Ungefähr vor einem Jahr erlebten wir eine Art Unterbrechung der Live-Musik-Dürre der Pandemie und besuchten zwei Open Air-Konzerte am Kölner Tanzbrunnen. Diesen Sommer passiert quasi dasselbe, nur war unser Reiseziel (genau wie auch nächste Woche übrigens) das New Fall Festival eine Stadt weiter - in Düsseldorf.
Nun ist ja noch gar nicht Herbst, aber die Veranstalter haben eine Summer Edition mit Konzerten von Künstlern aus dem deutschsprachigen Raum wie Faber, Provinz, Drangsal oder auch Tocotronic kuratiert. Das Ganze findet im Ehrenhof, gelegen zwischen Tonhalle, Kunstpalast und NRW-Forum, statt. Dort hätten wir uns eigentlich gut auskennen sollen, beim New Fall Festival waren wir nämlich bereits gewesen, dennoch irrten wir nach unserer Ankunft in der für uns Landeier geradezu absurd vollen Stadt erst einmal ein bisschen herum.
Da wir ohnehin eher spät dran waren, erreichten wir den Einlass dann auf den letzten Drücker. Kontrolliert werden musste hier so einiges: Das personalisierte Ticket, der dazu passende Personalausweis sowie wahlweise Impfnachweis, Coronatest oder Genesungsbescheinigung. Das funktionierte bei uns geradezu beunruhigend schnell, so dass ich ein bisschen hoffte, dass man sich bei den früheren Gästen mehr Kontrollier-Mühe gegeben hatte.
Auf dieser Kontrolle basiert nämlich das Hygienekonzept der Veranstaltungsreihe: Da ja für die Eingelassenen kein echtes Ansteckungsrisiko mehr besteht, stehen die Stühle "normal" eng, und am Platz musste man auch keine Maske tragen. Stühle? Ja genau, die Open Air-Konzerte sind bestuhlt, in den ersten Reihen sogar mit Liegestühlen. Trotz unserer späten Ankunft ergatterten wir auch noch ganz ordentliche Plätze (die Tickets galten für eine bestimmte Reihe, nicht aber für spezielle Plätze). Da die Bühne längs zu einem sehr breiten Bereich aufgebaut worden war, dürften bei weitem nicht alle Plätze eine gute Sicht auf die Musiker gehabt haben.
Das Konzert war ursprünglich schnell ausverkauft gewesen, die Sitzkapazitäten waren jedoch zweimal aufgrund der sinkenden Inzidenz erhöht worden. Viele Zuschauer, die sich die knapp 50 € teuren Tickets gespart hatten, saßen erhöht in einiger Entfernung vor der Tonhalle. Letztendlich war die Veranstaltung durch die zweite Sitzplatzaufstockung nur wenige Tage vor dem Konzert aber nicht vollständig ausverkauft.
Das letzte Konzert von Tocotronic hatte im November 2019 stattgefunden. Die bereits Ende 2019 angekündigten Konzerte mit dem Hamburg Years / Berlin Years - Konzept hatten verschoben werden müssen, die Band hatte nun ihren ersten Auftritt seit 20 Monaten.
Was hat es mit dem Konzept auf sich? Die erste Phase der Tour dreht sich um „The Hamburg Years (1993-2003)“, wobei Tocotronic nicht als das Trio, das sie damals waren (Dirk von Lowtzow, Jan Müller, Arne Zank) auftreten, sondern auch mit Rick McPhail, der seit 2004 als zweiter Gitarrist in der Band ist. Bis September wird dieser Phase von Tocotronic gehuldigt, dann kommen erste Auftritte zum Thema „The Berlin Years (2004-2021)“. Beide Epochen umfassen jeweils 6 Alben der Band.
Ohne Vorband ging es um 10 nach 8 Uhr los, insgesamt würde der Auftritt 105 Minuten dauern. Die Bühne war mit Stofftieren geschmückt, sonst hatte man sich Dekorationselemente gespart. Die Gurte für Gitarren und Bass waren durchgängig in Regenbogenfarben gehalten.
Tocotronic machten keine große Bühnenshow, da konnten schon das Absetzen der Kappe von Dirk von Lowtzow im ersten Drittel des Konzertes und das Anlegen der Mundharmonika von McPhail bei „Sie wollen uns erzählen“ als Highlights betrachtet oder sogar vom Sänger kommentiert werden (von Lowtzow sprach vom Einsatz eines "medizinischen Präzisionsinstruments" oder auch "Zahnspange“).
