Quasi um die Ecke: Das Heimspiel Knyphausen in Eltville

by - August 04, 2024


Als wir am letzten Sonntag bereits ins Auto gestiegen waren, um den Abschlusstag des diesjährigen Heimspiel Knyphausen-Festivals zu besuchen, rannte ich noch einmal schnell zurück ins Haus. Es sollte an dem Tag zwar 24 Grad warm werden, aber bis jetzt war der Himmel grau und das Wetter für T-Shirts etwas kühl - ich holte uns noch Jacken für alle Fälle. Dem Rat eines Freundes, der bereits die ersten beiden Tage besucht hatte, folgend, hatten wir auch Regenjacken dabei.



Was ich stattdessen hätte holen sollen: Sonnencreme, eine Picknickdecke, eine Kopfbedeckung und matschtaugliche Schuhe! Der Tag wurde nämlich schnell ordentlich heiß und sonnig, die anderen Festivalbesucher saßen quasi alle auf ihren mitgebrachten Decken und der Boden war durch den anhaltenden Regen am Vortag so aufgeweicht, dass es trotz der Wärme überall, wo keine Decke lag, schnell matschig wurde.

Aber es ist ja auch erstaunlich, dass wir das Heimspiel, das im Gegensatz zu Festivals in Norddeutschland, Belgien oder Stockholm nur 50 Autominuten von uns entfernt stattfindet - und das seit 2009 - noch nie zuvor besucht hatten. Da macht man eben Anfängerfehler.



Ort des Geschehens ist ein Weingut nahe Wiesbaden. Gisbert zu Knyphausen ist selbst als Singer/Songwriter recht bekannt, seine Familie betreibt bereits seit dem 19. Jahrhundert ein Weingut - als Schnittmenge ergab sich ein Wein-lastiges Musikfestival, das der Musiker mit anderen Familienmitgliedern organisiert.

Ein Grund für unsere bisherige Ignoranz ist bestimmt der große Erfolg der Veranstaltung. Dieser führt dazu, dass sie immer lange im Vorfeld ausverkauft ist, noch bevor überhaupt auftretende Musiker bekannt gegeben werden. Man braucht beim Ticketkauf also das Vertrauen, dass einem die Auswahl der Veranstalter gefallen wird - oder geht leer aus.



Auch dieses Jahr war das Heimspiel wieder ausverkauft gewesen, und da wir auch erst am Freitag aus dem Urlaub zurückgekehrt waren, brauchten wir ohnehin nur ein "Tagesticket"op90i - bei Kleinanzeigen wurden wir fündig. Und so trafen wir am Sonntagmittag ein, womit wir nicht nur die ersten zwei Tage des Festivals, sondern auch ein Spin-off verpasst hatten: Am Samstagmittag hätte man zusätzlich von Eltville aus den "Heimspiel Liner" besteigen können und wäre zur Musik von Goodwin (Sänger von The Slow Show) über den Rhein geschippert worden.

Ähnlich wie beim von mir sehr geschätzen A Summer's Tale in der Lüneburger Heide gibt es beim Heimspiel auch ein nicht-musikalisches Rahmenprogramm mit Weinproben, Yoga und verschiedenen Programmpunkten für Kinder (fast alles davon muss man allerdings im Voraus separat buchen).




Wie auf der Festival-Website empfohlen hatten wir sehr bequem direkt gegenüber vom Gelände beim Toom Baumarkt geparkt - den dort aufgestellten großen Schildern zufolge war das dessen Belegschaft aber wohl gar nicht mal so recht. Auf dem Weg zum Einlass (schon hier fiel auf, das alle außer uns Decken dabei zu haben schienen) passierten wir die "Ahnengalerie" mit Fotos von Künstlern, die in vergangenen Jahren aufgetreten sind - mit bekannten Gesichtern wie Konstantin Gropper oder Enno Bunger.

Gegen das Vorzeigen unseres Tickets  - der Einlass funktionierte sehr entspannt und zügig - bekamen wir kein Bändchen, dafür aber je eine Plastikmarke, die wir direkt am nächsten Stand in Weingläser umtauschen durften. Das ist nämlich eine der Besonderheiten des Heimspiels: Alle Besucher bekommen an jedem Veranstaltungstag ein Weinglas, auf das die musikalischen Gäste des Tages gedruckt sind. Da, wie man es bei einem Weingut erwarten würde, an den Getränkeständen natürlich reichlich und diverse Sorten Wein angeboten werden (und übrigens gar kein Bier) kann man das Glas gleich dafür benutzen, sich damit einzudecken. Oder man nimmt es unbenutzt mit nach Hause und hat in jedem Fall ein Andenken. Einen speziellen, exklusiv beim Festival erhältlichen Flaschenwein kann man sich für Zuhause noch dazu kaufen.



