Neulich beim Jubiläum: Maifeld Derby 2015, Tag 1
Mir kommt es gar nicht so vor, als sei mein Besuch beim ersten Maifeld Derby bereits so lange her, aber es ist Tatsache: Das Festival feierte dieses Jahr schon seinen fünften Geburtstag. Aus einer zweitägigen Veranstaltung ist über die Jahre ein Drei-Tages-Event mit vier Bühnen und dem höchst ernsthaften Wettbewerb „Steckenpferd-Dressur“ geworden, geblieben ist der Ort, ein Reitplatz am Mannheimer Stadtrand.
Lange waren wir uns trotz früh erworbener, vergünstigter „Scheuklappen-Tickets“ nicht sicher gewesen, ob wir dieses Jahr wirklich wieder nach Mannheim fahren sollten. Die Headliner waren mit Roísín Murphy, Archive, Mogwai und José Gonzales zwar für ein Festival dieser Größe absolut adäquat, aber ich hätte mir keinen von ihnen ausgesucht. Und auch unter den vielen, vielen weiteren Bands und Einzelkünstlern war dieses Mal im Vorfeld nicht wirklich etwas für mich dabei.
Letztlich tröstete ich mich dann mit dem Gedanken, dass mich in vergangenen Jahren einige Künstler, die ich vorher überhaupt nicht gekannt hatte, durchaus beeindruckt hatten, beispielsweise The Miserable Rich oder Spaceman Spiff. Das müsste doch wieder zu schaffen sein, außerdem bleibt das Maifeld Derby auch nach fünf Jahren eine höchst angenehme Veranstaltung, bei der viele Ärgernisse anderer Festivals (nervige Mitgäste, Gedrängel und Staus auf den Wegen zwischen den Bühnen, penetrante Sponsoren, übertriebene Sicherheitskontrollen) einfach nicht existieren.
Bei unserer Ankunft zeigte sich zunächst, dass sich dieses Mal im Vergleich zum Vorjahr nicht allzu viel geändert hatte. Die Schlange zur Bändchenausgabe funktionierte in einer angemessenen Geschwindigkeit. Die Bühnen befanden sich an denselben Orten wie im Vorjahr, lediglich die Verkaufsstände, die kein Essen im Angebot hatten, waren auf den Weg zur Akustikbühne Parcours d’Amour gezogen. Die Essensstände befanden sich wie gehabt alle in einer Gruppe, allerdings fehlte zu unserer großen Überraschung erstmalig die Landmetzgerei Kumpf, die gerade in den ersten Jahren des Festivals die Verpflegung mehr oder weniger komplett übernommen hatte.
Dafür lachte mein Vegetarierinnenherz angesichts der Auswahl zwischen Falafel, vegetarischem Chili, Pommes Frites, Handbrot, Maultaschen, Asia-Essen und Kuchen, und wenig später entdeckten wir am Hamburger Currywurst-Stand auch den handgeschriebenen Hinweis, er verkaufe ausschließlich Würste von Kumpf. Für die Traditionalisten unter den Gästen war also ebenfalls gesorgt!
Nach kurzer Orientierung gingen wir zum Parcour d’Amour, dessen Bühne auch in diesem Jahr eine Veränderung erfahren hatte. Bereits im Vorjahr hatte sie sich nicht mehr in den vordersten Sitzreihen des Reitstadions befunden sondern davor, was den Zuschauerraum vergrößerte, aber auch die Künstler gegebenenfalls Regen aussetzte – geschützt waren sie nur durch ein Dache, aber nicht von der Seite. Wohl um das zu verbessern, hatte die Bühne dieses Mal eine Art Rundbogen aus durchsichtigem Plastik.
Auf ihre befand sich bei unserem Eintreffen am frühen Freitagabend zunächst noch Patrick Bishop, ein Folkmusiker aus der Schweiz, der sich vor allem dadurch in mein Gedächtnis einbrannte, weil er offenbar nicht weiß, wie alt er ist – zumindest erklärte er, er werde 2016 20 Jahre alt, weshalb die Person mit der Sitznummer 1986 ein Album geschenkt bekäme. Irgendetwas kann da nicht gestimmt haben ...
