Neulich im Kaffeehaus (9): Café Westend
Unser Besuch im Café Westend war eine Zufallsentscheidung. Wir waren der Mariahilfer Straße bis an ihr Ende am Westbahnhof gefolgt, nun schien eine kurze Pause angebracht. Ein Blick von außen durchs Fenster offenbarte die traditionelle, großzügige Kaffeehauseinrichtung und niedliche Sitznischen an den Fenstern.
Von innen wirkte alles schon ein wenig anders: Hohe Decken und Kronleuchter zeugten eher von ehemaliger Pracht, in Bodennähe sah aber alles sehr unaufgeräumt aus. An den Wänden hingen seltsam zusammen gewürfelte Bilder, das ehemalige Parkett war durch jahrelange Vernachlässigung zum Dielenboden geworden. Ein zentral aufgestellter Servierwagen diente offenbar dazu, ein riesiges Loch zu tarnen. Die von außen so gemütlich wirkende Fensternische war aus der Nähe zerschlissen und unbequem.
Irritierenderweise bekamen alle Gäste auf ihren Tisch ein Körbchen mit einem seltsamen Allerlei, bestehend aus mehreren großen Dauerbrezeln, einem Croissant, einer Cabanossi, Erdnüssen und einigem mehr hingestellt. Ziel war dabei offensichtlich, dass ahnungslose Touristen die Sachen als Geschenk des Hauses verstehen und essen, während sie natürlich in Wirklichkeit Geld kosteten. Die meisten Gäste hatten aber natürlich kein Interesse an dem Sammelsurium, und so musste man sich auch fragen, durch wie viele Hände die unverpackten Brezeln und Croissants wohl bereits gegangen waren. An unserem Nachbartisch etwa bot eine Mutter das Croissant ihrem Kleinkind an, dieses wollte es nicht - also wanderte es angefasst zurück in den Korb.
Auch sonst hat man sich im Café Westend allem Augenschein nach auf absichtliche Missverständnisse spezialisiert: Bei unserer Bestellung - wir nahmen nur Kaffee - fragte der Kellner, ob wir Mineralwasser dazu wollten - sicher mit der Absicht, den unerfahrenen Wienbesucher zu verwirren, denn Wasser gibt es in Österreich ja immer und überall kostenlos zum Kaffee, MINERALwasser kostet aber natürlich extra. Auf meinem Weg zur Toilette kam ich zusätzlich an einem Aushang vorbei, der das Servierpersonal aufforderte, alle servierten Speisen mit Ketchup- und Mayonnaisetütchen auszustatten und die Kunden darauf hinzuweisen, dass diese extra berechnet werden.
Es erscheint nur konsequent, dass unser Kaffee, den wir nach Umschiffung sämtlicher Ryanair-Verkaufsstrategien erhielten, qualitativ auch nicht sonderlich gut war. Im Gegensatz zu allen anderen von uns besuchten Wiener Kaffeehäusern konnte das Westend auch nicht mit WLAN aufwarten.
Fazit: Wer auf Kuriositäten steht, findet sie hier reichlich (die Herrentoilette und der Weg dorthin scheinen zusätzlich ein Abenteuer darzustellen), ansonsten spricht aber absolut nichts für einen Besuch im Café Westend.
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