Neulich ohne Lüftung: Travis in der Kölner Live Music Hall

by - September 08, 2024


Erst vor Kurzem hatten wir den Schotten Hamish Hawk solo als Support Act von Villagers gesehen, nun besorgte uns mein Freund über dessen Label Gästelistenplätze für einen weiteren Auftritt als Vorband in der Live Music Hall - dieses Mal für seine Landsleute von Travis.

An diesem Dienstagabend war uns das Parkplatzglück in Köln nicht so wohlgesonnen wie gewohnt, wir kreisten lange erfolglos, bevor wir uns doch noch in eine Lücke quetschen konnten - und erreichten die Halle so recht spät. Mein Freund hatte vorab den Eindruck gewonnen, der Vorverkauf für das Konzert sei eher schleppend gelaufen, und es hatte auch viele Ticketangebote bei Kleinanzeigen gegeben. Das hatte uns mit einer halbleeren Halle rechnen lassen, aber hier hatten wir uns gründlich verschätzt: Halb Köln schien sich zu diesem Konzertabend eingefunden zu haben, nur mit Mühe schafften wir es im Gedrängel zumindest halbwegs nach vorne und hatten eine erträgliche Sicht auf die Bühne.



Uns blieb kaum Zeit, darüber nachzudenken, ob Hawk wieder allein auftreten würde - wovon ich eigentlich ausgegangen war - da stand er auch schon auf der Bühne, mit vierköpfiger Band! In diesem Setup musste der Musiker nicht einmal selbst Gitarre spielen und nutzte die Bewegungsfreiheit ausgiebig - er wandelte sich vom vorher gesehenen, unterhaltsamen Singer-Songwriter zu einer Rampensau im Stil von Jarvis Cocker und entwickelte einen gewaltigen Bewegungsdrang.



Hawk sprach ein weiteres Mal viel Deutsch (und das annähernd akzentfrei). Lustig wurde es, als er etwas über das Keyboard sagen wollte, und, darauf zeigend, zögerlich "Klavier" sagte. Dass Publikumsmitglieder darauf hinwiesen, die korrekte deutsche Bezeichnung für das Instrument sei "Keyboard", amüsierte ihn sichtlich.

Anders als im Luxor bekamen wir an diesem Abend auch Lieder vom neuen Album zu hören. Der dynamische Auftritt wurde vom Publikum sehr abgefeiert, und unsere Hoffnungen, den Musiker für ein Wohnzimmerkonzert gewinnen zu können (was uns bei dem Soloauftritt noch ganz realistisch erschienen war), schwanden dahin. Schon jetzt zeigte sich auch, dass es in der Halle immer wärmer wurde, was Hawk auch kommentierte.



Setliste:

Elvis Look-alike Shadows 
Big Cat Tattoos 
Nancy Dearest 
Bridget St. John 
Men Like Wire 
The Mauritian Badminton Doubles Champion, 1973 
Caterpillar 



Mittlerweile lief der Schweiß nicht nur bei uns in Strömen. Ich besorgte uns Getränke von der nicht allzu weit entfernten Bar, was sich als ziemliche Tortur erwies, da Bewegung in dem Gedränge sehr schwierig wurde - insbesondere, wenn man Richtung Bühne wollte. Leider musste ich anschließend auch noch zur Toilette, was in der Live Music Hall bedeutet, dass man die Halle komplett verlassen muss. 

Bei meiner Rückkehr wurde mir klar, dass ich den Weg zurück nach vorne vor Konzertbeginn nicht mehr schaffen würde, und es graute mir auch davor, mich an diversen durchfeuchteten und möglicherweise auch ungehaltenen Menschen vorbei zu schlängeln. Selbst hinten standen alle dicht an dicht. Ich ergatterte einen Stehplatz, der sich auch noch hinter einer Säule befand - nur die linke Bühnenhälfte war von hier aus gelegentlich zu sehen. Immerhin einen kleinen Vorteil hatte ich hier: Es war minimal kühler als weiter vorne - und außerdem stand im vorderen Drittel ja zumindest noch mein persönlicher Konzertfotograf.



Aufgrund meiner schlechten Aussicht konnte ich die größte Neuerung bei Travis erst zeitverzögert wahrnehmen: Fran Healy hat sein lichter werdendes Haupthaar knallrot gefärbt. Auch Healy spricht Deutsch (er hat neun Jahre lang in Berlin gelebt und ist mit einer Deutschen verheiratet), verwendete die Sprache aber nicht so großzügig wie Hamish Hawk. Die Tatsache, dass an diesem Abend gleich zwei schottische Bands auftraten, ließ uns auch spekulieren, wie die Gespräche hinter der Bühne abgelaufen sein könnten - und ob wir etwas verstanden hätten.



Bezüglich der Raumtemperatur erwies die Band sich als erstaunlich robust: Der Bassist Dougie Payne trug eine Lederjacke, und auch Andy Dunlop an der Gitarre hatte sich für ein langärmeliges Outfit entschieden und hielt daran fest.

Für die aktuelle Tour, die eigentlich das zehnte Album "L.A. Times" unterstützt, spielen Travis eine im Grundgerüst feststehende Setliste, die von Abend zu Abend leicht variiert wird. Von "L.A. Times" waren letztlich nur fünf Songs dabei. 