Eigentlich hatten wir uns im Parcours eingefunden, um die im Zeitplan als nächstes vorgesehene Kooperation zwischen Get Well Soon und dem Schriftsteller Arnold Stadler zu sehen. Man konnte im Hintergrund aber gut sehen, wie And The Golden Choir seine zahlreichen Instrumente auspackte sowie kleine Tische zusammenschraubte, und ein Blick auf Facebook bestätigte schon bald, dass die beiden Slots getauscht worden waren – zum Unmut vieler, die direkt nach Get Well Soon auf der Hauptbühne die russische Band Motorama sehen wollten und sich nun unerwartet zwischen beiden Bands entscheiden mussten. Und war es egal, wir waren ohnehin an allen drei Band interessiert.
Als die Bühne frei war und Tom Siebert auch hier seine And The Golden Choir-Instrumente aufbauen konnte, bemerkte ich zunächst, dass er zwar wieder einen schwarzen Pullover trug, aber ein anderes Modell als wir in Wetzlar gesehen hatte. Zum Auftritt selbst trug er aber wieder den bekannten Pullover, er hat also offenbar einen „Bühnenpullover“.
Richtig glücklich scheint And The Golden Choir nicht mit dem spontan nach vorne verschobenen Auftritt gewesen zu sein. Vielleicht haben ihm auch technische Probleme zu Beginn des Auftritts – er brach den ersten gesungenen Song zunächst ab, weil ein brummendes Geräusch störte – die Laune verdorben.
Das Set an sich war eine verkürzte Version von dem, das ich vor kurzem in Wetzlar gesehen hatte, wobei vor allem die schnelleren Songs in der Setliste verblieben waren. Neben den uns bereits bekannten kuriosen Instrumenten wie Santur oder Thüringer Waldzither hatte Siebert auch etliche Einrichtungsgegenstände wie eine Stehlampe dabei, sogar einen uns bereits bekannten quietschenden Rollwagen, der mittlerweile aber zur Geräuschvermeidung mittlerweile nur noch getragen wird.
Sieberts Idee, seine eigene Band zu sein, indem er die für jeden Song notwendigen Instrumente selbst eingespielt und auf Vinyl gepresst hat, um dann live dazu zu singen und ein weiteres Instrument zu spielen, ist nach wie vor faszinierend. Die Konzertdarbietung war auch wieder wunderbar und litt nur unter der wahrnehmbaren Hektik oder Frustration. Außer einem scherzhaften „Hallo, ich bin Get Well Soon!“ zu Beginn seines Auftritts sagte Siebert auch fast nichts.
Setliste:
Another Half Life
The Transformation
My brother's home
It's not my life
?
My Heaven Is Lost
Dead end street
Angelina
?
In Heaven
Anschließend war es also Zeit für Get Well Soon, die bei diesem Derby einen besonderen Auftritt absolvieren sollten, nämlich eine Kombination aus Konzert und Autorenlesung. Der Roman „Der Tod und ich, wir zwei“ von Arnold Stadler diente Konstantin Gropper als Inspiration für die EP „Henry – the infinite desire of Heinrich Zeppelin Alfred von Nullmeyer“, also liegt es nah, Text und Lieder zu kombinieren.
Während Get Well Soon nun ihr Equipment auf die Bühne trugen, konnten wir amüsiert Konstantin Groppers kleinen Sohn beobachten, der vom Zuschauerbereich immer nachdrücklicher forderte, dass der Papa einmal winken solle, was dieser zum Glück irgendwann, nachdem schon ein paar Tränchen gekullert waren, dann auch tat.
Zu Beginn des Auftritts erklärte Gropper, Stadler habe eine Bahn-Odyssee hinter sich, was sicher die Erklärung für den verschobenen Auftrittsbeginn darstellte.
Die Band und der Autor teilten sich die Bühne, wobei Get Well Soon dieses Mal ohne Verena Gropper (die sich vermutlich in der Babypause befindet) angetreten waren. Los ging es mit „Age 14, Jumping Off The Parents’ Mezzanine“, dann las Stadler aus dem Roman, dann spielte die Band den nächsten Song der EP.
