Anfang dieses Jahres sah ich den Film Yesterday, der an und für sich eher so mittel ist, aber auf der ganz lustigen Prämisse beruht, dass ein erfolgloser Musiker in einer Welt landet, in der sich (fast) niemand außer ihm an die Beatles erinnern kann. So ähnlich fühle ich mich in der Realität immer, wenn ich mit dem Erfolg der Band The Wedding Present und dem Kult um sie konfrontiert werde. Erfolgreiche Indiemusik seit den 1980er Jahren? Wo soll ich denn da die ganze Zeit gewesen sein?
Von der Existenz der Band weiß ich „so richtig“ erst seit vor ein paar Jahren, als mein Freund und ich in Brighton das jährlich stattfindende At the Edge of the Sea-Festival besuchten - dieses veranstaltet nämlich The Wedding Presents Gründer und Hauptmitglied David Gedge, und er tritt auch jedes Mal gleich mit seinen beiden Bands auf.
Als mein Freund mich also letzten Donnerstag darauf aufmerksam machte, dass David Gedge seinen Geburtstag mit einem Facebook-Konzert feierte und ich, als dieses begann, sah, dass neben uns über 2000 (!!) andere zusahen, konnte ich also wissend nicken und mir sagen „Ah ja, das ist dieses Paralleluniversum, in dem die Menschen The Wedding Present kennen, da war ich auch schon.“
Vermutlich sahen sogar deutlich mehr als 2000 Personen zu, das Konzert lief nämlich gleichzeitig auch auf Twitter und Instagram, ohne dass wir diese Kanäle ausprobiert hätten.
Gedge saß bei sich Zuhause, im Hintergrund konnte man sehen, dass der gefeierte Geburtstag offensichtlich sein 60. war, denn die Glückwunschkarten waren sichtbar um einen riesigen Fernseher arrangiert. Gedge saß mit einer Gitarre auf einem Stuhl, während offenbar gleich drei Kameras (für jedes Netzwerk eine) auf ihn gerichtet waren. Gedge versuchte gar nicht erst, die Flut von Kommentaren und Songwünschen, die auf ihn einprasselte (allein auf Facebook konnte ich dem Strom schon kaum folgen) selbst zu lesen. Eine Person namens Liz hatte die Aufgabe, Fragen und Wünsche auszuwählen, auf Zettel aufzuschreiben und auf einen Stuhl zu legen.
In dem besagten Paralleluniversum, in dem auch dieser Auftritt stattfand, kann ich leider offenbar auch kein Englisch, denn es fiel mir unfassbar schwer, Gedge zu folgen. Er sprach extrem schnell und auch nicht gerade deutlich. Immerhin verstand ich die ihm gestellte Frage nach den aus seiner Sicht besten und schlechtesten Aspekten des Musikgeschäfts: Er antwortete, der beste sei, dass er seit den 1980ern von der Musik leben könne und im Grunde nie einen anderen Job gehabt habe. Der schlechteste sei für ihn, dass viele zweifellos talentierte Musiker genau dieses Glück eben nicht hätten, während andere, die es weniger verdient hätten, die Vermarktungsmaschinerie hinter sich hätten. Und noch etwas verstanden wir: Gedges liebste Coverversion (The Wedding Present haben dazu eine Neigung) ist „Falling“ von Julee Cruise.
Als einziges Lied seiner anderen Band Cinerama spielte Gedge übrigens „Carrie Carrie“.
Für die einzelnen Songs - es wurden nur Wünsche gespielt - musste Gedge die Akkorde in einer großen schwarzen Kladde nachsehen, hier und auch beim Vorlesen von Liz‘ Zetteln zeigte sich, dass er eine Lesebrille bräuchte - das angestrengte Auf-Armlänge-Weghalten beim Lesen kenne ich von mir selbst gut.
Das Geburtstagskonzert endete nach genau einer Stunde (länger darf man bei Instagram gar nicht live sein, erfuhren wir), der letzte Song „Dare“ diente bereits als Zugabe, die auf Instagram bereits nicht mehr zu sehen war. Als Schlusseffekt brachte Liz nun einen Kuchen mit Kerzen, die Gedge noch ausblies, bevor er seinem kleinen Hund den Stuhl überließ und so für ein niedliches Schlussbild sorgte.
Setliste:
I Lost The Monkey
Gazebo
My Favorite Dress
Brassneck
Swimming Pools, Movie Stars
A Million Miles
Kerry Kerry
Nobody’s Twisting Your Arm
Crawl
Give My Love To Kevin
Dare
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