Lange nicht gesehen! Dieser Gedanke bezog sich am Sonntagabend bei mir sowohl auf Enno Bunger (zuletzt 2019 im Kölner Gloria) als auch die Alte Feuerwache (zuletzt 2010 für ein Ian Brown-Konzert besucht). Es ist also wohl verzeihlich, dass wir uns weder noch genau erinnern konnten, wo diese Alte Feuerwache nochmal genau ist, noch, wie es darin aussieht. Die Antwort: ein einziger recht großer Raum, eine Hälfte mit der Bühne, abgetrennt (zumindest an diesem Abend) durch einen Vorhang von der anderen mit Bar. Daran, wie Enno Bunger aussieht, konnten wir uns immerhin noch gut erinnern, immerhin hatten wir ihn vor der Pandemie einige Male live gesehen - und 2014 hat er sogar in unserem Wohnzimmer gespielt.
Wir überlegten während der Wartezeit, ob wohl auch wieder uns altbekannte Mitglieder seiner Band dabei sein würden, also Nils Dietrich oder Onno Dreier. Das Erscheinen des neuen Albums "Der beste Verlierer" hatten wir natürlich ebenfalls mitbekommen - im Falle meines Freundes hatte es große Begeisterung ausgelöst. Ich dagegen muss gestehen, dass ich nach den Ankündigungen der einzelnen Songs auf Instagram zunächst keinen Drang hatte, die neuen Lieder zu hören. Das letzte Album "Was berührt, das bleibt" hatte sich bekanntlich um diverse Schicksalsschläge, insbesondere den Tod der Frau von Nils gedreht. Bei Ankündigungen von Liedern wie "Weltuntergang" und "Ich sehe was, was du nicht siehst" (in letzterem geht es um Depressionen) dachte ich, die ja eigentlich nicht grundsätzlich nur Positives hören möchte, zunächst "angesichts der Weltlage muss ich mir so was nicht auch noch anhören". Wobei es natürlich auch genau dieselbe Weltlage ist, die reichlich Grundlage für traurige Lieder bietet.
Zu meinem und sicherlich noch mehr seinem Trost hat Enno aber seinen sehr niedlichen Pudel Emma als Cover-Modell ausgewählt. Die Hundedame ist bei den Konzerten natürlich nicht dabei, wird aber durch ein Stofftier vertreten, das an einem kleinen eigenen Klavier inklusive sich drehender Discohalbkugel sitzt. Sie ziert zusätzlich auch den kompletten Merchandise. Und auch das Album entpuppte sich, als ich es dann endlich anhörte, als weniger düster als befürchtet.
Enno hatte, als er in weiß und beige gekleidet die Bühne betrat, eine dreiköpfige Band dabei, nur Nils Dietrich war uns von früheren Auftritten bekannt. Der Gitarrist und die Bassistin wurden uns als Felix und Hanna vorgestellt. Wir hörten zunächst "Weltuntergang" und "Einfache Leute" - zu letzterem zückte Enno eine E-Gitarre und meinte, dass er gerade begonnen hätte, dieses Instrument zu spielen. Angesichts des Auftrittsortes Mannheim erwähnte er scherzhaft, dass er sich 2006 erfolglos bei der Popakademie beworben hätte, es aber vielleicht nun mit dem neuen Instrument klappen werde. Wir erfuhren außerdem, dass die Tour mit dem Ende des heutigen Auftritts "Bergfest" feierte, also halb vorbei war - in der Mitte des Konzertes, gegen 21 Uhr 7, werde es so weit sein.
Nachdem die Songs bis hierher eher schneller gewesen waren, versicherte der Sänger zusätzlich, dass der Teil für die, die wegen der Klavierballaden gekommen seien, später im Set kommen würde. Zunächst bekamen wir aber zu "Renn!" ein wahres visuelles Highlight präsentiert: Wir fragten uns während des Songs, bei dem Enno vorne am Keyboard stand, wieso er denn diese komischen Handschuhe anhatte, und am Ende zeigte sich, dass er aus diesen Laserstrahlen leuchten ließ. In wahrer Kalauermanie meinte er nach Ende des Songs, es gebe für die Teile zahlreiche Einsatzmöglichkeiten auch als Fahrradfahrer oder im Schlafzimmer. Wer am Erwerb solcher Handschuhe interessiert sei, könne ihm einen "Laserbrief" schicken.
