Neulich bei der zweiten Chance: Nick Cave in der Frankfurter Jahrhunderthalle

by - Oktober 11, 2017


Ich würde behaupten, dass ich Nick Cave schon sehr lange sehr gerne mag. Allerdings gibt es seit meinem "Einstiegsalbum" "The Good Son" dann doch so manche Veröffentlichung, der ich nicht allzu viel Aufmerksamkeit geschenkt habe - es sind auch insgesamt zehn Stück, eines davon ein Doppelalbum. Vielleicht erklärt dieser Umstand, dass ich trotz großer Vorfreude bei meinem ersten Cave-Konzertbesuch im November 2006 eher enttäuscht wurde. Ich erinnere mich an eine große Halle mit festgelegten Sitzplätzen, ich war ziemlich weit weg von der Bühne. Außerdem hatte ich damit gerechnet, die meisten der gespielten Songs zu kennen, was aber nicht der Fall war. Die online vorhandene Setliste widerspricht dieser Erinnerung etwas, denn viel Bekanntes war definitiv dabei - allerdings sah es für mich ab Lied 15 vermutlich düster aus. Gegen Ende - das verrät setlist.fm nicht - bekamen wir als besonderes Schmankerl noch ein Lied von Caves damals neuer Band Grinderman vorgespielt - auch nicht mein Fall.


Nichtsdestotrotz: Ich, die sich sonst zu Konzerten eher überreden lässt, war sofort Feuer und Flamme als Anfang dieses Jahres eine weitere Tournee - die erste seit dem tragischen Unfalltod von Caves Sohn - angekündigt wurde. Eine zweite Chance wollte ich dem Künstler definitiv geben, also wurden Tickets gekauft. Erst später beschlossen wir, am Freitagabend davor auch Slowdive in Amsterdam zu besuchen - was bedeutete, dass wir uns selbst um ein gemütliches Wochenende in der niederländischen Hauptstadt brachten, denn wir mussten ja Samstagabend in Frankfurt sein. Die Zugrückfahrt, die eigentlich sehr großzügig geplant gewesen war, um auf jeden Fall genug Zeit für eine Pause daheim und dann die Weiterfahrt nach Frankfurt zu lassen, schrumpfte dann wegen gewaltiger Verspätung zu einem Nichts zusammen, der Tag wurde hektisch. Schlechte Erinnerung an ein früheres Konzert, Verzicht auf ein Wochenende in Amsterdam, stressige Anreise: Letztlich lag die Latte für Nick Cave an diesem Abend ganz schön hoch. Die Versuchung, das Konzert als Fehlentscheidung zu verbuchen, war groß.


Hinzu kommt noch die Jahrhunderthalle: Diese ist zwar leicht zu erreichen und sieht von außen toll aus. Wenn man aber nicht direkt vor der Bühne steht, hat man von den Stehplätzen aus häufig eine schlechte Sicht - damals bei Lana del Rey erspähte ich beispielsweise nur gelegentlich kurz ihren Blumenkranz. Wir standen dann auch in der etwa siebten Reihe vor der Bühne recht gut, mussten uns aber noch lange gedulden (Einlass 18:30, angeblicher Beginn 20:00, tatsächlicher Beginn dann eher 20:30), während zum Teil recht unverschämte andere Konzertbesucher drängelten und schoben. Wie erwartet lag der Altersdurchschnitt hoch, aber es gab auch jüngere Gäste - und zu meiner Überraschung nur sehr vereinzelt Gothics.

Schließlich war es endlich so weit, die sechsköpfige Band mit ihrem "Chef" Warren Ellis betrat die Bühne, während man Cave schon vom Band hörte - mit "Three Seasone in Wyoming". Dann betrat er endlich zu großem Jubel die Bühne. Dass auch ältere Menschen im Publikum waren, erkannte man spätestens am genervten Ausruf "Scheiß Handys runter, Mann!" - die Emotion kann ich ja nachvollziehen, aber da war wohl jemand in den letzten sieben Jahren bei keinem Konzert gewesen.


Caves Setliste bei der aktuellen Tour - ironischerweise war auch er am Freitagabend in Amsterdam gewesen und hätte uns am besten gleich mitgenommen - ist stets gleich, und wir hatten beim Vorab-Anhören den Eindruck gewonnen, dass die ersten paar Lieder eher die schwächeren des Sets sein würden. Nick Cave dagegen mag die Songs offensichtlich, was die Livedarbietung unendlich spannender machte als die Albumversionen.

