Nein, keine Sorge. Letztes Jahr gab es hier ja gleich vier Noel Gallagher--Konzertberichte aus Mailand, Düsseldorf, Brüssel und vom Best Kept Secret Festival, was mich kurz erwägen ließ, den Blog in "Neulich als ich Noel sah" umzubenennen. Der gute Noel ist zwischenzeitlich immer noch auf derselben Tournee, die seit dem letzten März läuft und bis zum September andauert - bis dahin hat er dann 120 Auftritte gehabt, und mein Freund hat immerhin 5 Prozent davon gesehen. Dieses Jahr werden wir ihn jedoch nur noch einmal live besuchen, und zwar als einen der Headliner des A Summer's Tale Festivals. Das aktuelle Tour"bein" umfasst übrigens nur zwei Auftritte in Deutschland, nämlich neben dem gestrigen in Köln zuvor noch einen in München. Vielleicht deshalb war das Palladium gestern auch ausverkauft.
Vorband waren dieses Mal die Augustines aus New York, die ich passenderweise letzten Sommer bei der ersten Auflage des "A Summer's Tale" gesehen hatte. Bei 34 Grad hatten wir uns auf eine seitlich zur Bühne stehende, überdachte Tribüne geflüchtet, was, so dachte ich damals zumindest, den Sound etwas verzerrte. Gestern zeigte sich allerdings: Auch wenn ich direkt vor ihnen stehe, verstehe ich die Texte der Band quasi nicht. Lediglich bei "Are we alive", das mit genau diesen Worten angekündigt wurde, kann ich mit Sicherheit sagen, dass es gespielt wurde... und ein Lied über New York City.
Der Sänger des Trios, Billy McCarthy, trug einen für die Temperatur des Palladiums unnötigen Mantel und einen Hut, den er bei jedem einzelnen Song verlor und dann vor dem nächsten wieder aufsetzte - ein bisschen war das, als sähe man beim Rodeo zu. Bei dem Lied über New York hielt der Hut sich am längsten "im Sattel" und fiel erst kurz vor Schluss vom Kopf. Wenn McCarthy seine Locken schüttelte, sah man im übrigen auch reichlich Schweißtropfen fliegen, auch der Hut war also keine wirklich praktische Entscheidung.
Die Musik der drei Amerikaner ist mir persönlich viel zu rockig, sie wurde aber sehr inbrünstig und mit viel Gefühl vorgetragen und kam beim Publikum auch durchaus gut an. McCarthy vergaß auch nicht, mindestens viermal zu erwähnen, wie nett es von Noel Gallagher sei, sie als Vorband gewählt zu haben und sagte unter anderem "We are opening for a legend" - das sorgte sicher beim Chef und auch seinem Publikum für zusätzliche Sympathien. Noel scheint aber den Auftritts seines Supports genauso streng terminiert zu haben wie seinen eigenen, er dauerte nämlich exakt von 20 Uhr bis 20 Uhr 30, was eine halbe Stunde Umbaupause und einen pünktlichen Noel Gallagher-Auftritt gewährte.
In der halben Stunde blieb uns Zeit, festzustellen, dass die um uns herum stehenden jungen Männer allesamt sicherlich schon zehn Bier intus hatten und zu Verhaltensauffälligkeiten neigten. Immerhin war es recht unterhaltsam, als einer von ihnen meinen Freund - übrigens ihn siezend - ansprach und fragte, ob er die Namen irgendwelcher Oasis-Mitglieder kenne, die nicht Gallagher hießen. Mein Freund kennt als alter Fan selbstverständlich sämtliche Namen sämtlicher Besetzungsphasen. Gut, dass ich nicht gefragt wurde...
Punkt 21 Uhr war dann also Noel-Zeit. Natürlich begann das Set mit dem Intro "Shoot a Hole Into the Sun", das mit wildem Autohupen anfängt. Auch eine Videoleinwand hatte man wieder dabei. Allerdings ist der Anteil von im Hintergrund zu Liedern gezeigten Filmen im Laufe der Tournee zurück gegangen, außer Sonnenaufgang und Erde bei "Everybody's on the Run", den Neonschildern bei "Riverman", dem Karussell bei "The Death of You and Me" und konfettiartigen Lichtern bei "The Masterplan" zeigt die Leinwand mittlerweile hauptsächlich Noel und die Band, manchmal auch mit Sepiatönung.
