Das teuerste Konzert des Jahres - Morrissey in Dublin

by - August 06, 2011

Mein Freund fährt leider nicht sonderlich gerne in Urlaub. Was er dagegen liebt, sind Konzerte, und so sind viele unserer gemeinsamen Ausflüge Kombinationen aus (Städte-)Reise für mich und Konzerten für ihn - im Juni sahen wir so beispielsweise in Amsterdam Warpaint und The Irrepressibles (und Amsterdam).

Als wir für dieses Jahr begannen, eine Irlandreise zu planen, konzentrierte sich seine Konzertplanung auf die wenigen Tage, die wir nach unserem Aufenthalt in der Einöde Dingles in Dublin verbringen wollten. Doch unser Recherchetool Last.fm wollte einfach keinen interessanten Termin ausspucken. Bis etwa einen Monat vor Abreise plötzlich zwei Auftritte im Kalender standen, und zwar nicht von irgendeiner Notlösung sondern von Morrissey, den wir beide sehr schätzen!


Nur das (Zusatz-)konzert am 30. Juli war für uns terminlich zu schaffen, und genau wie das am Vortag war es direkt nach seiner Ankündigung restlos ausverkauft - nachdem der Veranstaltungsort "Vicar Street" nur 1500 Gäste fasst, war das keine große Überraschung. Auch Ebay und wenig vertauenerweckende Internetportale wie Seatwave hatten kaum Karten im Angebot - und wenn doch einmal Tickets auftauchten, hatten sie astronomische Preise.

Nachdem ich bei zwei Auktionen knapp gescheitert war und der Abreisezeitpunkt näher rückte, zahlten wir schließlich bei einem "ticket tout" einen solchen Wucherpreis: Zwei Karten mit dem aufgedruckten Preis von je 48 EUR kosteten uns etwa 200. Und damit ging die Aufregung erst los, denn die Tickets mussten innerhalb weniger Tage von England nach Deutschland geschickt werden, um von dort nach Irland mitgenommen werden zu können. Das klappte dann immerhin (trotz spannender Wartezeit) problemlos.


Und so kamen wir letzten Samstag in den Genuss von Morrisseys zweiten Dublin-Auftritt. Dank unserer frühen Ankunft in der Halle standen wir zum einen recht weit vorne und hatten zum anderen ausreichend Zeit, die anderen Gäste zu studieren. Bei vielen konnte man sich anhand ihres Aussehens kaum vorstellen, dass sie Interesse an der sentimental-depressiven Musik des ehemaligen Smiths-Sängers, der so gerne seltsame öffentliche Stellungnahmen abgibt, haben könnten. Als ich aber auf dem Arm einer Minikleid- und Stilettoschuhe-tragenden Frau einen tätowierten "Morrissey"-Schriftzug entdeckte, musste ich anerkennen, dass die Musik von Steven Patrick Morrissey wohl mehr Menschentypen anspricht, als mir vorher bewusst war.

Los ging der musikalische Teil des Abends aber mit einem Auftritt von Kristeen Young, die uns mit den Worten "I am a Scorpio and I want a relationship with you!" begrüßte und genau zwei Arten von Lied beherrschte: Immer abwechselnd begleitete sie ihren Gesang auf dem Keyboard oder sang und tanzte wild zu eingespielter Elektromusik. Der musikalische Eindruck war dabei der einer überaufgeregten Synthie-Kate Bush. Die absolute Inbrunst, mit der sie ihre Lieder von der ersten bis zur letzten Note schmetterte, wurde dabei sehr schnell anstrengend. Angesichts ihrer Rolle als Warmup-Act für Morrissey konnte man sich immerhin sicher sein, dass für ihr seltsames 80er-Jahre-Lederoutfit keine echten Kühe hatten sterben müssen.

Es folgten die bei Morrissey-Konzerten schon länger üblichen Film-, Video- und Interviewausschnitte. Einige Clips (darunter der Auftritt der New York Dolls bei Manfred Sexauers Musikladen) kannten wir bereits vom Konzert in Offenbach 2009. Anderes, wie ein in Dublin besonders umjubelter Song des irischen Sängers Joe Dorlan, schien neu im Programm zu sein. Diejenigen im Publikum, die bereits am Vorabend dabei gewesen waren, gaben sich beim letzten Ausschnitt zu erkennen, denn anders als wir wussten sie bereits, dass der Auftritt ihres Helden nun unmittelbar bevor stand.


Morrissey trug an diesem Abend zunächst ein rotes Paillettenhemd, wechselte später in ein schwarzes mit roter Rüschenknopfleiste, um den Abend in einem weißen mit glitzernder Knopfleiste zu beenden. Offenbar waren diese Hemden teuer, oder aber, der Künstler fühlt sich mittlerweile für Striptease zu alt: Die Hemdenwechsel erfolgten entgegen der bekannten Tradition off-stage, und keines von ihnen landete an diesem Abend im Publikum.

