Neulich unter Feen: Paris Paloma in der Kölner Kantine

by - September 14, 2024


Manchmal bin ich nach Konzerten etwas ratlos, was ich dazu schreiben soll - am schwierigsten ist es, wenn ich Künstler oder Band schon mehrmals gesehen habe und beim besuchten Konzert noch dazu nicht viel gesagt wurde. Beim Paris Paloma-Konzert in Köln am letzten Mittwoch besteht dieses Problem nicht - ich weiß nur gar nicht, wo ich anfangen soll!

Also starte ich damit, dass mein Freund mir schon vor Wochen erzählte, er habe uns Gästelistenplätze für das Konzert sichern können, es handele sich um eine junge, englische Singer / Songwriterin, die gerade ihr erstes Album veröffentlicht habe. Wenig später erwähnte er überrascht, die gesamte Tour sei mittlerweile ausverkauft.



Wenige Abende vor dem Konzert zeigte er mir dann einen Facebook-Post der Künstlerin (bei Instagram gibt es ihn auch). Darin unterbreitete sie verschiedene Vorschläge, wie man sich optimal auf den Konzertbesuch vorbereiten könne: Man solle kleine Briefchen mit Grußbotschaften an andere Konzertbesucherinnen vorbereiten und beim Event austauschen. Außerdem gebe es am Merchandise-Stand eine Tauschbibliothek, zu der man Bücher mitbringen und sich dann ein anderes aussuchen solle. Und zuletzt lud sie dazu ein, sich besonders zu kleiden und zeigte Beispiele für Outfits im Feen-Look, die sich an der Künstlerin selbst und ihren Videos orientierten: Zu sehen waren wallende Kleider, Korsagen und Blumenkränze, speziell wurde auch dazu angeregt, sich rote Bänder ins Haar zu flechten, als Anspielung auf das Video zum Song "Drywall", das auch die Textzeile "Rippin' into ribbons, the things he knows he isn't" enthält.

Nun hat erst vor wenigen Wochen Taylor Swift in Europa Konzerte gegeben, und auch als Nicht-Swiftie habe ich mitbekommen, dass diese Konzerte von den meist weiblichen Fans ganz besonders zelebriert werden - mit Freundschaftsarmbändchen, die man einander schenkt, und speziellen Ritualen zu bestimmten Songs. Ich weiß natürlich nicht, ob die Inspiration für Paris Paloma hierher stammt, oder ob es jetzt einen allgemeinen Trend gibt, der Konzertbesucherinnen dazu motiviert, sich als Gemeinschaft zu feiern. Auf jeden Fall war ich nun sehr gespannt auf den bevorstehenden Abend.



Die Kantine in Köln liegt recht abgelegen zwischen Longerich und Chorweiler, so dass man bei allen Personen, die sich zwischen unserem Parkplatz und der Halle bewegten, davon ausgehen konnte, dass sie dasselbe Ziel hatten wie wir. Tatsächlich war der Frauenanteil der Grüppchen um uns herum so hoch, dass ich schnell damit begann, meinen Freund auf die doch sehr vereinzelt vorhandenen Männer hinzuweisen - er würde also nicht ganz der einzige sein! Alterstechnisch trieben wir beide den Durchschnitt ordentlich nach oben, die meisten Anwesenden hätten locker unsere Kinder sein können - und einer der etwa drei von uns entdeckten grauhaarigen Herren entpuppte sich prompt als Begleitung seiner Tochter und ihrer Freundin im Schulalter. Mein Freund musste sich als Lehrer immer wieder selbst daran erinnern, dass er nicht als Aufsichtsperson bei einer Schülerveranstaltung engagiert worden war.

In der Halle angekommen, setzte sich dieser Eindruck fort - der Frauenanteil unter den Konzertgästen lag bei um die 90 Prozent, und die Mehrheit hatte sich tatsächlich an die Vorschläge der Künstlerin gehalten und trug Kleider, Haarkränze, Glitter im Gesicht und natürlich rote Bänder. Ich selbst hatte mich an die Vorgaben nur in einem Punkt gehalten und ein Buch mitgebracht, das ich doppelt besaß. Allerdings war der Bücherbereich am Merchandise-Stand bei unserem Eintreffen schon stark umlagert, so dass ich nicht dazu kam, mir ein neues Buch auszusuchen. Überhaupt, der Merchandise-Stand: Durch gut zwei Drittel der Halle zog sich eine Schlange, deren Mitglieder geduldig warteten, bis sie an die Reihe kamen - schon vor dem Konzert!