Wir unternahmen einen kleinen Rundgang über das Gelände: Rund um die Bühne gab es diverse Essensstände (offenbar alle vom selben, recht hochpreisigen Caterer), aber mit unterschiedlichem Speiseangebot, viele vom Weingut selbst bewirtschaftete Getränkestände und einen Eiswagen, außerdem neben der großen Wiese vor der Bühne noch eine seitliche mit einigen Tischen für diejenigen, die hauptsächlich zum Wein trinken gekommen waren. Auffällig war, dass es keinerlei Sponsoring zu geben schien. Direkt angrenzend an die Wiesen standen Weinreben, einige Bierbänke waren in die Lücken der Pflanzenreihen gestellt worden - hier konnte man quasi von Trauben umgeben Wein genießen. Im Hintergrund konnte man ein beeindruckendes Herrenhaus sehen, den Draiser Hof. Viele Kinder liefen herum, auch sehr kleine.



Bald war es Zeit für die erste von drei Bands, Willow Parlo - ein Quartett aus Hamburg. Mittlerweile war es richtig warm geworden, was man wohl auch auf der Bühne merken konnte - die heißen Instrumente mussten immer wieder nachgestimmt werden, und beim Anfassen metallischer Gegenstände konnte man sich wohl auch ein wenig verbrennen. 



Die Band präsentierte melodische und tendenziell eher ruhige Lieder aus den letzten 2 bis 3 Jahren, ein Album gibt es noch nicht - und offenbar auch kaum Merch, denn man gab zu, nahezu ausverkauft zu sein. Am Merchstand konnte man sich bei Interesse immerhin einen Sticker abholen.

Auf einen eigenen Song, bei dem wir zum Mitsingen aufgefordert wurden - "Spinning" - folgte ein Cover von "I Love You Always Forever" von Donna Lewis, bei dem man ebenfalls zumindest mitsingen durfte. Zum noch unveröffentlichten Song "All About It" meinte die Sängerin, er sei ein "Biest", mit dessen Aufnahme man noch kämpfen würde - im Studio sei es bislang schief gegangen.



Ein angenehmer Konzertauftakt des Tages um 12.15 Uhr.

Setliste:

Bonsai Universe
Godless
Can't Get Enough 
Silver Screens 
Spinning
I Love You Always Forever 
All About It
All I Want
My Father's Eyes



Anschließend drehten wir eine weitere Runde übers Gelände, besorgten uns Wasser und saßen ein wenig im Schatten, als bereits die ersten Keyboardklänge von Enno Bunger seitens der Bühne zu hören waren. Enno war zu unserer Überraschung ohne Band anwesend (nicht einmal der Plüschhund vom letzten Auftritt war mitgekommen) und machte erst einmal Soundcheck. Er erklärte, da so viele Kinder anwesend seien, werde er ein passendes Lied wählen und sang "Stachelschwein", seinen Beitrag zum Kinderlied-Sampler "Unter meinem Bett". Er erklärte dazu, er sei wie ein Politiker, man müsse die Leute gleich mitnehmen, und dementsprechend seien ihm Kinder schon immer besonders wichtig gewesen.




Mit dem angespielten Song war der Soundcheck auch erledigt, Enno kündigte an, er werde "den Chef" fragen, ob er früher anfangen könne. Dieser war offenbar nicht einverstanden, ein bisschen mussten wir also noch warten. Als Enno dann wieder die Bühne betrat, stellte er amüsiert fest, er habe noch nie so viele Sonnenbrillen im Publikum gesehen, er fühle sich wie in "Matrix" oder bei den Blues Brothers. Außerdem habe man ihn für den falschen Tag gebucht, da seine Musik viel besser ins Regenwetter des Vortags gepasst hätte.

Enno berichtete, in einer Rezension eines seiner Konzerte habe kürzlich gestanden, er sei "so brav, dass es weh tut" - als Reaktion darauf habe er sich nach dem Frühstück im Hotel ganz rebellisch bereits angezogen nochmals ins Bett gelegt, quasi als "Gangster Nap". Kalauern kann er also noch.