Wie jedes Konzert der aktuellen Tour begann auch dieses mit dem Smiths-Song "I want the one I can't have", es folgten "You're the one for me, fatty" und - als erstes richtig gutes Lied - "You have killed me".

Die Publikumsbegeisterung war, anders geht das bei Morrissey ja auch nicht, riesig. Blumen wurden geworfen und eine Schallplatte übergeben, und wer die Chance hatte, versuchte, sein Idol zu berühren - was auch vielfach klappte. Morrissey war für seine Verhältnisse relativ gesprächig und sprach die Zuschauer bei drei Gelegenheiten an:

  • Zunächst erwähnte er, dass es heute Abend leicht sei, verletzt zu werden, wenn man das falsche Hemd trage. Ich nahm das als Hinweis auf die von verschiedenen Fußballhemden bevölkerte Dubliner Innenstadt (es fand ein "Super Cup" zwischen verschiedenen europäischen Mannschaften statt), vielleicht liege ich da aber auch falsch.*
  • Später erzählte er, er habe auf der Titelseite des Irish Independent die Überschrift "Is Morrissey a genius or a crank?" gelesen. Seine Reaktion darauf: "How DARE they associate me with genius?"
  • Ganz am Ende behauptete er schließlich, gemeinsam mit der Band eine After Show Party geplant und dafür ein Restaurant gebucht zu haben. "But as I found out, they fry their chips in animal fat, which is disgusting!" Also keine Party für uns.
Zusätzlich wurde die Band (an diesem Abend in schwarzen Hosen und weißen Hemden mit Krawatten) nicht nur vorgestellt, es durfte auch jedes ihrer Mitglieder selbst einen Satz sagen. Und kommt es nur mir so vor, oder wird der Riesengong bei jeder Tournee noch ein bisschen größer? Und gab es schon immer eine zusätzliche Riesentrommel?

Die großen "Ankommer" beim Publikum waren ganz klar "Everyday is like Sunday", "First of the Gang to die", "There is a Light that never goes out" und natürlich die in Irland besonders  relevante Zugabe "Irish Blood English Heart". Die vier neuen Lieder ("Scandinavia", "Action is my middle name", "The Kid's a Looker" und "People are the same everywhere") wurden dagegen verhaltener aufgenommen - und auch ich müsste sie mir wohl erst schön hören.


Laut Internet war der Anfangstext von "First of the Gang" abgeändert, was ich nicht bemerkt habe, lediglich ein hinzugefügtes "soon" bei "come, Armageddon, come" in "Everyday is like Sunday" fiel mir auf. Bei "Meat is Murder" wurden im Hintergrund der Bühne Filmszenen projeziert, die zweifellos furchtbare Szenen der Massentierhaltung zeigten, diese waren aber, da sie auf ein bereits vorhandenes Bild geworfen wurden, praktisch nicht zu sehen.

Die Setliste entsprach in weiten Teilen der des Vorabends, lediglich die Reihenfolge und drei Lieder (darunter ein Lou Reed-Cover, das er bei der aktuellen Tournee gerne spielt) wurden ausgetauscht. Als letztes Lied vor dem vorläufigen Ende wurde "Speedway" sehr in die Länge gezogen (beziehungsweise enthielt eine Art Pause) und nach einem Zugabelied war leider auch endgültig Schluss.

Und, war der Abend nun das viele Geld wert, das wir bezahlt hatten? Ich denke ja. Das Konzert war sehr schön, und es wäre furchtbar traurig gewesen, den Abend in Dublin zu verbringen und nicht hin zu können.



Setliste:

I want the one I can't have
You're the one for me, Fatty
You have killed me
Ouija Board, Ouija Board
The Kid's a Looker
Scandinavia
Come back to Camden
One day Goodbye will be Farewell
Meat is Murder
I'm throwing my arms around Paris
There is a Light that never goes out
Everyday is like Sunday
I know it's over
First of the Gang to die
People are the same everywhere
Action is my middle name
Speedway

Irish Blood English Heart

* Laut einem Forenbeitrag sagte er folgendes: 'On a night, like this, if you were in Liberties wearing the wrong shirt, you could get your throat slit.....worth the risk.' Wobei die Liberties wohl sowohl die Gegend Dublins sind, in der das Konzert stattfand, als auch ein bekannter Pub in Camden (und das folgende Lied "Come back to Camden" war).

(Die Fotopolitik der Halle war übrigens undurchschaubar. Manche durften offenbar Fotos machen, andere nicht. Wir durften nicht, deshalb gibt es auch nur wenige.)

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