Zuletzt sah ich Tunng vor fünf Jahren im Frankfurter Zoom. Seitdem hat die Folktronic-Band zwar nur ein Album veröffentlicht - getan hat sich aber dennoch viel, denn erstmals seit 2007 stand das Septett wieder in seiner Originalbesetzung auf der Bühne. Vom letzten Auftritt her kannte ich Mike Lindsay (Gesang, Gitarre), der offensichtlich einen Hang zu Hemden mit unschönen Motiven oder Mustern hegt, Ashley Bates (Gitarre, Gesang), der am Vorabend Geburtstag feierte und während des Konzertes in einen weißen Anzug schlüpfte, sowie Martin Smith und Phil Winter, die im Hintergrund saßen und für Percussion- und elektronische Klänge sorgten. Winter hatte selbstverständlich wieder seine selbst gebastelten Instrumente zwischen Traumfänger und Schlüsselbrett dabei.
Erstmals sah ich Becky Jacobs (Gesang, Percussion), die an der 2013 nicht teilnehmen konnte, und Sam Genders (Gesang, Gitarre), der Tunng vor 11 Jahren verlassen hatte, um sich Projekten wie Diagrams, The Accidental oder Throws zu widmen. Sollte diese Trennung vor Jahren im Unguten verlaufen sein, so war davon an diesem Abend nichts mehr spürbar, so viel Spaß hatten offensichtlich alle Beteiligten auf und vor der Bühne. Diese war leider meist in Neben gehüllt, was in Kombination mit der düsteren Beleuchtung für suboptimale Fotobedingungen sorgte.
Die „neuen“ Bandmitglieder durften auch gleich im Mittelpunkt stehen, da Sam Genders die Lead Vocals bei den ersten beiden Songs, „Dream In“ und „ABOP“, übernahm und Becky Jacobs dies beim anschließenden „The Roadside“ tat. Aber beim Großteil der Songs setzten Tunng auf den gemeinsamen Harmoniegesang der vier am Bühnenrand stehenden Musiker. Insgesamt wurden 7 Lieder aus dem neuen Album „Songs You Make At Night“ dargeboten, aber bereits mit dem fünften Lied, „Bodies“, kehrte man in die Anfangstage der Band zurück.
Im Verlauf des Konzertes rückte Mike Lindsay mehr und mehr in den Mittelpunkt des Geschehens, sei es, weil er die wenigen Ansagen übernahm oder am Ende des Instrumentals „By Dusk They Were In The City“ erstmals zur E-Gitarre griff, um am Bühnenrand wilde Gitarrensolo-Posen zu vollführen. Dies kannte ich bereits vom Frankfurter Auftritt, ist also offenbar ritueller Bestandteil seiner Performance. Das zwischenzeitliche Aufsetzen einer Giraffenmaske hatte Lindsay aber neu ins Programm aufgenommen. Zufrieden kommentierte er abschließend den Song mit „That was the best bit“.
Posen konnten wir auch im Zuschauerraum „genießen“, denn obwohl wir uns im nur mittelgut gefüllten Artheater quasi direkt vor die Bühne gestellt hatten, stellte sich irgendwann ein großer Mann vor uns und bewies durch schwankende Tanzbewegungen mit ergriffen geschlossenen Augen, dass „Manspreading“ auch im Stehen funktioniert. Befriedigenderweise bestätigte er auch meine Vorurteile über Menschen, die derart demonstrativ „die Musik genießen“: Nach ein paar Liedern hatte er nämlich genug und wollte sich lieber lautstark mit seiner Nachbarin unterhalten.
Mit „Woodcat“, „Hustle“ und „Dark Heart“ hatten sich die eingängigsten Songs in die zweite Hälfte des Hauptteils, der aus 13 Liedern bestand, zurückgezogen. Ihre Version von Bloc Partys „Pioneers“ spielten Tunng auch bei diesem Auftritt nicht, was aber gut zu verschmerzen war, da ich das Original erst zwei Wochen zuvor in Brüssel zu hören bekommen hatte.
Vor Beginn des Sets und auch immer wieder zwischendurch hörten wir Samples, in denen Menschen offensichtlich von ihren Träumen erzählten – teils lustig, meist verstörend, wie Träume eben so sind.
Im Zugabenteil der aktuell sehr stabilen Setliste, warteten drei weitere Lieder auf uns, die lautstark eingefordert wurden. Neben dem neuen „Battlefront“ wurden zwei Klassiker, nämlich „Jenny Again“ und „Bullets“, gespielt, so dass ich feststellen konnte, dass sich meinem "Aktivliedschatz" bei Tunng seit 2013 tatsächlich verdoppelt hat. Auf vier Lieder.
Bislang hatte ich ja auch immer geglaubt, mein Freund sei der größte existierende Tunng-Fan, aber als die Band die Bühne endgültig verlassen hatte, griff sich ein Besucher, der den ganzen Auftritt lang mitgetanzt hatte, die angebrochene Wasserflasche von Becky Jacobs, die noch verlassen dastand, und trank sie komplett aus. Schwer zu sagen, ob die Motivation Durst oder Bewunderung war.
Mein Freund hofft inständig, dass ihn Tunng nicht wieder 5 Jahre auf ein Album und eine Tour warten lassen, und er hat sich fest vorgenommen, weitere 4 Lieder von Genders, Lindsay & Co. in meinem akustischen Gedächtnis zu verankern.
Setliste:
Dream In
ABOP
The Roadside
Flatland
Bodies
Take
Out The Window With The Window
Nobody Here
Woodcat
Sleepwalking
Hustle
By Dusk They Were in the City
Dark Heart
Battlefront
Jenny Again
Bullets
0 comments