Die Setliste dieser Solotour entpuppte sich als deutlich anders als die, die wir zuletzt von ihm mit Band gehört hatten. Den Auftakt bildete "Kalifornien", nach dem Trennungssong "Regen" erklärte der Sänger wie gewohnt flapsig, seine Solotour stünde unter dem Motto "Bis eine/r weint" - extra gegendert, um Markus Söder zu ärgern. Auf einen Zwischenruf aus dem Publikum, es seien bereits Tränen geflossen, spielte er zum Glück dennoch weiter, machte aber ernst und legte gleich sein besonders trauriges Lied "Konfetti" nach.

Anschließend durften wir abstimmen, ob wir lieber ein Lied über Depressionen oder den Klimawandel hören wollten, das jeweils andere würde er uns "ersparen", das wurde wohl selbst für Enno zu traurig. Das Publikum entschied sich für den Klimawandel und hörte entsprechend "Grasgelb". 

Damit war der extrem deprimierende Teil des Sets auch beendet, zumal "Wo bleiben die Beschwerden", von dem der Künstler einst gesagt hatte, er nehme es auf jede Setliste, im Soloprogramm offenbar nicht gespielt wird (es ist auch eher ein Wut- als ein Trauersong). Aber "Weltuntergang" und "Niemand wird dich retten" sind für Enno Bunger-Verhältnisse ja geradezu Partysongs - wenn auch nicht von ihren Titeln her.



Zu "Ich möchte noch bleiben, die Nacht ist noch jung" erklärte Enno, das Lied sei ein Prequel zum davor gespielten "Neonlicht" und überlegte laut, weitere Prequel-Lieder zu schreiben, etwa für "Regen" ein Partnerlied "Wolke".  Zum Freundschaftssong "Ponyhof" hörten wir die uns als alten Konzerthasen bereits bekannte Geschichte um Ennos Freund Nils und darüber, dass der Song ursprünglich ein Geschenk an ihn war.

Vor dem letzen Lied "Hamburg" bekamen wir noch die nachdrückliche Aufforderung, Merchandise zu kaufen, etwa besondere Platten aus recycletem Vinyl oder Käppis mit Ennos Hund und dem Spruch "Bello Ciao" als niedliche Antifaschismusbotschaft. Er ging sogar so weit zu behaupten, er sei in erster Linie gar nicht wegen seiner Musik gebucht worden, sondern, weil er so tolle Waren habe. 

Ich kam den Kaufaufforderungen zwar nicht nach (und mein Freund hatte den Tipp Ennos ans Publikum, sein Geld in Vinyl anzulegen, bereits sehr gewissenhaft umgesetzt), freute mich aber, das dieses Set so anders geworden war als das zuletzt gesehene in Mannheim.



Setliste:

Kalifornien
One Life Stand
Regen
Konfetti
Grasgelb
Weltuntergang (Alles hört auf)
Niemand wird dich retten
Neonlicht
Ich möchte noch bleiben, die Nacht ist noch jung 
Ponyhof
Hamburg



Mittlerweile war es Nachmittag geworden und damit Zeit für den Hauptact Emilíana Torrini. Davor betraten aber diverse Mitglieder der Veranstalterfamilie Knyphausen die Bühne, neben Gisbert noch seine zwei Brüder (vermute ich zumindest) und zwei kleine Kinder. Auffällig war, das Gisbert als einziger der Erwachsenen nichts sagte - ich vermute, dass die Organisatoren so erreichen möchten, dass man das Heimspiel nicht allein mit dem Musiker verbindet, denn es ist ja ganz offensichtlich ein Gruppenprojekt.

Wir erfuhren nach diversen Danksagungen, dass der Buchungsprozess für das nächste Heimspiel bereits angelaufen sei und man seit dem 1. August auch schon Tickets kaufen kann. Das Booking von Emilíana Torrini hatte wohl auch nicht gleich beim ersten Mal geklappt, um so glücklicher sei man, dass sie nun hier sei.



Wir hatten die isländisch-italienische Sängerin ja bereits zweimal in Frankfurt live gesehen und waren deshalb bestens darüber informiert, dass diese in ihrer Jugend viele Sommer bei Onkel Toni und Tante Elke in Mörfelden Walldorf verbracht hat - und deshalb auch ziemlich gut Deutsch spricht. Gespannt warteten wir, ob sie wieder, wie zuletzt im Zoom, erwähnen würde, dass Familienmitglieder anwesend seien - das tat sie aber dieses Mal nicht.

