondere - Jarv IS spielten in einer Höhle, Nick Cave im leeren Alexandra Palace, bei Hot Chip wirkte es aber, als sei eben ein reguläres Konzert fürs Fernsehen aufgezeichnet worden. Dagegen ist ja auch nichts zu sagen, nur mangelt es hier vielleicht noch ein bisschen an der Kreativität, angesichts der neuen Konzertlage ungewöhnlichere Wege einzuschlagen.
Setliste:
Huarache Lights
One Life Stand
Night and day
Don’t deny your heart
Bath full of ecstasy
Flutes
Hungry child
Boy from school
Spell
Positive
Over and over
Melody of love
Ready for the floor
Candy says (The Velvet Underground Cover)
Sabotage (Beastie Boys Cover)
I feel better
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