Erst am Samstag hatten wir im Schlachthof das Konzert von The Notwist besucht, am Dienstag ging es gleich wieder hin: Zu Woodkid. Im Gegensatz zu The Notwist, die ich wirklich schon recht oft live gesehen hatte (siehe auch hier, mittlerweile mit zwei Konzerten mehr), ist mein einziger Live-Besuch bei Woodkid ein paar Jahre her, er fand 2013 statt. Damals war ich, obwohl großer Fan des Albums "The Golden Age", nicht restlos begeistert, kann das beim (Wieder-)Lesen des Berichts von damals aber schlecht benennen. War nun das Konzert doof oder ich einfach komisch gelaunt?
Der Schlachthof war an diesem Abend, verglichen mit unserem Besuch ein paar Tage zuvor, deutlich voller, dabei war auch das Woodkid-Konzert - es war Pandemie-bedingt zweimal verschoben worden - nicht ausverkauft gewesen. Unsere eigenen Tickets hatten wir zu immerhin leicht reduzierten Preisen auf eBay Kleinanzeigen erworben.
Als wir die Halle nach längerer Parkplatzsuche erreichten, gab es keine Chance mehr, so weit nach vorne zu kommen wie am Samstag, und dafür die Gelegenheit, Situationen wiederzuentdecken, die man in den letzten beiden konzertarmen Jahren so gar nicht vermisst hatte. Da wären die Drängler, die auch eine zentimeterbreite Lücke nutzen, um sich schnell und endgültig vor einem aufzubauen. Die Personen, die nach Schweiß riechen und diejenigen, die eventuelle Gerüche mit einer Extraportion After Shave bekämpft haben. Und dann später: die Mitklatscher, die Mitsinger und natürlich auch die "Wuhu!"-Schreier. Ja, es war nicht alles schlecht, als wir alle ständig daheim auf dem Sofa saßen.
Woodkid, dessen Bühne übrigens genauso weit vorgezogen war wie die von The Notwist, hatte einen Support Act, den ebenfalls französischen Musiker Awir Léon. Er trat allein mit Synthesizer auf und erzählte, es gäbe zwar musikalische Veröffentlichungen von ihm, die Musik des Abends sei aber fast ausnahmslos neu und noch nicht erhältlich - bis auf den extra angekündigten Song "Atlantis".
Mehr als die Musik von Awir Léon beeindruckte uns seine für einen Support Act ungewöhnliche Präsenz und die Selbstverständlichkeit, mit der er über seine Musik erzählte und auch einmal ganz allein auf der Bühne zur eigenen Musik tanzte. Das Publikum reagierte auf den Musiker geradezu euphorisch, was sicher zum Teil an seiner Souveränität lag. Erst später verstand ich zudem, dass Léon auch ein wichtiger Teil von Woodkids Liveband ist.
Nach Ende des Support Acts wurde im Hintergrund der Bühne eine riesige LED-Leinwand enthüllt, die noch dazu über eine per Treppe erreichbare Zwischenebene verfügte - nachdem die Liveband, die drei Streicherinnen, zwei Bläser, einen Schlagzeuger, einen Keyboarder und einen Percussionist umfasste, eingelaufen war und das Intro beendet war, sahen wir Woodkid selbst auch in perfekt dramatischer Inszenierung zum ersten Mal auf dieser Zwischenebene. Er trug - genau wie seine Bandmitglieder - Overall. Allerdings stammt seiner, wie er uns später erzählte, aus dem Hause Louis Vuitton. Die Kleidung spiegelte im Übrigen das elaborierte Designkonzept (inklusive einer kompletten imaginären Firma) wieder, das der Künstler im Zusammenhang mit der Veröffentlichung seines zweiten Albums S16 vorgestellt hatte.
Es zeigte sich schnell, dass die Woodkid-Fangemeinde offenbar sehr engagiert ist - der Künstler meinte, er habe einige Personen im Publikum bereits erkannt, also gibt es vermutlich mitreisende Fans. Diesen widmete er auch den Song "I Love You".