Ich hatte die Sängerin bislang zweimal bei Konzerten gesehen, beide Male mit den Belgiern von The Colorist, und hatte irgendwie damit gerechnet, dass es dieses Mal wieder so sein würde. Hätte ich aufmerksam bei Platten vor Gericht mitgelesen, wäre mir natürlich klar gewesen, dass es mittlerweile schon wieder ein neueres Album gibt, "Miss Flower" - ohne Mitwirkung von The Colorist.



Um diese brandneue Veröffentlichung ging es bei dem Auftritt, den die Sängerin in einem sehr rüschigen Kleid und auf beeindruckend hohen Absätzen absolvierte, natürlich hauptsächlich, und da es sich um ein Konzeptalbum handelt, gab es einiges zu erklären: "Miss Flower" ist nämlich die verstorbene Mutter einer Freundin von Torrini, die diverse Tagebücher und Briefe hinterließ, aus denen sich ein aufregendes Leben zusammensetzen ließ. So erhielt die Mutter zu Lebzeiten ganze neun Heiratsanträge, ohne einen davon anzunehmen, und war wohl auch in Spionage verwickelt.




Beim Erklären der Songs fing Torrini häufig auf Deutsch an, um, wenn es komplizierter wurde, dann doch ins Englische zu wechseln - beim ersten Mal, als sie vergeblich nach einem deutschen Begriff suchte, mit dem Kommentar "I speak too many languages!"

"Easy" kündigte sie als uraltes Lied von ihrem ersten Album an und stellte fest, dass ihr back catalogue mittlerweile so umfangreich sei, dass sich eine Konzert-Zusammenstellung von Liedern für sie wie eine Playliste anfühle. 



Zu den Songs des neuen Albums bekamen wir weitere Hintergrundinformationen, etwa zu "Waterhole" die Geschichte mit den neun Anträgen und zu "Miss Flower", dass es von dem Brief eines der Liebhaber inspiriert wurde, der darin schrieb, dass er immer an sie denke, auch beim Rasenmähen. Später im Set hörten wir noch "Let's Keep Dancing", das sogar ein Musiksample aus dem Nachlass enthält: Den Ausschnitt aus einem Lied eines Exfreundes namens Harold (der kontaktiert wurde und dem Projekt glücklicherweise seinen Segen gab).

Zwischendurch wurden immer wieder auch ältere Songs gespielt, jedoch blieb der Hauptteil im Ganzen recht ruhig. Erst mit und nach dem unvermeidlichen "Jungle Drum" (Torrini erwähnte wie beim letzten Mal, dass sie ihr bekanntestes Lied nie gerne spielen möchte, beim Singen dann aber doch jedes Mal genießt) nahm der Auftritt Tempo auf. 



Statt der einen auf der Setliste vermerkten Zugabe bekamen wir im Anschluss sogar zwei ("Serenade (The Dawn)" wurde hinzugefügt), dann war Schluss. Wie schon beim letzten besuchten Auftritt im Zoom stellte ich für mich fest, dass ich die Sängerin hochsympathisch finde, und wenn sie die Geschichten hinter ihrem kreativen Prozess beschreibt, finde ich das sehr spannend. Nur die Musik an sich nimmt mich in vielen Fällen dann nicht ganz so mit wie das Drumherum.


Setliste:

Nothing Brings Me Down
Easy
Tookah
Animal Games
Waterhole
Miss Flower
Ha Ha
Dreamers
Sunny Road
Birds
Big Jump
Lady K
Black Lion Lane
Jungle Drum 
Me and Armini 
Let's Keep Dancing

Serenade (The Dawn)
Today has been OK



Zu unserer Überraschung schienen viele Besucher - wie wir - direkt zum Parkplatz zu strömen, denn eigentlich sprach ja nichts dagegen, Sonne und Wein noch ein bisschen länger zu genießen, es war ja auch immer noch Nachmittag. Was uns betrifft, denke ich nicht, dass unser erster Besuch beim Heimspiel auch unser letzter war, zumal wir beim nächsten Mal sicherlich viel besser vorbereitet sein werden. Die Veranstaltung und der Ort sind in ihrem Ambiente einzigartig. Enno Bunger hatte auf der Bühne zum Festival gemeint, wenn er ein Weingut hätte, würde er es ganz genauso machen - dem kann man sich nur anschließen.

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