Dieses Jahr besuchte ich nach lange Pause überhaupt erst mein zweites Konzert in Mainz - und gestern dann auch gleich mein drittes. Dieses Mal waren es The Notwist, die zur Wiedereröffnung des Kulturzentrums KUZ angereist waren. Das bereits 1981 eröffnete Zentrum in einem denkmalgeschützten Backsteingebäude war ein Jahr lang für einen umfassenden Umbau geschlossen, nun wird deren Abschluss entsprechend mit einer Kulturwoche gefeiert.
Für mich als Erstbesucherin erschloss sich allein anhand der Optik nicht, was nun genau umgebaut worden war (im Laufe des Abends zeigte sich: Die Lüftungsanlage kann es nicht gewesen sein). Anscheinend wurden zwei Veranstaltungssäle zu einem vereinigt. Der, in dem das The Notwist-Konzert stattfand (es gibt immer noch mindestens einen weiteren) wirkte aber alles andere als riesig. Alles wirkte neu, aber auch ausgesprochen nüchtern - von innen ist das KUZ zwechmäßig gestaltet, aber zumindest ästhetisch nicht beeindruckend. Dafür wiesen freundliche Schilder an der Bar darauf hin, dass alle Mitglieder des Personals komplett neu seien, weshalb Besucher um Geduld gebeten würden, Feedback sei aber stets willkommen.
Ausschlaggebend für den Konzertbesuch war wieder einmal mein Freund gewesen, der sich nicht damit abfinden mochte, sein letztes Konzert 2018 bereits Mitte November gesehen zu haben. Ein adäquater Jahresabschluss wurde gesucht und mit The Notwist dann (nach diversen von mir abgeschmetterten Vorschlägen) auch gefunden.
Vorband war die Frankfurter Formation Newmen, bei der, wie unser Hintermann raunte, sämtliche Mitglieder Schnauzbartträger waren. Viele, aber nicht alle, schienen modisch auch fest in en 80ern behaftet zu sein, mit weißer Jeans und hineingestecktem Hemd oder hochgekrempelten Hosen zu Tennissocken.
Newmen machen elektronische Musik mit und - meist- ohne Gesang, passten insofern also durchaus zum Headliner. Uns erinnerte der Sound stark an Public Service Broadcasting, die wir zuletzt als Vorband der Editors gesehen hatten. Letztgenannte Band hat aber den Vorteil, dass sie zu ihren Liedern thematisch passende Videos zeigt, was dem Publikum doch sehr hilft, bei der Sache zu bleiben. Bei Newmen schweifte ich gedanklich dann doch häufig völlig ab.
Setliste:
Finish Fetish
Camping Goods
Physical Pictorial
Emotional Brilliance
Debbie Harry
Trivial Pursuit
The Return Of The Reel
Nach ausführlicher Kontrolle des bereits auf der Bühne vorhandenen Notwist-Equipments durch diverse Bühnentechniker und Bandmitglieder ging es weiter. Ich hatte The Notwist bislang fünfmal live gesehen, doch zu Beginn dieses Auftritts sagte Markus Acher glatt mehr als bei allen bisherigen von mir besuchten Konzerten zusammen: Erst begrüßte er uns freundlich und erklärte dann, das erste Lied sei von 13 & God, wir müssten uns also nicht wundern und uns fragen, von welcher Notwist-Platte es stamme. 13 & God, weiß ich jetzt im Gegensatz zu gestern Abend, sind eine Kooperation von The Notwist mit der Hip-Hop-Band Themselves. Das ohne diese Kollegen vorgetragene Lied wirkte aber in der dargebotenen Form wie ein ganz normaler Notwist-Song - außer, dass Markus Acher für den Text ein Notizbuch zückte und der Anfang des Liedes zunächst versemmelt wurde.
Weiter ging es dann gleich mit "Kong", was praktisch für mich und meine Setlisten-Mitschreib-Künste war, denn das vergleichsweise neue Lied ist eines, dass ich zuverlässig auf Anhieb erkenne. Danach erschien mir aber einiges völlig unbekannt. Verständlich, denn es folgten noch zwei weitere 13 & God-Lieder. "Night’s Too Dark To Sleep" ist ebenfalls auf keiner der bisher veröffentlichten Platten enthalten, sondern wurde für die letztjährige ZDF-Serie "Das Verschwinden" geschrieben - ohne, dass dies separat erläutert geworden wäre, Markus Acher war sich offensichtlich seiner Schweigetradition bewusst geworden. Auch für den Soundtrack-Song wurde wieder das Notizbuch mit den Texten gezückt, aber leider hatte das die für die Beleuchtung verantwortliche Person nicht mitbekommen. Cico Beck rettete die Situation, indem er kurzerhand einen winzigen Klemmspot anbrachte.
Von unseren Stehplätzen aus hatten wir besonders gute Sicht auf das Vibraphon und dessen Musiker Karl Ivar Refseth. Bei vorherigen Konzertbesuchen hatte ich nie bemerkt, wie beschäftigt er kontinuierlich ist: Das Vibraphon wird je nach Lied mit Geigenbögen oder Schlägern bearbeitet (und letztgenannte auch manchmal senkrecht auf die Klangplatten geschlagen), und falls am Vibraphon mal einige Sekunden nichts zu tun ist, greift er sich schnell ein Rhythmusinstrument. Ruhepausen gibt es nicht wirklich.
Ebenfalls gute Sicht hatten wir auf den Plattenspieler. Bei einigen Songs suchte Markus Acher Platten aus und legte diese zum Scratchen auf, während er andere, gerade nicht benötigte, achtlos und unverpackt beiseite warf - mein vinylliebender Freund ächzte neben mir kurz auf.
Mit dem sehr alten, extrem rockigen Song "One Dark Love Poem", und der ein weiteres Mal endlosen und fast in Richtung Techno gehenden Version von "Pilot" zeigte sich auch ein weiteres Mal die große musikalische Bandbreite der Band.
Ungewöhnlich war neben den vielen (mir) unbekannten Songs auch die Zugabenauswahl des Abends: Die Band kehrte mit "Consequence" und "Gone Gone Gone" zurück, beides ausgesprochen ruhige Lieder. Erstaunt dachte ich an die Sound-Orgie zurück, die vor zwei Jahren das Festival-Set beim A Summer's Tale beendet hatte. Angesichts der Schönheit der Lieder ging die Abwechslung für mich aber völlig in Ordnung.
Setliste:
Its Own Sun (13 & God Song)
Kong
Boneless
Into Another Tune
Men Of Station (13 & God Song)
Perfect Speed (13 & God Song)
Pick Up
One With The Freaks
This Room
One Dark Love Poem
Night’s Too Dark To Sleep
Run Run Run
Pilot
Gravity
Consequence
Gone Gone Gone