Gesehen: November 2021
Eine Premiere bei "Gesehen": Ich schreibe über einen Film, den ich gar nicht zu Ende gesehen habe.
Aktuell wird man bei Netflix mit Weihnachtsfilmen überflutet, und nachdem man dieses Jahr ja angesichts ansonsten trauriger Gesamtumstände wieder etwas nachhelfen muss bei der Weihnachsstimmung, haben mein Freund und ich uns durch die Liste gescrollt und das eine oder andere angesehen.
Darunter war auch das Werk Alles ist Liebe, das irgendwie schon vom Titel her ein bisschen klingt wie der englische Weihnachtsklassiker Love Actually. Es handelt sich auch nicht um eine der vielen weihnachtlichen Netflix-Eigenproduktionen, sondern um einen "richtigen" deutschen Kinofilm von 2014.
Dass die Anspielungen auf Love Actually kein Zufall sind (oder es wäre eben eine sehr schamlose Kopie) merkt man dann schon im Vorspann, denn während im Original Flughafenszenen gezeigt werden, in denen Menschen einander umarmen, und eine Voiceoverstimme dazu erzählt, die Anrufe aus dem abstürzenden 9/11-Flugzeug seien in überwiegender Mehrheit Liebererklärungen gewesen, sieht man bei Alles ist Liebe alte Familienfotos, während eine salbungsvolle Stimme etwas übers Erwachsenwerden erzählt, das keinen rechten Sinn ergibt (Spoiler: Das passt ganz gut zum Film).
Tatsächlich ist Alles ist Liebe ein von Love Actually inspiriertes Remake, übernimmt sein Drehbuch aber nicht von der britischen Version, sondern von einer niederländischen. In der Umsetzung heißt das, dass nur die Grundidee, quasi das Gerüst, vom Original übernommen wurde: Eine Gruppe von Menschen, die alle irgendwie miteinander bekannt sind, erlebt in der Vorweihnachtszeit diverse größere oder kleinere Probleme - ein Episodenfilm, in dem sich die einzelnen Geschichten überschneiden. Was genau passiert, ist aber völlig anders - und leider sehr doof.
Eigentlich war ich überrascht, zu erfahren, dass der Film keine Netflix-Produktion ist, denn diese haben insgesamt die Neigung, ihre Heimat etwas zu verschleiern, um die Inhalte auf der ganzen Welt attraktiv zu machen. So gehen beispielsweise die Schüler in Sex Education eben auf eine eher amerikanisch anmutende Schule und tragen auch nicht die in ihrer britischen Heimat üblichen Schuluniformen.
Liebe ist alles zeigt auch ein Deutschland, das schlicht nicht existiert: Der Film spielt in Frankfurt, wo alle Menschen rund um die Uhr die Berichterstattung eines Lokal-Fernsehsenders zu einem Weihnachsspektakel verfolgen. Dieses besteht darin, dass ein Weihnachtsmann (umgeben von außerhalb der USA völlig unüblichen Weihnachtswichteln) am einen Mainufer auf ein Schiff steigt und dann auf der anderen Seite - auf dem Weihnachtsmarkt - vor der jubelnden Menge wieder aussteigt.
Als selbiger Weihnachtsmann (beziehungsweise der ihn verkörpernde Burgschauspieler) plötzlich stirbt, ist der Erfolg dieser unglaublich wichtigen, vermutlich weltweit von Menschenmassen verfolgten TV-Produktion gefährdet, weshalb kurzerhand ein Obdachloser als Ersatz engagiert wird.
In einer der vielen Parallelhandlungen trifft die Kaufhausangestellte Kiki ihren Jugendfreund Jan wieder, der mittlerweile ein gefeierter Hollywood-Star ist und deshalb ständig in schlechtem Englisch mit seinem Manager telefonieren muss. Dann gibt es noch ein schwules Paar, das an Weihnachten heiraten möchte, eine frisch von ihrem Mann getrennte Mutter (man liebt sich aber eigentlich noch), einen liebenden Vater, der seiner Familie die Arbeitslosigkeit verheimlich (kommt natürlich heraus) und so weiter. Und ja, der Obdachlose kann natürlich auch in das Geflecht integriert werden, ist ja klar.
All das ist gar nicht einmal unaufwändig inszeniert, aber gleichzeitig unfassbar einfallslos und vorhersehbar. Und eigentlich schreibe ich diesen Verriss nur, weil der Film nach meiner Einschätzung in der Kritik viel zu gut weggekommen ist - immerhin die "Cinema" findet ihn formelhaft und unoriginell. Die deutsche Film- und Medienbewertung gab dagegen das Prädikat "wertvoll".
Ich kann mir jedenfalls nur vorstellen, dass Nora Tschirner, Tom Beck, Heike Makatsch, Wotan Wilke Möhring, Katharina Schüttler, Fahri Yardım, Christian Ulmen und Elmar Wepper ordentlich bereuen, bei diesem Mist mitgemacht zu haben. Klar, auch Love Actually ist unrealistisch und hat erzählerische Schwächen. Aber eben auch Figuren, mit denen man Mitgefühl haben kann und etliche sehr witzige Szenen. Wie Nora Tschirners Figur schon richtig sagt: "Wenn man einmal das Original gut fand, kommt eben nichts Besseres mehr nach."
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