Ende März reisten mein Freund und ich nach Amsterdam, um mein Weihnachtsgeschenk für ihn einzulösen: Den Besuch der Vermeer-Ausstellung im Rijksmuseum, die seit dem 10. Februar und noch bis zum 4. Juni läuft. Die Reiseplanung mussten wir, nachdem wir uns eigentlich bereits für das erste Aprilwochenende entschieden hatten, nochmals abändern: Als ich nach dem Aussuchen von Hotel und Zugverbindungen endlich und final die Eintrittskarten kaufen wollte, las ich, was ich vorher offenbar übersehen hatte: "Das Mädchen mit dem Perlenohrring", das normalerweise in Den Haag ausgestellt wird, war zwar von dort ausgeliehen worden, würde aber Ende März, also lange vor Ausstellungsende, wieder zurückgegeben werden.
Wir hatten uns also für unseren Besuch ausgerechnet das erste Wochenende ausgesucht, an dem das Bild nicht mehr zu sehen sein würde... also schmissen wir alles noch einmal um und fuhren eine Woche früher. Dabei hatte ich im Nachhinein nicht nur wegen des Bildes noch einmal Glück gehabt: Ich buchte unsere Eintrittskarten am 2. Februar zwar durchaus mit dem Gefühl, dass es nun wirklich an der Zeit sei, sich Tickets zu sichern. Ich hatte aber keineswegs damit gerechnet, dass die Ausstellung keine zwei Wochen später restlos ausverkauft sein würde.
Wie viele Vermeer-Fans es neben meinem Freund so gibt, kann ich schlecht einschätzen, für diese bietet die Ausstellung aber eine Gelegenheit, die so vermutlich nicht wiederkehren wird: Nur 37 Bilder des Malers sind erhalten, von diesen schaffte es das Rijksmuseum, sich die beachtliche Zahl von 28 für die Ausstellung zu sichern. Vier, darunter die bekannte "Dienstmagd mit Milchkrug", hatte man sowieso im eigenen Besitz, die anderen wurden aus der ganzen Welt ausgeliehen. Besonderes Glück hatte man anscheinend mit der Frick Collection in New York, die gleich drei Bilder zur Verfügung stellte - weil man das eigene Museum gerade renoviert.
Allerdings lädt eine insgesamt so überschaubare Zahl von Bildern natürlich auch dazu ein, bei denen, die nicht ausgeliehen wurden, zu spekulieren, was hier der Grund gewesen sein könnte: Braucht beispielsweise der Buckingham Palace seinen Vermeer ("Die Musikstunde") denn wirklich dringend und ständig? Und was hat wohl das Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig dazu bewogen, sein eigenes "Mädchen mit dem Weinglas" lieber zu behalten, im Gegensatz zu den anderen deutschen Museen in Dresden, Frankfurt und Berlin, die insgesamt fünf Werke zur Verfügung stellten? Und auch der Louvre hat den "Astronom" nicht verliehen, "Die Spitzenklöpplerin" aber schon - ein Kompromiss?
Für unseren Besuch der Ausstellung trafen wir eher früh am Rijksmuseum ein - wir wussten auch nicht, ob unser Einlassfenster ab der Eingangstür galt oder wir erst den eigentlichen Eingang der Ausstellung erreichen müssten. Alles funktionierte sehr routiniert, und obwohl wir streng genommen ein paar Minuten zu früh dran waren, durften wir sofort durchgehen. Auf den Museumsboden gemalte Streifen wiesen den Weg zur Ausstellung, in die wir ebenfalls ohne Schlange eintreten durften.
Die Ausstellungsräume selbst erwiesen sich dann als durchaus voll, ich habe es aber schon weit schlimmer erlebt. Nicht immer konnte man sofort das gerade erreichte Bild ohne Sichthindernisse betrachten, mit etwas Geduld und Wartezeit funktionierte das aber auch bei den bekanntesten Werken.
Die Kuratoren zeigten in einem ersten Saal zunächst vier Frühwerke von Vermeer, die dessen späteren Stil nur zum Teil erkennen ließen - alle weiteren Räume der Ausstellung waren aber nicht etwa chronologisch, sondern thematisch organisiert. So sahen wir Räume zu den Themen "Briefe", "Besuche", "Porträts", "Musik" und einige mehr. Vielfach wurden einzelne Bilder via Erklärungen und Markierungen an den Saalwänden "aufgeschlüsselt", so erfuhren wir beispielsweise zu "Briefleserin am offenen Fenster", dass das im Bild zu sehende Gemälde ursprünglich übermalt wurde und erst seit einer Restaurierung 2020 wieder zu sehen ist. Hier wäre es vielleicht noch interessanter gewesen, auch eine unrestaurierte Kopie des Bildes zu zeigen, so googlete ich eben schnell selbst.
Wenn man viele Vermeer-Bilder auf einmal sieht, fällt zum einen auf, wie sehr sich die Szenarien (Fenster links, Fliesenboden) über die Bilder hinweg ähneln, zum anderen auch, wie bestimmte Requisiten offenbar wiederholt zum Einsatz gekommen sind - allen voran ein gelber Mantel mit Hermelinpelzbesatz, der offenbar im Haushalt Vermeer sehr gerne getragen wurde.
Interessant waren die Erläuterungen an den Saalwänden auch, wenn eine Szene moralisch eingeordnet wurde - mir wäre wohl nicht aufgefallen, dass der ursprünglich übermalte Cupido bei der "Briefleserin" eine tiefere Bedeutung hat, auch in Bildern wie "Junge Dame mit Perlenhalsband" wird über die dargestellter Person ein Urteil gefällt. Darüber hinaus ist interessant, dass die überwiegende Mehrheit der Bilder Frauen darstellt.
Mit 28 Bildern kann man natürlich keinen ganzen Tag verbringen, dennoch erwies sich der Besuch der Ausstellung - zum Glück - als durchaus zeitaufwändig. Ganz am Ende konnten sich interessierte Besucher noch eine Darstellung sämtlicher Bilder auf einer Zeitlinie ansehen.
Ganz Amsterdam scheint aktuell ein wenig unter dem Bann Vermeers zu stehen: Neben der Werbung des Rijksmuseums selbst, die extrem vergrößerte Ausschnitte einiger Bilder zeigt, begegnet man auch in Schaufenstern, auf Parkticketautomaten und im sonstigen Stadtbild immer wieder den bekanntesten Bildern.
Wer kein Ticket ergattern konnte, hat übrigens die Möglichkeit, sich die komplette Ausstellung online anzusehen, mit Erläuterungen von Stephen Fry. Ganz dasselbe wie ein Besuch vor Ort is das aber natürlich nicht.
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