Charlie Kaufman, bekannt als Autor so irrer verfilmter Geschichten wie Being John Malkovich (1999), Eternal Sunshine of the Spotless Mind (Vergissmeinicht, 2004) und Adaptation (Adaption, 2002), hat nun erstmalig bei einem Film selbst Regie geführt: Synecdoche, New York lief bereits letztes Jahr in Cannes und kam kürzlich in die britischen Kinos, in die deutschen wird das Werk es wahrscheinlich nie schaffen.
Zu meinem eigenen Trost – und hoffentlich auch zu dem meiner vier bis sechs Leser – werde ich in ein paar kommenden Einträgen frühere Arbeiten von Herrn Kaufman vorstellen und beginne mit meinem Lieblingsfilm: Eternal Sunshine of the Spotless Mind.
Die Handlung: Joel und Clementine waren zwei Jahre lang ein Paar, vor kurzem haben sie sich nach einem heftigen Streit getrennt. Als Joel nach einigen Tagen Clementine besucht, um sich mit ihr zu versöhnen, hat sie plötzlich keine Ahnung, wer er ist. Er erfährt, dass sie sich einem neuen medizinischen Verfahren unterzogen hat und alle ihre Erinnerungen an die Beziehung gelöscht sind. Joel ist sehr verletzt über diese Entscheidung und beschließt aus Wut und Verzweiflung, denselben Arzt aufzusuchen. Während der Behandlung durchlebt Joel seine zu löschenden Erinnerungen nochmals, und zwar von hinten nach vorne: Es beginnt mit der Trennung und den vorausgegangenen Streitigkeiten, aber je älter die Erinnerungen werden, desto schöner sind sie, und schon bald erkennt Joel, dass es ein schrecklicher Fehler war, all das vergessen zu wollen. Er wehrt sich gemeinsam mit der Clementine aus seinen Erinnerungen gegen den Vorgang, kann ihn aber letztendlich nicht mehr verhindern, und erwacht am nächsten Morgen ohne Erinnerungen an seine Exfreundin.
Ein plötzlicher Impuls bringt ihn dann aber dazu, spontan an den Strand zu fahren, an dem er Clementine kennen gelernt hatte – sie befindet sich ebenfalls dort, und die beiden lernen sich auf ein Neues kennen, ohne irgendetwas über ihre gemeinsame Vergangenheit zu ahnen. Nach einem Ausflug zu einer gefrorenen Flussmündung, den sie auch in der Vergangenheit bereits gemeinsam unternommen hatten, kommen sie frisch verliebt und voneinander begeistert nach Hause, und stellen fest, dass sie beide Post von der Arztpraxis bekommen haben: Die Sprechstundenhilfe hat zwischenzeitlich am eigenen Leib erfahren, was es heißt, sich an Ereignisse aus dem eigenen Leben nicht mehr erinnern zu können, und deshalb eigenmächtig allen bisherigen Patienten die Kassettenaufnahmen geschickt, auf denen sie standardmäßig vor der Behandlung berichten, wen sie vergessen wollen und wieso.
Joel und Clementine stellen anhand der Bänder schockiert fest, dass sie einander nicht nur bereits kennen, sondern allem Anschein nach auch hassen. Beide sind tief getroffen über das, was sie sich auf den Aufnahmen des jeweils anderen anhören müssen und können sich gleichzeitig nicht vorstellen, den neu kennen gelernten Partner jemals so verabscheuen zu können, wie sie es selbst behaupten. Am Ende beschließen sie, es trotz Kenntnis ihrer absehbaren Reibereien noch einmal miteinander zu versuchen.
Wieso finde ich diesen Film aber nun so toll? Das hat mehrere Gründe.
Zunächst ist die Handlung an sich, mit ihrer Erkenntnis, dass man schmerzliche Erfahrungen zwar zunächst gerne löschen würde, aber dabei vergisst, wie viel Schönes und Prägendes mit ihnen einher gegangen ist, sehr packend. Aus einer verdrängten Vergangenheit kann man auch nichts lernen, und fängt dann eben von vorne an und macht dieselben Fehler – sehr berührend zeigt sich das auch in der Nebenhandlung über die Sprechstundenhilfe, die in in ihren Arzt-Chef verliebt ist, ohne zunächst zu wissen, dass sie bereits eine (gelöschte) Affäre mit ihm hatte.
Dann sind da die Figuren. Dass Jim Carrey ein grundsätzlich toller Schauspieler ist, der eben viele nervige Filme gemacht hat, war mir bekannt, alle anderen (Kate Winslet, Kirsten Dunst, Mark Ruffalo, Elijah Wood) spielen ebenfalls großartig, aber viel wichtiger ist, dass man die Figuren viel mehr als in anderen Filmen als reale Menschen wahrnimmt – stellenweise wirken sie sogar bemerkenswert unattraktiv, aber das nicht auf eine Monster-artige, „Ich musste für diese Rolle 1000 Kilo zunehmen und eine Zahnprotese tragen“-Weise, sondern eben einfach – echt.
Und dann wäre da noch der Aspekt, der den Film so anders und faszinierend macht – die Vermischung von Phantasie und Realität, Erinnerung und Gegenwart. Joels Erlebnisse in seinem eigenen Kopf, die Art, wie er seine Erinnerungen gleichzeitig durchlebt und mit den (Traum-)menschen darin darüber diskutiert, und wie er von einer Erinnerung zur anderen springt, wie sich Szenen aus verschiedenen Perspektiven wiederholen – all das wirkt auf mich wiederum unglaublich real, soweit ein Traum das eben sein kann. Gäbe es die Erinnerungslöschungsfirma wirklich, dann würde man seine Behandlung genau so erleben, ich habe nach dem Film nicht die geringsten Zweifel.
Letzten Endes ist es die überraschende Nachvollziehbarkeit von Kaufmans komplett irrsinnigen Ideen, die seine Filme so sehenswert machen - der Wiedererkennungswert von Situationen, bei denen man selbst nie auch nur versuchen würde, sie jemand außerhalb des eigenen Kopfes zu erklären. Mehr dazu demnächst, wenn ich weitere Filme vorstelle ....
3 comments