Paris Paloma hatte auch einen Support Act dabei, Sarah Julia. Die zwei Schwestern stammen aus Amsterdam (was ich erst hinterher herausgefunden habe, ich hatte sie fälschlich für Amerikanerinnen gehalten) und hatten zwei weitere Musikerinnen dabei. Aller vier waren in weiß gekleidet, wobei die Outfits ein wenig nach Nachthemden aussahen. Schon als die vier die Bühne betraten brach ein so gewaltiger Jubel aus, dass ich zunächst befürchtete, dass einige der doch teils sehr jungen Konzertbesucherinnen in ihrer Euphorie nicht begriffen hatten, dass hier noch gar nicht der Hauptact auf der Bühne stand - doch die Stimmung blieb das ganze Set lang so gut. 

Die Musik von Sarah Julia ist von Phoebe Bridgers, Big Thief and Joni Mitchell inspiriert; es gibt noch keine Albumveröffentlichung, aber eine EP und weitere, neuere Lieder - die wir nun zu hören bekamen. Gesungen wurde abwechselnd oder auch zu viert, und es kamen neben Gitarren einige ungewöhnliche Instrumente zum Einsatz: eine Mini-Harfe und eine Mandoline.



Die Musikerinnen genossen die Begeisterung des Publikums sichtlich, eine (entweder Sarah oder Julia) gab ihrem Bedauern Ausdruck, dass sie kein Deutsch parat hätte, obwohl sie es in der Schule sechs Jahre lang gelernt habe. Auf die Frage, welche Sätze sie denn für zukünftige Auftritte üben könne, rief jemand den Vorschlag "Hab dich lieb",  Sarah (oder Julia) verstand zunächst nicht und sagte dann, als der Groschen fiel, "Ich liebe dich!"

Zum Song "Mount Fuji" erfuhren wir die recht komplizierte, dem Lied zugrunde liegende Geschichte über einen Kaiser von Japan, der sich in eine Frau verliebte, die letztlich auf den Mond zurückkehrte, worauf er ihr Liebesbriefe schickte, indem er sie auf den höchsten Bergen des Landes verbrennen ließ.



Die Ankündigung eines Songs namens "Thoughtless Man" wurde vom Publikum mit Gelächter begrüßt und bot schon einmal einen Vorgeschmack auf das feministische Grundmotiv des Abends. Das letzte Lied, "Cairngorms" bezieht sich auf einen Nationalpark in Schottland, in dem die Schwestern einst mit ihrem Vater die Ferien verbracht haben.

Während des gesamten Auftritts herrschte im Publikum entweder gespannte Stille oder begeisterter Jubel, zu "Cairngorms" wurden ohne Aufforderung die Handy-Tschenlampen angemacht, was den Musikerinnen ein breites Lächeln entlockte  - und nach dem Konzert bekamen die vier Frauen von einer Konzertbesucherin Armbändchen geschenkt.

Setliste:

Conspiracy Theorist 
Use A Friend 
Game of pretend 
Mount Fuji 
Thoughtless Man
Amsterdam
Cairngorms 




Nach kurzer Pause kam dann Paris Paloma in einem wallenden Kleid und barfuß auf die Bühne, als Unterstützung hatte sie zwei männliche Musiker an Bass / Gitarre und Schlagzeug, Keyboard und Samples dabei. Nach all der Kommunikation vorab via Social Media hatte ich erwartet, dass das Konzert mit einer Ansage beginnen würde, aber das war nicht der Fall: Die ersten beiden Lieder trug die Musikerin erst einmal vor, erst dann wurde auch gesprochen - sie begrüßte uns und erzählte, dass dies ihre erste Tour in Deutschland als Headlinerin sei.