Auf dem Absperrgitter zwischen Publikum und Fotograben war an diesem Abend, sicherlich extra für Cave, ein etwa 30 Zentimeter breiter Laufsteg angebracht, was dazu führte, dass der Künstler hier einen Großteil des Konzerts verbrachte, Zuschauer direkt ansang oder sich auch immer wieder singend nach vorne und auf erhobene Hände fallen ließ. Bei "Higgs Boson Blues" ließ er sich zur Textzeile "Ah, can you feel my heartbeat? Can you feel my heartbeat?" tatsächlich eine Hand aufs Herz legen. Ein besonders großer Mann vor uns wirkte offensichtlich besonders stabil und wurde von Cave immer wieder als Stütze genutzt - ihm widmete er die Worte "my fucking hero".


Nach "From Her to Eternity", das sich zum Ende hin in eine rockige Jam-Session verwandelte, bis Nick schließlich mit "Warren, shut it down" das Ende einleitete, und "Tupelo" bekam auch das eigentlich eher ruhige "Jubilee Street" ein erstaunlich rockiges Finale. Zu dessen Ende drängelte sich wieder einmal jemand an uns vorbei ganz nach vorne und ich erkannte zunächst nicht, dass er eine Zuschauerin, die zusammengebrochen war, aus der Menge ziehen lassen wollte. Ebenso ging es der Security, die erst nach vielfachem Schreien und Winken verstand, dass hier Handlungsbedarf bestand. Auch Nick Cave bekam davon nichts mit, setzte sich nun an den Flügel und spielte hier "The Ship Song" und "Into My Arms". Im Vorfeld hatte ich erwartet, dass dies meine Lieblingsstelle des Konzerts sein würde, tatsächlich gefielen mir die Lieder mit dem wilden Künstler auf der Absperrung aber noch besser. Dennoch waren natürlich auch die Balladen toll, zu "Into My Arms" wurde auch viel mitgesungen.

Zum ebenfalls ruhigen "Girl in Amber" vom aktuellen Album "Skeleton Tree", auf dem Cave den Tod seines Sohnes Arthur verarbeitet, wurde im Hintergrund der Bühne, der immer wieder als Leinwand für verschiedene Projektionen diente, ein Bild der Ruine des West Piers in Brighton eingeblendet. Nach "I Need You" wurde es mit "Red Right Hand" wieder rockiger, bevor mein Highlight des Abends "The Mercy Seat" folgte. Hier sang Cave mehr als in der aufgenommenen Version, die bekanntlich viel gesprochenen Text enthält, und es war einfach unglaublich gut.


Das nun folgende "Distant Sky" wird auf "Skeleton Tree" zum Großteil von der Sopranistin Else Torp gesungen. Statt den Song allein darzubieten oder eine andere Sängerin einzusetzen, ließ Cave Torp riesig und das Lied singend hinter der Bühne einblenden - so funktionierte das Duett mit abwesender Partnerin auch deutlich besser, als wenn ihre Stimme nur aus dem Nichts gekommen wäre.

Nach "Distant Sky" und "Skeleton Tree" war erst einmal Schluss, doch Band und Sänger kehrten nach kurzer Pause und in Caves Fall mit frischem Hemd zurück. Nun hörten wir "The Weeping Song", das Cave in Ermangelung seines Duettpartners Blixa Bargeld allein sang. Den charakteristischen Rhythmus des Songs klatschte das Publikum (so gut es eben konnte), während Cave kurz darin untertauchte und dann ziemlich weit hinten wieder zu sehen war.


Von diesem Ausflug nahm er etliche Zuschauer mit zurück auf die Bühne, die hier zum nächsten Lied "Stagger Lee", das sehr in die Länge gezogen und nach seinem scheinbaren Ende nochmals aufgenommen wurde, tanzten und wippten. Zur ruhigen Schlussnummer "Push the Sky Away" setzten sich die Zuschauer dann auf die Bühne, während Cave sich zwischen den beiden Zuschauermassen wieder einmal auf der Absperrung einfand und hier eine junge Frau, die er aus dem Publikum herauf gezogen hatte (und die darüber nicht zu hundert Prozent begeistert zu sein schien) ansang und schließlich mit Rosen, die er selbst von einem Fan bekommen hatte, beschenkte.

Man kann wohl sagen, dass mein zweites Nick Cave Konzert es trotz schwieriger Vorzeichen geschafft hat, den mäßigen Live-Eindruck von 2006 mehr als wettzumachen und mich auch die beschwerliche Anreise vergessen ließ. Das war wirklich eine brillante Konzerterfahrung.


Setliste:

Intro: Three Seasons in Wyoming

Anthrocene
Jesus Alone
Magneto
Higgs Boson Blues
From Her to Eternity
Tupelo
Jubilee Street
The Ship Song
Into My Arms
Girl in Amber
I Need You
Red Right Hand
The Mercy Seat
Distant Sky
Skeleton Tree

The Weeping Song
Stagger Lee
Push the Sky Away

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