In der Theorie hatte ich mir dieses Arrangement durchaus reizvoll vorgestellt. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass die EP auf einem Roman basiert, und eigentlich gefallen mir solche Inspirationen häufig gut, und Lesungen mag ich generell auch. In der Praxis sah das leider etwas anders aus, denn zum einen entpuppten sich Stadlers Lesepassagen als unglaublich lang – Get Well Soon spielten im Rahmen des einstündigen Konzerts nur die vier Lieder der EP – zum anderen war das Vorgelesene für Nichtkenner des Romans ein ziemliches Durcheinander. Stadler ist leider auch kein sonderlich guter Vorleser und versprach sich häufig.
Das zugegebenermaßen einmalige Event entpuppte sich also für mich als Enttäuschung und führte zu Reue über die Entscheidung, zugunsten dieses Auftritts auf Motorama verzichtet zu haben.
Setliste:
Age 14, Jumping Off The Parents’ Mezzanine
Promenading Largo Maggiore, You Wouldn’t Hold My Hand
Mail From Heidegger
You Will Be Taken Care Of
Für uns ging es anschließend ins Palastzelt, wo Gisbert zu Knyphausen bereits seinen Auftritt begonnen hatte, so dass wir den ersten Song verpassten. Über zu Knyphausen wusste ich im Vorfeld wenig, habe ihn aber in der Vergangenheit schon einmal live allein mit seiner Gitarre gesehen – das muss 2008 in Haldern gewesen sein. Damals gefielen mir die textlastigen Lieder des Sängers recht gut, aber ich muss zugeben, dass ich Liedermacher eher in intimerem Umfeld gewohnt bin und mir der Auftritt auf großer Bühne mit Rockband ein wenig seltsam vorkam.
Der Auftritt war eine Kombination aus Gisbert zu Knyphausen und Kid Kopphausen, einem gemeinsamen Projekt von zu Knyphausen und dem mittlerweile verstorbenen Künstler Nils Koppruch, dessen Band mit dabei war. Daher wurden auch Songs wie „Staub und Gold“, „Meine Schwester“ und „Das Leichteste der Welt“ gespielt. Das einzige englischsprachige Lied des Sets konnte ich leider nicht zuordnen. Zu Knyphausen hatte sich vorher für sein schlechtes Englisch entschuldigt, doch daran hat es nicht gelegen.
So richtig warm wurde ich mit diesem Set nicht, wobei es wiederum die Texte mancher Lieder waren („Mörderballade“, „Sommertag“), die mir dann doch ein bisschen gefielen. Dennoch, mit einem Auftritt von Enno Bunger oder Spaceman Spiff wäre ich sicherlich glücklicher geworden. Vielleicht wäre der parallel verpasste Auftritt von Soak die bessere Wahl gewesen? Meiner Begeisterung ebenfalls nicht förderlich war der hohe Geräuschpegel im Zelt, auch recht weit vorne brüllten sich Zuschauer gegenseitig komplizierte Zusammenhänge ins Ohr, statt einfach rauszugehen.
Setliste:
?
Staub und Gold
Meine Schwester
Erwischt
? (englisch)
Mörderballade
Jeden Montag
Kräne
Sommertag
Verschwende deine Zeit
Das leichteste der Welt
Kleine Ballade
Es ist still auf dem Rastplatz Krachgarten
Nur ein Satz
Draußen auf der Fackelbühne spielten nun bereits die Allah-Las ihren 60er Jahre Sound. Das Quartett, das auf der Bühne von einem Keyboarder und einem Congaspieler ergänzt wurde, kam mit seiner fröhlichen, tanzbaren Musik beim Publikum gut an. Der Schlagzeuger und der Bassist durften je einmal den Gesangspart übernehmen, und mehr habe ich zu dieser Band auch nicht zu berichten. Höchstens, dass der Schlagzeuger einen Wolldecken-Umhang zu tragen schien.