Aber es gab auch keine große Bühne, denn diese schmiegt sich an die Kunsthalle an und ist auf einem leicht erhöhten Absatz mit Hilfe einer Plane, einiger Scheinwerfer und weiteren technischen Equipments errichtet worden. Das Ganze wirkt etwas spontan und nicht so, als ob der Aufbau aus dem letzten Jahr ein Update erfahren hätte.
Das Konzert begann mit „Freiburg“, dem ersten Lied des ersten Albums, und tatsächlich bleiben die Tocotronics sich chronologisch recht treu und spielen nacheinander Lieder aus den sechs Alben. Während „Digital ist besser“ und „K.O.O.K.“ bei der Band offenbar besonders beliebt sind und mit jeweils sechs Songs bedacht werden, wurden von „Nach der verlorenen Zeit“ und „Wir kommen um uns zu beschweren“ jeweils nur zwei Lieder berücksichtigt.
Die Kommunikation mit dem Publikum übernahm allein Dirk von Lowtzow, nur Jan Müller ergänzte nach dem fünften Lied, dass wir nun schon beim zweiten Album angekommen sind. Ansonsten bekamen wir nicht ganz ernst gemeinte Informationen zu den Songs, etwa, dass "Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit" das erste von Tocotronic aufgenommene Lied ist oder dass "Die Welt kann mich nicht mehr verstehen" ein Welthit war, zumindest in Hamburg. Ob nun Hit oder nicht: Vereinzelt sprangen im Laufe des Sets Leute auf und tanzten vor ihren Plätzen.
Seit „Es ist egal aber“ setzen Tocotronic auf ihren Platten stilistisch auch auf Synthesizer oder Streicherarrangements. Die sparte man sich an diesem Abend komplett, was am deutlichsten bei „Let There Be Rock“ auffiel: Ohne die "The Final Countdown"-Parallelen gefiel mir das Lied gleich viel besser.
Das Set schloss nach rund 75 Minuten und 19 Liedern noch vor „Tocotronic“, dem weißen Album der Band. Das Publikum bot stehende Ovationen, so dass die Zugabe redlich verdient war. Der erste Zugabenblock bestand dann aus „This Boy Is Tocotronic“, das vielleicht am stärksten bejubelt wurde, sowie „Hi Freaks“ und „Neues vom Tricksen“. Der Jubel im Anschluss erforderte eine erneute Rückkehr des Quartetts auf die Bühne.
Mit der zweiten Zugabe brachen Tocotronic ihr Konzept, denn sie spielten ihre im April 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie veröffentlichte Single „Hoffnung“, weil sie damals und auch heute noch gut passte. Auch dieser Song wurde ohne die eigentlich tragenden Streicherarrangements dargeboten und unterschied sich daher deutlich von der Studioversion.
Da 22 Uhr noch nicht ganz erreicht war, ließ die Band sich zu einer dritten Zugabe hervor klatschen und beendete ihr Set endgültig mit „Letztes Jahr im Sommer“. Das Lieblingslied meines Freundes, "Alles wird in Flammen stehen", wurde leider trotz all der Zugaben nicht gespielt, meines, "Freiburg" gleich als erstes.
Wie es letztes Jahr im Sommer so war, habe ich ja eingangs geschrieben. Bleibt zu hoffen, dass nach diesem Open Air-Sommer auch wieder Drinnen-Konzerte stattfinden können.
Freiburg
Digital ist besser
Drüben auf dem Hügel
Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit
Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein
Du bist ganz schön bedient
Michael Ende, du hast mein Leben zerstört
Die Welt kann mich nicht mehr verstehen
Ich verabscheue euch wegen eurer Kleinkunst zutiefst
Nach Bahrenfeld im Bus
Sie wollen uns erzählen
Ich bin viel zu lange mit euch mitgegangen
Dieses Jahr
Let There Be Rock
Die neue Seltsamkeit
Jackpot
Die Grenzen des guten Geschmacks 2
Jenseits des Kanals
Das Geschenk
This Boy Is Tocotronic
Hi Freaks
Neues vom Trickser
Hoffnung
Letztes Jahr im Sommer
0 comments