Gerade der Beginn des Sets wurde stattdessen von den Anfängen der Band geprägt - Healy fragte ins Publikum, wer denn das erste Album  ("Good Feeling" von 1997) kenne und betonte, man habe, falls nicht, nicht viel verpasst, denn damals seien Travis noch in der Findungsphase gewesen. Mit "I Love You Anyways" sei es ihm aber gelungen, Dougie zum Weinen zu bringen, und damals sei ihnen klar geworden, dass sie auf einem guten Weg waren. Gleich im Anschluss folgten noch zwei weitere Songs des frühen Albums.



Diejenigen im Publikum, die Travis hauptsächlich wegen kuscheliger Songs kannten, wurden sicherlich auch durch die rockige Darbietung von "Good Feeling" und  "Good Day To Die" überrascht, auch "Writing To reach You" und "Side" wurden im Anschluss eher durchgeschrammelt. Heimelig wurde es aber wenig später bei "Closer": Healy äußerte die These, dass jeder einen Menschen hätte, dem er mehr bedeutet als alle anderen - an diese Person sollten wir nun alle denken. In meiner Umgebung nahmen viele Zuschauer einander in die Arme, was angesichts der Temperatur als echter Liebesbeweis gelten kann.

Ich stand ja immer noch in großen Abstand zur Bühne, aber weiter vorne wurde die Enge und die Hitze mittlerweile so bedenklich, dass Mitglieder der Security damit begannen, Wasserbecher zu verteilen - sicherlich in der Sorge, dass einige sonst ohnmächtig werden könnten.



Bei "Gaslight", einem der Songs vom neuen Album, nahm Healy ein kurzes Bad in der Menge, bei "Turn", das den Hauptteil abschloss, wurde die zweite Strophe von Dougie gesungen.

Nach kurzer Pause stand die Band für die Zugabe schon wieder auf der Bühne, Healy eröffnete sie damit, dass er sich im Namen der Halle für die nicht funktionierende Belüftung entschuldigte - wobei aus der nachgesetzten Kritik  - er erwähnte, er könne von der Bühne den Zuschauern beim Schmelzen zusehen, was so einfach nicht ginge - deutlich wurde, dass er wohl eher nicht im Namen der Veranstalter sprach, sondern einfach selbst die Zustände nicht tragbar fand. Diese Umstände sind in der Live Music Hall im Übrigen auch nichts Neues.



Nun folgte eine akustische Version von "Flowers In The Window", bei der alle Bandmitglieder am vorderen Bühnenrand standen. Dabei hatte Healy seine Gitarre umgehängt, bediente diese aber nicht selbst - stattdessen sorgte Dunlop für die Griffe, während Dougie Payne die Saiten zupfte.

Auf der Setliste der vorausgegangenen Tourstationen wäre als nächstes eine Coverversion von Britney Spears' "Baby One More Time" gekommen (die Travis-Version kursierte vor vielen Jahren als Liveaufnahme). Healy kündigte stattdessen aber ein Cover einer weiteren schottischen Band an, "Somewhere In My Heart" von Aztec Camera. Den eher verhaltenen Reaktionen um mich herum entnahm ich, dass der Song in Köln wohl nicht sonderlich bekannt ist - dabei habe ich, damals selbst Kölnerin, mir 1987 die Single gekauft (in unserem Haushalt existiert sogar die zugehörige LP) und war somit sehr zufrieden mit der Wahl.




Vor dem Abschluss-Hit "Why Does It Always Rain On Me?" hielt Fran Healy noch eine kleine Ansprache, in der er uns dankte, denn wir hätten schließlich alle Tickets gekauft (mein Freund und ich dachten an unseren getrennten Stehplätzen peinlich berührt an unseren Gästelistenstatus). Healy führte aus, dass wenige große Künstler - er nannte Taylor Swift, Coldplay und Ed Sheeran als Beispiele - derart hohe Ticketpreise verlangten, dass es eigentlich verständlich sei, wenn Konzertbesucher für anderes schlicht kein Budget mehr hätten - weil eben alles schon an die "Stadium Fuckers" gegangen sei.

Auffällig war, dass die Tirade nicht Oasis erwähnte, dabei hatte deren Vorverkauf für wenige angekündigte Konzerte im nächsten Jahr doch gerade erst zu viel Ärger geführt - unter anderem, weil die Tickets dank "dynamic pricing", also Preisanpassungen basierend auf der Nachfrage, exorbitant teuer geworden waren.



Abgesehen von unserem schlechten Gewissen, nicht wirklich etwas für das Auskommen der Musiker getan zu haben (wobei mein Freund immerhin sehr gewissenhaft darin ist, einen Großteil seines Geldes in Vinylplatten zu investieren, natürlich auch die von Travis) ein sehr schöner Konzertabend, bei dem uns auch insbesondere die Anpassungen der Setliste gut gefielen.

Setliste:

Bus
Driftwood
Love Will Come Through
Alive
I Love You Anyways
Good Feeling 
Good Day To Die
Writing To Reach You
Side
The River 
Closer
Sing
Re-Offender
Raze The Bar
Gaslight
Naked In New York City
Turn

Flowers In The Window 
Somewhere In My Heart
Why Does It Always Rain On Me?


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