Viele der Konzertbesucherinnen waren textsicher, und Paris Paloma forderte auch immer wieder auf, mitzusingen, wenn man die Songs kannte - was auch vielfach umgesetzt wurde. Normalerweise bin ich kein großer Fan von mitsingenden Konzertgästen (sie singen eben häufig schief und übertönen den Künstler), in diesem Fall störten sie mich aber nicht.



Nach dem dritten Song "boys, bugs and men" bekam die Sängerin aus der ersten Reihe ein gehäkeltes Tier überreicht, erkundigte sich begeistert, ob das eine Motte sei und stellte diese sofort auf einem der beiden Podeste, auf denen die Mitmusiker throhnten, als neues Bandmitglied aus. Kurze Zeit später bekam die Motte noch einen Gefährten - einen ebenfalls gehäkelten Frosch, der auf das andere Podest ziehen durfte.

Die Stimmung im Publikum war ja von Anfang an großartig gewesen, fand aber bei der Ankündigung von "as good a reason", einem letztes Jahr veröffentlichten Lied, das auch auf dem gerade erst veröffentlichten Album enthalten ist, einen ersten Höhepunkt - nun wurde besonders begeistert mitgesungen. Paris Paloma selbst tanzte zu dem Song und stellte einige Szenen aus dem Text pantomimisch dar. Später wiederholte sich diese extreme Begeisterung bei einer anderen frühen Single (die es nicht auf das Album geschafft hat), "the fruits".



Direkt im Anschluss folgte, mit dem Hinweis, dass es gut zu den gehäkelten Geschenken passe, "knitting song" - ein Lied, in dem es um die gegenseitige Unterstützung von Frauen untereinander geht - ein Thema, dass der Künstlerin extrem wichtig ist.

"triassic love song" wurde als akustische Version vorgetragen, natürlich gingen auch jetzt die Handytaschenlampen an - und Paris Paloma erzählte hinterher, dass sie diesen Moment immer besonders liebt, und verglich die vielen Lichter mit einem Nachthimmel. Das Publikum kommentierte - wie auch des öfteren an diesem Abend - mit "Ooooh".



"bones on the beach" und "the fruits" mussten beide unterbrochen werden, weil offenbar Konzertbesucherinnen in Ohnmacht gefallen waren - eine der so enstandenen Pausen, während die Betroffenen versorgt wurden, nutzte Paris Paloma, um der Vorband zu danken. Nach dem vorläufigen Abschluss "yeti" hörten wir als Zugabe den Song, dem die Künstlerin viel ihrer aktuellen Berühmtheit zu verdanken hat: "labour".

Ich war den ganzen Abend lang in Versuchung, das Gesehene etwas zu belächeln - wegen der "Ooh"s und der übertriebenen Begeisterung, wegen der Kostüme und der Briefchen. Und es befremdete mich ein wenig, dass mehrheitlich so junge Frauen aus in den allermeisten Fällen sicherlich sehr privilegierten Verhältnissen sich offenbar in Songs wie eben "labour" ("All day, every day, therapist, mother, maid / Nymph then virgin, nurse and a servant / Just an appendage, live to attend him / So that he never lifts a finger") wiederzufinden scheinen, in denen es sehr konkret um die Unterdrückung der Frau geht - oder "drywall", das von der Flucht aus einer gewalttätigen Beziehung handelt.



Aber erstens ist Feminismus in jedem Fall und unabhängig von der Altersgruppe ein wichtiges Thema - vielleicht aktuell dank neokonservativer Entwicklungen sogar noch mehr als vor einigen Jahren. Und zweitens muss man es ja auch nicht allein Taylor Swift überlassen, junge Frauen gezielt zusammen zu führen und miteinander Spaß haben zu lassen. Dass ich die Feentänze, die offenbar auch ein fester Teil von Paris Palomas Konzerten sind, nicht ganz verstehe, ist vielleicht einfach eine Altersfrage.



Setliste:

my mind (now)
drywall
boys, bugs and men
notre dame
as good a reason
knitting song 
the warmth
the last woman on earth
triassic love song (acoustic version)
bones on the beach
the fruits
yeti

labour

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