Zurück im Zelt begann nun der Auftritt des Headliners vom Derby-Freitag: José González. Über dessen Bestätigung hatte ich mich in etwa so sehr gefreut wie über die von Warpaint im vergangenen Jahr, also überhaupt nicht. Im Grunde empfinde ich González auch als eine softerer Version der rockigen Mädchen – ebenso langweilig, ebenso endlose Lieder, ebenso begeisterte Fans, die mich ratlos machen. Selbst die blaue, diffuse Beleuchtung war ähnlich wie bei Wapaint im letzten Jahr.
González hatte einige Musiker dabei, unter anderem ebenfalls einen Congaspieler. Er selbst sang immer wieder dieselben Songzeilen zur Gitarre, teils von eigenen Liedern, teils von Songs seiner eigenen Band Junip, teils coverte er ein recht breites Spektrum anderer Künstler (Kylie Minogue, Massive Attack, The Knife). Diese Lieder klangen aber nach Behandlung durch die González-Weichspültechnik auch alle gleich. „Teardrop“ war im Vergleich noch der beste Song. Einer der auf einem Podest stehenden Mitmusiker war übrigens James Mathé, der unter dem Namen Barbarossa eigene Musik veröffentlicht. Im González-Set durfte er seinen Song „Home“ zum Besten geben, der zumindest nicht negativ auffiel.
González, der zwischenzeitlich drei Lieder solo dargeboten hatte („Crosses“, „Hints“ und „Heartbeats“), bekam viel Applaus von anderen Zuschauern, auch wenn der Geräuschpegel im Zelt wiederum sehr hoch war, ich mochte ihn nach diesem Auftritt auch nicht lieber als vorher.
Setliste:
Stories We Build, Stories We Tell
Killing For Love
Hand On Your Heart (Kylie Minogue Cover)
Every Age
Walking Lightly (Junip Song)
Cycling trivialities
Crosses
Hints
Heartbeats (The Knife Cover)
What will
Let It Carry You
Home (Barbarossa Cover)
This Is How We Walk On The Moon (Arthur Russell Cover)
Teardrop (Massive Attack Cover)
Leaf Off / The Cave
Nach so viel Frustration, die sich aufgestaut hatte, kam doch zum Abschluss ein Punkkonzert gerade recht. Bei Love A hatten wir (wieder einmal, vielleicht sind die Derby-Zeitpläne doch ein wenig ZU dicht gestrickt) den Anfang verpasst. Als wir das Brückenaward-Zelt betraten, war der Platz vor der Bühne bereits dicht gedrängt besetzt, Teile der Menge tanzten Pogo, die Absperrgitter wurden einer Belastungsprobe unterzogen und später gab es auch vereinzelte Crowdsurfer zu sehen, denen die Security entspannt zusah. Vielleicht war es also ganz gut, dass wir nur noch ein (sicheres) Plätzchen am seitlichen Bühnenrand fanden und das Geschehen von dort betrachteten.
Von hier aus waren Texte und Ansagen leider eher schlecht zu verstehen, immerhin bekamen wir gut mit, dass der Sänger sich versehentlich mit dem Mikrophon gegen einen Zahn stieß und sich für den Rest des Konzerts darüber beklagte, dass dieser nun wackelte – er fragte auch scherzhaft, ob ein Zahnarzt anwesend sei. Ansonsten störte ihn die Verletzung nicht sonderlich, und auch sonst benahm er sich mit echtem Körpereinsatz wie ein echter Punk, zeigte oft und gerne den Mittelfinger und spuckte gerne Wasser aus.
Love A hätten eigentlich einen besseren Slot als den „Rausschmeißer“ des ersten Abends verdient, und auch eine der größeren Bühnen. Vielleicht machen die Derby-Planer ja wieder eine Ausnahme (wie dieses Mal bei Motorama) und buchen dieselbe Band in zwei aufeinander folgenden Jahren. Zu wünschen wäre es ihnen und uns.
Am besten kamen die Hits „Trümmer“, „Windmühlen“ und „Brennt alles nieder“ an, die lauthals mitgeschrien wurden, und so wurde auch unser bis dahin musikalisch etwas mauer Tag ein wenig aufgewertet. So zogen wir versöhnt durch die Nacht und waren sogar radikalisiert genug, vor dem Hotel einfach im Halteverbot zu parken.
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