Vor "Grasgelb" gab es aber erst ein technisches Problem, das Lichtpult hatte seinen Geist aufgegeben, weshalb die Bühne zunächst im Dunkeln lag. Die Band trug das Lied aber einfach dennoch vor, und tatsächlich war bereits vor Ende des neuen Songs, in dem es um Umweltverschmutzung geht, die Beleuchtung wieder hergestellt.
Kurze Zeit später folgte "Wo bleiben die Beschwerden", zu dem Enno erklärte, er habe das Lied über Rassismus bereits vor zehn Jahren geschrieben, die Situation sei aber eher schlimmer als besser geworden. Heute trug er es solo vor und flocht einige Takte von "Bella Ciao" mit ein. Setlisten vorheriger Konzerte hatten uns mit einem weiteren Solo-Song rechnen lassen, aber es blieb bei diesem.
Nun ging es weiter mit den besonders traurigen Liedern. Vor "Ich sehe was, was du nicht siehst" ließ er sich nach einer Frage, ob Ostfriesen anwesend seien (nebst der Reaktion einer Besucherin, die aus seinem Nachbarort stammte), zu einem Exkurs zur Meier-Werft (die anscheinend der größte Arbeitgeber der Gegend ist) verleiten, wollte aber letztlich darauf hinaus, dass es nicht Teil der wortkargen norddeutschen Mentalität ist, über Gefühle zu sprechen - weshalb er seine eigenen Depressionen auch lange Zeit nicht wahrhaben wollte.
Bei "Konfetti", dem Lied, das Enno für die Hochzeit seines Freundes Nils geschrieben hatte (wir erfuhren zudem, dass dieser als Lehrer für die aktuelle Tour seine Schulferien opferte), brach dann eine Frau hinter uns in Tränen aus und bedankte sich nach dem Song laut Richtung Bühne. Felix hatte für das Lied zum Cello gegriffen.
Anschließend hörten wir drei Lieder vom Trennungsalbum "Wir sind vorbei", mit dem ich Enno Bungers Musik einst kennen gelernt hatte. Zu "Blockaden" erfuhren wir, dass der Song einst von iTunes als Song der Woche gekürt worden war, es aber Online-Kommentare zu dessen ungewöhnlichem Rhythmus im 5-Viertel-Takt gegeben habe - die Nils mit einem genervten "Zähl einfach bis 5, Idiot!" quittiert habe. Außerdem erfuhren wir ein weiteres Mal, der eigentlich geplante Albumtitel sei "Enno Sunshine when she's gone" gewesen.
Der Schlussteil des Sets wurde von einem aus irgendeinem Grund für diese Tour zweigeteilten "Hamburg" umrahmt, dazwischen hörten wir als ältesten Song des Sets "Pass auf dich auf" und das neue "Bunker".
Eine Zugabe war aber glücklicherweise fest eingeplant, und so bekamen wir noch "Ponyhof", "Neonlicht" und "Ich möchte noch bleiben" zu hören. Irgendwann im Zugabenteil brach das kleine Klavier des Stoffhundes, das ohnehin schon recht zerbrechlich gewirkt hatte, zusammen. Das Tier durfte dafür das Finale auf dem Keyboard verbringen.
Entlassen wurden wir mit der Ermahnung, weiterhin Künstler zu unterstützen, indem wir Konzerte besuchen, und zum Beispiel auch zum ortsansässigen Maifeld-Derby zu gehen. Während des Konzertes hatte Enno erwähnt, am Vorabend in Zürich sei ein Formel 1-Weltmeister im Publikum gewesen, sei aber vor dem Ende des Zugabenteils gegangen. Das würde ich bei einem so schönen Konzert natürlich nie in Betracht ziehen.
Setliste:
Einfache Leute
Roter Faden
Renn!
Grasgelb
Heute nicht
Bucketlist
Wo bleiben die Beschwerden? (solo)
Ich sehe was, was du nicht siehs
Konfetti
Regen
Abspann
Blockaden
Hamburg I + Nie zu spät
Pass auf dich auf
Bunker
Häuserzeilen + Hamburg II
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