Die Songs wurden jeweils von opulenten Videos begleitet, wir sahen Yoann Lemoine im Zentrum eines Wirbelsturms und inmitten einer Feuersbrunst, in bizarren Landschaften unter dem Nachthimmel oder vor riesigen Planeten - sowie auch, im Video zu "Pale Yellow", vor seinem eigenen, riesigen Kopf, der zur Hälfte aus Drähten und Kabeln bestand.
Darüber hinaus versorgte uns der Künstler zwischen den Songs immer wieder mit Informationen. Wir erfuhren, dass "In Your Likeness" sein eigener Versuch sei, über Selbstliebe als Voraussetzung für Liebe zu anderen zu schreiben. Und - zu "The Golden Age", der Titelsingle seines ersten Albums, dass er der Musik eine Weile lang müde gewesen sei und auch nicht damit umgehen konnte, dass die Zuhörer alles falsch interpretierten - mittlerweile denkt er aber, dass es einen Punkt gibt, an dem einem die eigenen Werke nicht mehr allein gehören, und insofern sei es auch in Ordnung, wenn alle sie nach ihrem eigenen Geschmack wahrnehmen und verstehen.
Woodkid stammt bekanntermaßen aus der Werbung - was mir nicht bewusst war, ist, dass er bis heute die Musik für Louis Vuitton-Modeschauen komponiert und dank dieser Beziehung zum Chefdesigner Nicolas Ghesquière eben auch an seinen schicken Overall gekommen ist - der nach eigenem Bekunden allerdings recht eng sitzt. Aus den für das Designerlabel komponierten Songs hörten wir "On Then and Now".
"Minus Sixty One" wurde vom Künstler als sein bislang politischster Song angekündigt - es geht um den Klimawandel. Mir fiel allerdings auch durchaus auf, dass das Thema Ukrainekrieg den ganzen Abend lang nicht erwähnt wurde.
Anschließend war der offizielle Teil des Abends beendet, aber zum einen jubelte das Publikum schon von allein sehr eifrig, zum anderen nahmen die beiden Schlagzeuger die Dinge in die Hand und dirigierten einen besonders lauten Jubel, der uns dann für die beiden Zugaben "Goliath" und eine extralange Version von "Run Boy Run" qualifizierte. Letzteres wurde der LGBTI-Community gewidmet - und mir wurde zum ersten Mal bewusst, dass Woodkids bekanntestes Lied möglicherweise inhaltlich mit Bronki Beats "Smalltown Boy" verwandt ist. Der Song endete zu vielstimmigem Gesang der "Ohohos" durch das Publikum, den Woodkid begeistert dirigierte und immer wieder anfeuerte.
Im Anschluss lief übrigens ein echter Abspann über die LED-Leinwand, der alle auf und hinter der Bühne Beteiligten - inklusive Nicolas Ghesquière namentlich erwähnte. Dann war endgültig Schluss.
Und leider ist mein Urteil zu dem Konzertabend wieder nicht eindeutig: Die Musik war größtenteils prima (ich verspürte einige Längen nach "The Golden Age", aber das ist ja nun wirklich Geschmackssache), die LED-Visualisierung phantastisch und der Künstler überaus freundlich... und dennoch war mir alles einen Hauch zu glatt. Der Inszenierungsgrad von Woodkid-Konzerten ist angesichts der Tatsache, dass sie in Hallen wie dem Schlachthof und nicht beispielsweise der Frankfurter Festhalle stattfinden, dann doch erheblich, und daran muss man sich wohl erst gewöhnen, wenn man sich sonst in sich gekehrte Musiknerds wie The Notwist ansieht. Aber es gibt sicher für beides einen Platz.
Setliste:
Iron
Enemy
Pale Yellow
Reactor
Brooklyn
I Love You
Horizons Into Battlegrounds
So Handsome Hello
In Your Likeness
Highway 27
The Golden Age
On Then and Now
Conquest of Spaces
Minus Sixty One
Goliath
Run Boy Run
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