Gallagher trug an diesem Abend ein schwarzes Hemd (muss erwähnt werden, schließlich waren seine wechselnden Outfits ein Kernstück der letztjährigen Berichterstattung) und begrüßte uns erst nach dem dritten Lied. Er behauptete, gerne wieder in Köln zu sein - nachdem ihm Höflichkeitsfloskeln ja eher fremd sind, dürfte das auch gestimmt haben. Ansonsten bot die Gallagher-Kommunikation genau das, was man von dem Künstler erwartet. Man fragt sich ein wenig, ob ihm selbst seine Ruppigkeit und zur Schau getragene Arroganz nicht irgendwann auf die Nerven geht. Wenn ja, ist es aktuell wohl noch nicht so weit. So wies er ein Publikumsmitglied nach einem für uns nicht hörbaren Einwand mit den Worten "I can't hear you because your mouth is full of shit" zurecht, dann stritt er mit derselben oder auch einer anderen Person weiter und bestätigte "Yes, I'm the best. Just say it. Not one of the best. The. Best. Don't be modest."
Vor der alten Oasis B-Seite "Half the world away", das ich mittlerweile seit dessen Verwendung in der John Lewis-Weihnachtswerbung vom vergangenen Jahr als Aurora-Cover wahrnehme, erklärte Noel, er habe diesen Song mit 22 geschrieben. Auch nun reagierte irgendjemand im Publikum, er fragte die Person, wie alt sie sei und antwortete "20? Then you still have time." Um ein ähnliches Meisterwerk zu vollbringen, nimmt man an.
Auch der Abschied fiel bittersüß aus: Noel erklärte, der Abend in Köln habe ihm Spaß gemacht und bedanke sich beim Publikum, erklärte aber gleich anschließend: "And if you see me tomorrow, don't ask me to be in your stupid photos". Nachdem heute in Köln Record Store Day ist, verbringt Noel seinen freien Tag also vielleicht dort und beschimpft Leute, die ihn gut finden. So richtig böse kann man ihm deshalb nicht sein, irgendwie ist das eben sein Image, dem er gerecht wird.
Ich habe noch fast nichts zur Musik geschrieben, und nach zig Berichten ist es natürlich auch schwierig, hier noch neue Worte zu finden. Die Setliste hat sich seit dem letzten Jahr deutlich verändert. Statt damals fünf sind nun sage und schreibe zehn Oasis-Lieder im Liveprogramm, genauso viele wie Noel Gallagher-Solo-Songs - und bei diesen stammen vier vom ersten und sechs vom zweiten Album. Bezüglich der Oasis-Lieder kann man Noel aber schwerlich den Vorwurf machen, er ruhe sich auf den alten Hits aus, denn es sind nur zweieinhalb Singles ("Champagne Supernova" zähle ich wegen dessen Single-Veröffentlichung in Australien als halbe), der Rest ist eher in die Kategorie "obskur" einzuordnen, etwa das nur auf der Vinylversion von "Definitely Maybe" veröffentlichte "Sad Song", oder eine Vielzahl an Single-B-Seiten (etwa "D'Yer Wanna Be a Spaceman?", "Listen Up" oder "Talk Tonight"). Akustische oder beinahe akustische Darbietungen von Songs (wofür sich "Sad Song" oder auch "Talk Tonight" beispielsweise angeboten hätte) gab es gestern Abend, im Gegensatz zu früheren Auftritten, aber nicht.
Was es an diesem Abend auch nicht gab, war eine Bandvorstellung der High Flying Birds. Deren Gitarrist durfte aber immerhin sämtliche Soli spielen und war sichtlich gut gelaunt. Dies trifft sicherlich auch auf das Publikum zu, und würde man versuchen, die Highlights des Abends zu benennen, so wären dies vermutlich drei Dreierpacks: der rockige Opener mit "Everybody's on the Run", "Lock All the Doors" und "In the Heat of the Moment", sowie der Abschluss des Hauptsets mit den lautstark mitgesungenen"If I Had a Gun..." und "The Masterplan", sowie, für mich immer noch unverständlich, "Digsy's Dinner". Letzter Höhepunkt ist selbstverständlich der Zugabenblock, in dem Noel neben "AKA... What a Life!" die Oasis-Klassiker "Wonderwall" und "Don't Look Back in Anger" spielte - wobei insbesondere letzteres wieder begeistert mitgesungen wurde.
Setliste:
Intro: Shoot a Hole Into the Sun
Everybody's on the Run
Lock All the Doors
In the Heat of the Moment
Riverman
Talk Tonight
The Death of You and Me
You Know We Can't Go Back
Champagne Supernova
Ballad of the Mighty I
Sad Song
D'Yer Wanna Be a Spaceman?
The Mexican
Half the World Away
Listen Up
If I Had a Gun...
Digsy's Dinner
The Masterplan
Wonderwall
AKA... What a Life!
Don't Look Back in Anger
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